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70. GEBURTSTAG

Hubert von Goisern: "Mein Fell wird nicht dicker"

APA 17. November 2022 | Text & Foto: Christoph Griessner/APA
Hubert von Goisern wird 70

In jungen Jahren hat er die Leute mit seinen musikalischen Vorstellungen teils vor den Kopf gestoßen, mittlerweile ist er aus der heimischen Musikszene nicht mehr wegzudenken: Hubert von Goisern hat mit seiner unkonventionellen wie weltoffenen Art große Erfolge gefeiert. Am 17. November wird der vielseitige Künstler 70 Jahre alt. Aus diesem Anlass sprach die APA mit ihm über seine Definition von Erfolg, seine schier unstillbare Neugier und das, was noch kommen könnte.

Wenn Sie auf Ihre lange Karriere zurückblicken: Welches Erlebnis ist Ihnen da besonders in Erinnerung?

Es gibt natürlich viele. Woran ich jetzt gerade denken musste, ist die Frankfurter Musikmesse Ende der 1980er-Jahre, auf der ich Schlagzeuger Jon Hiseman von Colosseum getroffen habe. Bei einem Essen habe ich ihn nach seinem Rat gefragt, wie man es im Musikbusiness schafft. Er meinte: Es gibt zwei Regeln. Erstens: Was immer passiert, gib niemals auf! Und zweitens: Spiele niemals auf Partys! (lacht) Beide habe ich mir zu Herzen genommen, und beide haben eine Berechtigung.

Ein roter Faden in Ihrem Werk ist die beständige Suche nach Neuem. Wie schwer ist es, diesem Selbstverständnis treu zu bleiben?

Für mich wäre es viel schwerer, immer nur dasselbe zu machen, nur weil es die Leute wollen oder weil es von Erfolg gekrönt ist. Wenn ich den Kick nicht habe, dass es auch mit Risiko verbunden ist, dann ist es zu wenig. Es muss Adrenalin dabei sein: Verstehen es die Leute, wollen sie es verstehen, kommen sie noch? Ich brauche das.

Gab es Dinge, die Sie nicht umgesetzt haben, weil es sich letztlich nicht ausgegangen ist?

Nein. Aber es gibt einige Sachen, die mit sehr großem Aufwand verbunden sind und die ich deswegen vor mir her schiebe. Ich habe ja im Jahre Schnee schon davon geredet, ein Bühnenwerk zu machen. Der Traum ist, eine tibetische Oper für den Westen zu produzieren. Aber die, die ich dafür brauche, sind in Nordindien zuhause. Und es kamen mir immer andere Ideen dazwischen. Ich würde auch gerne für ein großes Orchester etwas machen. Vielleicht ist das eine Winterarbeit für eine Zeit, in der ich nicht mehr Ski fahren kann. (lacht)

Sie sind als hartnäckiger Mensch bekannt, Ihren Roman flüchtig haben Sie ja bereits schon umgesetzt...

Ja, ich habe aber auch die Intuition oder das Gespür dafür: Wenn es nur mit Gewalt geht, kommt nichts Gescheites heraus. Diese Balance habe ich mir Gott sei Dank bewahrt, dass ich nicht wirklich stur bin - sondern verbissen. (lacht)

Entstehen die besten Ideen nebenbei?

Im Nachthimmel gibt es diese Sterne, die du nicht siehst, wenn du genau hinschaust. Du musst den Blick ein bisschen zur Seite wenden, weil du diesen blinden Fleck am Auge hast. So ist es bei Ideen auch: Wenn du sie anstarrst, wird es nichts. Du hast eh alle Fragen dauernd im Kopf und die wühlen herum. Manchmal fliegt eben das Vogerl vorbei und du erwischst es.

Warum sind Sie für diese Momente besonders empfänglich?

Neugier trifft es am besten. Gierig auf das Neue, auf das Andere, das ich noch nicht kenne. Das ist auch nie weniger geworden. Mit jeder beantworteten Frage tauchen zehn neue auf.

Was macht für Sie das Gelingen eines Projekts aus?

Wenn ich persönlich finde, dass etwas gelungen ist, dann ist das der erste Schritt des Erfolgs. Aber da gibt es unendlich viele Schritte. Du könntest so weit gehen, bis du in Stadien spielst - wie es bei den Alpinkatzen damals der nächste Schritt gewesen wäre. Aber das hat mich nicht interessiert. Ich wollte mich lieber zurückziehen und schauen, was danach ist. Aber natürlich ist es für einen Künstler, der auch davon lebt, wichtig, dass er Gehör findet. Man will etwas anstoßen und anregen. Passiert das nicht, dann fehlt etwas.

Ist insofern gerade Livemusik als Dialog mit dem Publikum zu verstehen?

Ja! Ich glaube auch, dass Livemusik die einzig wahre Musik ist - weil sie im Hier und Jetzt passiert. In dem Moment, in dem der nächste Ton kommt, ist der vorige schon weg. Was ist Musik, was ist eine Melodie? Eine Erinnerung! Nur weil du dich an die Töne davor erinnerst, ergibt es einen Bogen und der macht eine Melodie. Dieses gemeinsame Erleben zwischen Publikum und Musikern schafft eine Erinnerung an das Ganze.

Was können Sie vom Ihrem Publikum alles verlangen?

Aufmerksamkeit, das ist alles, was ich haben will. Es heißt immer, Applaus ist das Brot des Künstlers. Aber Aufmerksamkeit ist viel, viel wichtiger. Es ist einfach ein Geschenk, wenn dir jemand zuhört. Ich glaube ganz fest, dass wir alle gesellschaftliche Wesen sind - auch wenn es vielleicht ein paar Einsiedler gibt, die es auf Dauer so aushalten. Aber ich bin auf dieser Welt, lebe mit vielen Leuten zusammen und möchte das, was ich kann, gerne geben.

Auch auf Ihren vielen Reisen waren Sie als Zuhörer unterwegs und haben unterschiedlichste Kulturen kennengelernt. Was verbindet uns aus Ihrer Sicht?

Die Sehnsucht nach Geborgenheit verbindet uns. Auch die Neugier, selbst wenn die bei manchem außerhalb von seinem Blickfeld aufhört, weil es da eh genug gibt. Was uns verbindet, ist der Wunsch, ab und zu ein Fest und das Leben zu feiern. Und dann ist der Schritt zum Singen und Musizieren nicht weit. Dadurch entsteht auch eine Gemeinsamkeit, durch Töne, Gesang und Tanz. Dann werden einzelne Figuren zu einem Organismus.

Durch Musik kann man sich ja auch kennenlernen, weil sie - anders als Sprache - direkter wirkt. Haben Sie diese Erfahrung gemacht?

Ja! Wirst du mit einer Sprache konfrontiert, die du nicht verstehst, kann das total anstrengend sein. Es redet jemand auf dich ein, du hast aber keine Ahnung davon, selbst wenn der Gesichtsausdruck sagt, dass die Geschichte total spannend ist. (lacht) Bei der Musik wiederum fällt der Stress ab. Ihr kannst du lauschen und folgen, selbst wenn sie ganz fremd ist und wenn es andere Rhythmen oder Skalen sind. Gleichzeitig bekommst du ein Gefühl für die Menschen, die die Musik machen.

Sie hatten am Anfang Ihrer Karriere mit viel Kritik zu kämpfen. Lernt man mit der Zeit, sich ein dickeres Fell zuzulegen?

Nein, mein Fell wird nicht dicker. Auf der jüngsten Tour habe ich mit dem Lied Meiner Seel die Coronaleugner besungen, die Fakten einfach nicht wahrnehmen wollen und sich ihre eigenen Fakten erfinden, nur damit sie sich eine einfache Lösung zurechtzimmern können. Deswegen habe ich einen ziemlichen Shitstorm geerntet. Es trifft mich total, dieser Hass und diese Dummheit. Da kommt dann schon der Reflex auf: Vielleicht sollte ich über das Thema nicht mehr reden. Aber dann ist der nächste Gedanke: Wenn ich nicht so sein darf, wie ich bin, dann brauche ich nicht auf die Bühne gehen! Es erstaunt mich auch. Die Leute kennen mich, aber warum gehen manche zu meinen Konzerten und regen sich dann über Sachen auf, die ich sage? Immer wieder mal wird es in Österreich laut, dass ich nur unterhalten soll - aber nicht mehr. Aber es nutzt eh nix, wenn sie das wollen. (lacht)

In einigen Liedern haben Sie auch die Klimakrise angesprochen. Denken Sie, dass wir uns als Gesellschaft noch ändern können und die Dringlichkeit des Problems wahrnehmen?

Ich bin nicht so optimistisch. Die Katastrophen werden größer werden. Ich tue mir echt schwer damit, wenn ich an meine Kinder und Kindeskinder denke, womit sie umgehen müssen. Das ist so krank! Unlängst habe ich eine kleine Notiz gesehen: Der Plastikmüll in den Weltmeeren hat sich seit 2004 versiebenfacht. Wie lange wissen wir schon, dass das so nicht geht? Aber es gibt keine Reaktion. Vielleicht werden wir wirklich erschlagen von zu vielen Meldungen, die einen Handlungsbedarf nach sich ziehen sollten, dass wir schon einen Totstellreflex haben. Erst wenn der Leidensdruck groß genug ist, sind wir bereit, irgendetwas zu ändern in unseren Gepflogenheiten. Offenbar ist das einzige, was uns bleibt, uns anzupassen an immer dramatischere Bedingungen.

Dem Glauben begegnet man in Ihrem Werk immer wieder. Welche Rolle spielt er aktuell in Ihrem Leben?

Eine ganz große, denn ich glaube an mich. (lacht) Das musst du schon! Natürlich kannst du zweifeln, das gehört dazu. Es braucht auch ein Hinterfragen, ob etwas noch gilt. Was jetzt die Figur eines Gottes angeht oder einer Allmächtigen: Das ist so abstrakt, dass es sich dem Denken entzieht. Darum ist das Glauben keine Denksache, sondern ein Gefühl, das aus dem Bauch oder Herz kommt. Und es ist sicher etwas, was man üben und trainieren kann. Lange habe ich den Glauben mit der katholischen Kirche verbunden. Sicher bis zu meinem zwölften oder dreizehnten Lebensjahr habe ich gedacht: Wenn ich in die evangelische Kirche gehe, dann komme ich in die Hölle. (lacht) Irgendwie ist es sehr absurd, dieses Religiöse. Vielleicht ist es am besten vergleichbar mit der Musik: Es gibt viele Ansätze, wie man Musik machen kann - und so gibt es auch viele Ansätze, wie man zum Glauben kommt. Keiner ist richtiger oder falsch. Aber am Ende geht es eigentlich um dasselbe, nämlich um eine Demut, dass man nicht das Ende der Fahnenstange ist. Also diese Balance, dass ich zwar nicht für alles verantwortlich bin, aber dennoch tue, was in meinen Möglichkeiten steht. Hilft dir selbst, so hilft dir Gott - das ist ein toller Spruch. Ich für mich habe das Gefühl, ich bräuchte die Religion nicht - aber ich bin mir nicht sicher, ob ich die Religionen nicht brauche.

Die heutige Musiklandschaft wird von Plattformen wie Spotify oder TikTok und deren Algorithmen dominiert. Wie geht der Musiker Hubert von Goisern damit um, beeinflusst Sie das irgendwie?

Nein, tut es nicht. Beim Album Zeiten & Zeichen gab es von vielen Seiten den Vorwurf, dass es ein komplettes Durcheinander ist. Hätte ich die Lieder einzeln veröffentlicht, hätte sich aber niemand aufgeregt. Viele haben auch gefragt, wozu ich überhaupt noch ein Album mache. Ich trage mich oft mit dem Gedanken, überhaupt nichts mehr zu veröffentlichen, sondern nur mehr live zu spielen. Das einzige, was mich bisher davon abgehalten hat, ist, dass alles mitgeschnitten wird. Es kommt dann irgendwas in einer beschissenen Qualität ins Netz. Aber vielleicht lande ich trotzdem irgendwann dort, dass ich keine Musik mehr im Studio produziere, sondern einfach nur noch Musik mache.

Was empfehlen Sie jungen Kolleginnen und Kollegen, wie Sie mit solchen Dingen umgehen sollen?

Ich kann ihnen nur raten, ein Publikum zu gewinnen. Und das machst du live. Es hängt schon auch mit den Persönlichkeiten zusammen. Gehst du auf die Bühne, dann musst du die Musik auch leben. Du kannst nicht Punk machen und Bankbeamter sein. Das weiche B lässt sich nicht austauschen.

Abgesehen von den für 2023 bereits angekündigten Konzerten: Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

Ich habe schon eine Setlist gemacht für nächstes Jahr. Die Vorgaben sind anders, weil wir nur Open Air spielen, was schon schwieriger ist. Es gibt zwar tolle Kulissen, aber an den Rändern franst es aus. Dementsprechend wird das neue Programm weniger Balladen haben. Ich habe das Gefühl, dass es das letzte Mal ist, wo ich richtig laut werden will. Danach werde ich auf jeden Fall eine Pause machen. Ich möchte gerne wieder schreiben, was ich lange nicht wollte, weil mich der Erfolg des Romans so eingeschüchtert hat. (lacht) Aber jetzt ist der Schreck vorbei, und ich habe wieder Lust. Ob es wirklich gelingt, weiß ich nicht. Und bei der Musik weiß ich erst recht nicht, was daherkommt. Es ist ganz gut, immer wieder mal wegzugehen und nicht dauernd unter Strom zu stehen.

Hubert von Goisern wird 70

BR24 Retro 17. November 2022

Der in Bad Goisern am Hallstättersee geborene Hubert Achleitner, besser bekannt als Hubert von Goisern, präsentierte 1992 zusammen mit den Original Alpinkatzen am Dachstein seine neue Platte. Heute wird einer der Großen des Alpenrock 70 Jahre alt.