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DISPUTATIONES

"Der Unfrieden ist in mir selbst"

Salzburger Nachrichten 17. Juli 2021 | Text: Josef Bruckmoser

Kann Musik zum Frieden beitragen? Oder ist es wie mit der Religion, die dem Frieden ebenso dienen kann wie der Kriegshetze? Ein SN-Gespräch mit Hubert von Goisern über Zorn, Disharmonie und Melodien des Friedens.

Pax – Frieden suchen, stiften, erhalten ist das Thema der "Disputationes" zur Ouverture spirituelle der Salzburger Festspiele 2021. Hubert von Goisern wird sich dabei mit "Melodien und Tonarten des Friedens" auseinandersetzen. Die SN sprachen mit dem international erfolgreichen Musiker über seine Initiativen für den Frieden – und welche Grenzen er in der Musik dabei erlebt hat.

Stimmt die Auffassung, dass Musik friedenstiftend sein kann?

Eine für alle gültige Friedensmelodie gibt es nicht. Eine sanfte, vertraute Melodie kann bei denen, die sie singen, und bei denen, die sie kennen, eine friedvolle Stimmung bewirken, aber nicht unbedingt bei Menschen, die gar keinen Zugang zu dieser Kultur haben. Musik ist keine universale Sprache.

Es gibt in einer Melodie also nicht den emotionalen Funken, der alle in derselben Weise anspricht – unabhängig von ihrer Kultur?

Melodien und Tonarten des Friedens gibt es jeweils nur innerhalb einer Kultur. Man kann sich quasi nur selbst befrieden. Für die anderen kann diese Melodie alles und nichts bedeuten. Der Anspruch, die Welt mit Musik auf den Weg des Friedens zu bringen, ist vermessen. Musikalische Traditionen sind nicht inklusiv. Wenn ich mit meiner Musik in anderen Kulturkreisen aufgetreten bin, ob in Afrika, Asien oder Amerika, habe ich nicht selten das Gefühl gehabt, dass ich dort manche Leute zwangsbeglücke.

Wie haben Sie trotzdem den Draht zu Ihren Konzertbesuchern gefunden?

Wirklich verbindend ist das, was man miteinander tut. Das Verweben des Hörens mit der Bewegung löst eine Gemeinsamkeit aus. Wenn ich nach Afrika gehe und meine Musik spiele, entsteht erst dann etwas Gemeinsames, wenn die Menschen mittanzen, weil ihnen die Musik in die Glieder fährt. Sicher hilft auch ein Bindeglied, ein einheimischer Kollege oder Impresario. Meine interkulturellen Kooperationen sind nie über die Musik selbst gegangen, sondern immer über Menschen, die gesagt haben, machen wir etwas miteinander.

Sie waren mit Exil-Tibetern auf Tournee. Wie nahe sind Sie dieser Musik gekommen?

Zunächst gar nicht. Ihre Klangwelten sind mir anfangs fremd geblieben. Aber die Zeit zusammen im Tourbus mit 25 Menschen aus Tibet hat mir ihre Geschichten und Schicksale nähergebracht. Es hat dann noch zwei Jahre gedauert, bis wir unsere musikalischen Welten verbinden konnten.

Warum werden fremde Melodien und Tonarten als Disharmonie empfunden?

Disharmonie und Unfrieden sind nicht unbedingt etwas von außerhalb. Das ist zumeist ein Zustand in uns selbst. Wenn ich wirklich in meiner Mitte bin, kann ich keinen falschen Ton empfinden. Alles, was ich höre, kann ich dann einbinden. Jeder kennt das: Es gibt Tage und Momente, in denen wir alles und jeden umarmen könnten. Tage der ultimativen Harmonie, an denen es keine Dissonanzen gibt.

Unfrieden wächst aus dem Empfinden von falschen Tönen. Die Herausforderung für den Frieden ist, dass ich die Melodien der anderen so hören kann, dass sie in mir keine Disharmonie erzeugen. Dafür brauche ich Harmonie in mir selbst. Wenn ich die nicht schaffe, bin ich gefährdet.

Trotz aller Skepsis ist der Frieden ein wichtiges Thema in Ihrem Schaffen.

Wirklich arbeiten tu ich am Frieden in mir selbst. Da habe ich das Gefühl, da kann ich etwas bewirken und es ist nicht übergriffig. Aber es gibt viele "Geisterfahrer" auf der Welt, viel Zorn, Unverständnis und Unversöhnliches. Ich schließe nicht aus, manchmal selber Anlass dafür zu geben. Auch mit meinen Liedern. Musik ist für mich ein Seelenspiegel. Ich weiß, gute Musik hat eine verführerische Wirkung. Je besser sie ist, desto stärker ihre emotionelle Beeinflussung.

Welche Mittel außer der Musik haben Sie noch, um zur Harmonie beizutragen?

Da gibt es vieles: Bücher lesen, Brot backen, körperliche Bewegung, das Ins-Schwitzen-Kommen. Und die eigene Kreativität, die auch schweißtreibend ist. Ein Philosoph hat gesagt, es braucht die Überanstrengung. Dem kann ich viel abgewinnen. Wenn ich über die Anstrengung hinausgehe, dann spüre ich sie nicht mehr, dann bin ich im Flow. In einem Zustand, in dem ich nicht mehr darüber nachdenke, wie anstrengend es ist. Dann bin ich in einem anderen Bewusstseinszustand.

Bei den "Disputationes" geht es auch um das Thema Religion und Frieden. Wie sehen Sie das?

Unter diesem Aspekt sehe ich Religion und Musik ähnlich. Beides kann Frieden fördern, aber auch Menschen aufwiegeln. So sind wir! Diejenigen, die nicht unsere "Lieder" sin- gen, sind die anderen. Genauso ist es mit der Religion.

Religionen sind für mich brüchig gewordene Zufluchtsorte, wohin wir uns aber noch immer zurückziehen können, wenn wir Deckung und Schutz brauchen. Religionen können Kraft geben, Ängste nehmen, Gemeinschaft stärken. Können uns helfen, nicht in Hybris zu versinken, sondern unter einer letzten Verantwortung zu stehen. Die ethischen Regeln der Religionen haben ihre Bewährungsproben über viele Generationen gehabt – und so manche dieser Proben nicht bestanden. Es reicht sicher nicht zu sagen, irgendwer habe das vor 4000 Jahren im Zweistromland abgestempelt. Wenn Religionen überleben sollen, dann müssen sie ihre Fenster und Türen offen halten.

Was ist für Sie das, was über uns ist?

Das Göttliche. Die Schöpfung, von der wir Menschen ein Teil sind. So wie jeder Spatz, Käfer und jede Ameise. Und wenn ich meinen Zorn im Griff habe, auch den "heiligen" Zorn, erkenne ich Gott auch in jenen, die mir zuwider sind.

Pflegen Sie eine religiöse Praxis?

Leider selten. Ich sage leider, weil ich im Alter von 35 Jahren in der Augustinerkirche in Wien tolle Messen mitgefeiert habe, mit tollen Predigten und einer tollen Musik. Dann wurden Pfarrer, Orchester und Chor aus kirchenpolitischen Gründen zwangsentfernt. Da habe ich mit der Institution Kirche gebrochen. Ich kann und will aber nicht leugnen, dass ich mir den Wert des Heiligen bewahrt habe.