DeutschEnglish

INTERVIEW

Von Goisern und Menschen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25. Mai 2008 | Text & Foto: Andreas Lesti

Ein Barde, ein Populist und Schuhe für die Ewigkeit. Wie Bad Goisern seine Söhne formt.

Bad GoisernGoisern, Goisern,
Es is a Graus,
Allweil wieder muaß i z'ruck
zu dir,
Sonst halt i's nimmer aus.


(Goisern, Hubert von Goisern)

Auf der Halleralm oberhalb von Bad Goisern sitzt der Mann, der den Namen des Ortes trägt, und sagt: "Früher hatte ich das Gefühl, dieses Tal hat mich ausgespuckt. Heute kann ich mir gut vorstellen, hier alt zu werden. Hier ist ein guter Platz, um zu reflektieren." Hubert von Goisern, Alpenjodler, Liedermacher und Weltmusiker, sitzt auf einer Holzbank und wirkt sehr entspannt. Seine 56 Jahre sieht man ihm nicht an, nur wenn er lacht, ziehen sich die Falten über sein Gesicht. Ein Bach plätschert, die Vögel zwitschern, und hinter den Almwiesen mit ihren gelben Blumen zieht sich der dunkle Wald hinüber bis zum Hallstätter See. Dahinter strahlen die Gletscher des Dachsteins über das Tal. Auf dem Boden liegt Hund Bongo in der Sonne.

Hubert von Goisern ist der eine, Jörg Haider der andere bekannte Sohn Bad Goiserns. Und es ist schon interessant, wie so ein kleiner Ort im inneren Salzkammergut zwei so unterschiedliche Charaktere hervorbringen kann. Denn Haider, der zwei Jahre älter als Hubert von Goisern ist, kann in seiner Gesinnung als rechtspopulistischer Politiker als das glatte Gegenteil von Hubert von Goisern bezeichnet werden. Und doch ist auch Haider in Bad Goisern aufgewachsen, hat die gleiche Bergluft geatmet und ist in die gleiche Grundschule gegangen. Um diese Frage zu beantworten, muss man zum Bürgermeister und zum Schuster von Bad Goisern. Der Weg führt hinunter ins Ortszentrum. Und hier ist alles, was zu einem Ort wie Bad Goisern dazugehört: neben der Kirche die Bäckerei, neben der Volksschule das Tourismusbüro, neben der Eisdiele "Boutique del Gelato" das Sportgeschäft, neben der Apotheke "Edelweiß" die Bank. Am Marktplatz verkaufen Frauen Margeriten, und die Kinder, die hier herumspringen, sagen mit großen Augen "Griaß di" und "Pfiat di". Der Bürgermeister von Bad Goisern heißt Peter Ellmer und ist ein Mann, den man in seiner heimischen Ledertracht als fesch bezeichnen kann. Ellmer ist von der SPÖ, und diese stellt auch in Gosau, Hallstatt und Obertraun, den anderen drei Gemeinden im Tal, die Mehrheit, weil die Gegend durch den Salzabbau von einer Arbeiterstruktur geprägt ist. "Das hier ist der Red Canyon", sagt er.

Als er hört, dass es um Jörg Haider und Hubert von Goisern geht und den Graben, der zwischen den beiden liegt, überlegt er kurz und sagt dann: "Die Menschen hier haben immer gut gelebt, sie waren zwar nicht reich, aber immer sehr selbstbewusst. Ich glaube, auf diesem Boden sind das Revoluzzertum und die Kreativität entstanden, für die unser Ort steht." Hubert von Goisern sei, genau wie Jörg Haider, so eine Persönlichkeit mit Selbstbewusstsein. Und auch wenn Bad Goisern immer noch vom Nationalen und der Vergangenheit geprägt sei, wäre einer wie Jörg Haider mit seinem Gedankengut in Bad Goisern nicht groß geworden. Deswegen sei der eine weggegangen. Im Ort erinnert man sich noch daran, wie Haider, als er schon Landeshauptmann in Kärnten war, einmal nach Bad Goisern gekommen war und einen weißen Anzug und weiße Schuhe trug und große Reden schwang - viele sagen, das hätte man ihm bis heute nicht verziehen. Der andere dagegen, Hubert von Goisern, ist immer bodenständig geblieben und "zu einer Marke wie der Goiserer Schuh geworden", sagt der Bürgermeister.

Der Hubert mache mittlerweile die beste Werbung für den Ort, nicht zuletzt, weil er mit seiner Musik auch die Philosophie Bad Goiserns ausdrücke: "Nicht konservieren, aber trotzdem die Tradition nicht vergessen."

Goisern, Goisern,
Du gibst koa Ruah,
Deine Berg und deine Wiesen,
De g'hern halt,
Zu mir dazu

Der Goiserer Schuh führt zu einem weiteren Original, dem Schuhmacher Rudolf Steflitsch-Hackl, dem "Schuster von Goisern", wie er sich selbst bezeichnet. Steflitsch-Hackl ist ein schlanker Mann in einem grünen Arbeitskittel, mit einer sonoren Stimme. Und wer bei ihm einen "maßgeschneiderten, handgefertigten und zwiegenähten" Schuh bestellt, muss 12 bis 14 Monate warten und mindestens 700 Euro dafür bezahlen. "Den Goiserer", erzählt Steflitsch-Hackl, als er durch die Schuhmacherei führt, "hat mein Großvater erfunden, und heute ist dieser Schuh in der ganzen Welt bekannt - bekannter als Bad Goisern." In einem dunklen Raum sitzen zwei Männer auf Schemeln und ziehen Fäden durch halbfertige Berg- und Haferlschuhe. Es riecht nach Leder. Dass der Schuh so bekannt sei, liege daran, dass etwa ein Drittel seiner Kundschaft prominent sei. Arnold Schwarzenegger hat einen Goiserer, Edmund Stoiber, die ganze Familie Strauß, und sogar der Scheich von Dubai habe einen. Auch dessen Füße hat der Schuhmacher deshalb vermessen. Genauso wie er die Füße von Jörg Haider und Hubert von Goisern vermessen hat, die ebenfalls zu seinen Kunden zählen. Und das schon allein aus einer familiären Verbundenheit heraus. Denn sowohl der Vater von Jörg Haider als auch der Großvater von Hubert von Goisern hätten einmal in dieser Schuhmacherei gearbeitet.

Geht man vom Schuhmacher wieder zum "Moserwirt" und zweigt dort links in die Gasse ab, dann gelangt man hinauf Richtung Lasern. Ein paar hundert Meter über den Bauernhäusern, die sich hier aneinanderreihen, erheben sich der Felsen der Ewigen Wand und der Predigtstuhl. Eines der alten Bauernhäuser hat dunkelgrüne Fensterläden mit roten Herzen. Dort lebt noch heute Haiders 89-jährige Mutter Dorothea Haider. Ein Gespräch über ihren Sohn würde sie sofort abbrechen, so war schon vor dem Treffen zu erfahren, wenn es "bösartig" würde.

Nun sitzt die alte Frau im Stüberl des Hauses an einem Holztisch mit einer schweren Tischdecke und Trockenblumen darauf und erzählt liebevoll über "unsern Jörg" und sagt: "Man kann über die Goiserer überhaupt nichts sagen." Die seien immer noch alle so tüchtig und nett wie der Jörg. An dessen Kindheit in Bad Goisern kann sie sich sehr genau erinnern: "Er war oft für die Nachbarn einkaufen und hat die Zeitung geholt." Der Jörg blickt hinter ihr in heroischer Pose von einem Foto.

Doch "der Jörg" hat nach dem Abitur und einem Jahr beim Militär das Tal verlassen, studierte in Wien, wurde in der Politik aktiv und 1989 Landeshauptmann in Kärnten, wo er seither lebt, erzählt sie und zwinkert durch ihre Brille. Ob der Jörg denn heute noch zu seiner Heimat steht? Die Antwort kommt schnell und wirkt ein wenig empört: "Aber sicher steht er zu seiner Heimat."

A woanders,
G'fallts ma oft
Aber dann ganz unverhofft,
Rührt se plötzlich was in mir,
Und z'ruck, z'ruck muaß i zu dir

Hubert von Goisern war viel unterwegs, in letzter Zeit. Er ist mit einem Konzertschiff auf der Donau von Linz zum Schwarzen Meer gefahren und hat auf dem weg dorthin Konzerte gegeben. Zurück kam er mit so vielen neuen Ideen, dass er mit seiner Band sofort ins Studio ging, um eine neue CD einzuspielen. Sie trägt den Titel S'Nix und ist soeben erschienen.

Und jetzt ist "der Hubert", wie man den Mann, der eigentlich Hubert Achleitner heißt, in Bad Goisern nennt, wieder in seiner Heimat. Und genießt es, schlendert durch die Straßen und plaudert mit den Menschen, die ihn fragen, ob es noch Karten für sein Konzert gäbe. Nächsten Samstag spielt Hubert von Goisern seit vier Jahren wieder einmal in Bad Goisern - und präsentiert seiner Heimat die zwölf neuen Lieder. Oben auf der Haller Alm sagt er: "Es ist wieder ein lauteres und poppigeres Album geworden. Ich hoffe, ich erschrecke die Leute hier nicht zu sehr. Aber ich kann ja nicht ewig Volksmusik spielen." Und lächelt.

Ein Goiserer Original ist auch Toni Rosifka, der seit vier Jahren hoch oben auf 2063 Metern an der Südseite des Krippensteingipfels in einer Holzhütte lebt. Er trägt eine Strickmütze, unter der seine langen, dunklen und von grauen Strähnen durchzogenen Haare hervorschauen, und eine Sonnenbrille, die in der Mitte mit einem silbernen Klebeband zusammengehalten wird. Der 62-Jährige ist Bergführer und hat die Gebirge der Welt gesehen. Doch auch Toni Rosifka ist schließlich hierher zurückgekommen. "Du hast hier alles: den See, den Wald, schöne Wanderwege, ein Quantum an Freiheit, Gletscher, Gipfel und tausend Meter hohe Kletterwände. Der Dachstein ist das perfekte Gebirge schlechthin." Er weiß sehr genau, wovon er spricht. 27 Jahre lang war er Wirt der nicht weit entfernten "Simonyhütte", von wo aus er ungezählte Kunden auf den Dachsteingipfel führte. "Einen Sommer habe ich mal mitgezählt", sagt er. "Da war ich 67 Mal oben."

Eines Tages im Sommer 1992 kam der Hubert von Goisern auf die Hütte und erzählte, dass er mit einer Band namens Alpinkatzen das Lied Koa Hiatamadl aufgenommen hat. "Ich habe sofort gemerkt, das ist einer, der ist authentisch. Das passt", erinnert sich Rosifka. Und aus einer Laune heraus schlossen sie eine Wette ab: Wenn das Album Aufgeigen statt Niederschiassen mit Gold ausgezeichnet würde, dann würde er, Toni Rosifka, das ganze Team samt Band und Management auf den 3004 Meter hohen Dachsteingipfel führen. "Im November war es dann so weit", erzählt Toni Rosifka und lacht ein Lachen, das klingt wie bei Barney Geröllheimer: eine sehr lustige und heisere Abfolge von Hihihi-Tönen. Im Treppenhaus der "Simonyhütte" hätten er und sein Bergführerteam mit der Gruppe noch die Sicherungstechniken geübt. "Wir sind bei über einem Meter Neuschnee hoch. Aber wir haben alle rauf und wieder runter gebracht. Zwanzig Leute, die fast alle bergunerfahren waren." Toni lacht wieder sein Geröllheimerlachen.

Neun Jahre später ist Hubert von Goisern an den Dachstein zurückgekehrt, auf den Krippenstein, um genau zu sein, dorthin, wo Toni Rosifka heute lebt. Dort steht nämlich nicht nur die Lodge, sondern auch das Berghotel "Krippenstein", ein großer, grauer Klotz, in dessen unterer Etage sich die Bergstation der Seilbahn befindet, aber sonst seit Jahren leer steht. In diesen Räumen haben von Goisern und seine damalige Band die CD Trad II aufgenommen, die, wie schon die CD Trad, aus Interpretationen von traditionellem Liedgut aus den umliegenden Tälern besteht. Eines davon trägt den Titel Abend spat, und Hubert von Goisern hat erst, nachdem er es im Berghotel eingespielt hat, erfahren, dass es sich dabei um eines der Lieblingslieder Adolf Hitlers gehandelt hat. Hubert von Goisern sagt heute: "Als ich das erfahren habe, war es für mich ein Grund mehr, es zu machen. Das kann man doch nicht diesen Leuten überlassen. Ein schönes Lied kann ja nichts dafür, wenn es wem gefällt, den man nicht mag." Er spricht langsam, bedächtig und sagt dann: "Außerdem ist Musik viel größer, als Politik es je sein kann."

Goisern, Goisern,
I steh auf di,
Und i steh a auf dei oanfachs,
Und abgnudlds
Jodl-ei-ti