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FEDERN

"Ich will mich verschwenden!"

Woman 20. April 2015 | Text: Katharina Domiter | Foto: © Philip Horak

Am 8. Mai bringt Hubert von Goisern sein neues Album "Federn" auf den Markt. Wir sprachen mit dem Ausnahmekünstler über die Fehler unserer Politiker, Glück und Kindererziehung.

Hubert von Goisern

Zehn Monate hat 's gedauert, bis wir bei Musiker Hubert von Goisern (bürgerlich Hubert Achleitner), 62, einen Termin für ein Interview bekommen haben. Im Juli vergangenen Jahres, als wir zum ersten Mal angefragt haben, war er gerade damit beschäftigt, intensiv an neuen Liedern zu basteln. Zeitgleich wurde mit Hochdruck an einem Dokumentarfilm über das Leben des Künstlers gewerkelt. Mit Erfolg. Am 8. Mai erscheint das Album Federn. Zwei Wochen davor, am 23. April, läuft Brenna tuat's schon lang in den heimischen Kinos an. WOMAN traf den gebürtigen Oberösterreicher und Zweifachvater (Anm.: Niko, 27, und Laura, 21), der in Salzburg und auf der ganzen Welt zu Hause ist, im Hotel Altstadt Vienna. Und erlebte einen besonnenen Querdenker, der ohne viel Radau, dafür mit leisen Tönen, einiges bewegt und andere inspiriert.

Der erste Song auf Ihrem neuen Album heißt Snowdown und handelt von politischer Wahrheit. Wofür gehen Sie auf die Barrikaden?

Auf die Barrikaden bin ich überhaupt noch nie gegangen. Ich war in meinem Leben auf zwei Demos und hab 's bereut. Ich hatte jedes Mal Angst vor den Parolen und dieser Dumpfheit, die dabei entsteht. Über meine Musik aber möchte ich zum Ausdruck bringen, was mich bewegt. In Zeiten wie diesen regt mich auf, dass im stinkreichen Mitteleuropa viele Leute unter der Armutsgrenze leben und sich mit unterbezahlten Jobs über Wasser halten müssen. Und unsere Politiker sind unfähig, denen Herr zu werden, die dauernd den Rahm abschöpfen und kaum oder keine Steuern zahlen. Da bin ich fassungslos!

Was wäre Ihre Lösung?

Goisern: Ich würde um jeden Preis versuchen, Steuerflucht zu bekämpfen. Auch die prekären Arbeitsverhältnisse, die es bei vielen großen Institutionen in Österreich gibt.

Klingt sehr engagiert! Nichts wie rein mit Ihnen ins politische Geschehen!

Bitte nicht! Ich bin zu sensibel und dünnhäutig für dieses Metier. Egal, was man sagt: Von irgendwem ist man immer der Feind.

Wie wichtig ist es Ihnen, wählen zu gehen?

Ich hab das Gefühl, mit gutem Beispiel vorangehen zu müssen. Ich habe Kinder und möchte nicht daheim sitzen und sagen: Geht ihr nur schön wählen! Es gibt natürlich in so gut wie allen Parteien Leute, die integer sind und was Sinnvolles bewirken wollen. Das Problem aber ist: Die, die das Sagen haben, werden nichts tun, damit sich an unserem System etwas ändert. Denn das könnte bedeuten, dass sich damit auch ihr Standing ändern würde. Ohne Revolution wird sich da nicht viel tun. Aber wir müssen endlich nationale und internationale Solidarität umsetzen. Wir leben auf Kosten anderer. Dass es uns so gut geht, ist nur möglich, weil es einem Haufen anderer schlecht geht.

Sie sind oft auf Reisen auf der ganzen Welt unterwegs, demnächst geht es nach Grönland. Was treibt Sie an?

Reisen ist bewusstseinserweiternd, weil man sein eigenes Leben von außen betrachten kann. Alles schaut anders aus, riecht und schmeckt anders. Du kannst nicht mehr reflexartig durch den Tag gehen, sondern musst über alles nachdenken. Das ist anstrengend und gleichzeitig erhellend, weil du dich auf dein Umfeld einlassen musst. Es verschafft dir einen Blick von außen nach daheim, und du merkst, dass du vieles nur machst, weil du es so gewohnt bist. Oder weil es Tradition hat. Aber nur weil etwas 200 Jahre lang so gemacht wurde, ist es nicht automatisch gut. Man muss drüber nachdenken.

In einem Interview mit einem deutschen Magazin haben Sie erzählt, dass Sie sich auf Ihren Reisen kaum bei Ihrer Familie melden.

Die ersten Tage denke ich oft an sie und ruf an, um zu fragen: "Passt eh ois?" Dann kippe ich rein in diese andere Welt und will mich ganz auf das einlassen, was dort ist. Ich bin sehr oft in Gebieten, wo es keinen Handyempfang gibt. Aber auch meine Familie schätzt es, wenn wir Abstand voneinander bekommen. Das gibt einem die Möglichkeit, selbst zurechtzukommen. Es ist nicht immer leicht, weil man auf sich selbst zurückgeworfen und auf sich allein gestellt ist, aber es ist wichtig.

Worin sehen Sie eigentlich Ihre Lebensaufgabe?

Ich will mich verschwenden! Es hat keinen Sinn, sich zurückzuhalten. Das Leben in seiner Fülle zu leben, soweit es einem möglich ist, und sich nicht für das Jenseits aufzusparen -darin liegt für mich die Aufgabe.

Wie viel Einfluss hat man selbst darauf, glücklich zu sein?

Einen sehr, sehr großen. In vielen Situationen ist es schwierig, glücklich zu sein, weil die Umstände dagegensprechen. Da ist es leichter gesagt als getan, dem Leben etwas Schönes abzugewinnen. Aber es ist möglich! Das eigene Unglück hängt viel mit einem Verhaftetsein zusammen. Und mit der Einstellung: Nur wenn ich das oder das hab, geht 's mir gut. In schweren Zeiten muss man Loslassen lernen - von Menschen, Dingen und manchmal auch der Heimat. Wenn man das kann, kann man auch in dunklen Zeiten so etwas wie Glück empfinden.

Im Film sagen Sie: "Das Leben ist ein Annehmen von anderen." Mit welchen Menschen tun Sie sich dennoch schwer?

Mit solchen, die offensichtlich unehrlich sind, weil es dann keinen Dialog mehr geben kann. Wenn jemand ein Lügengebäude auf baut, empfinde ich es als Zeitverschwendung, mich mit ihm zu unterhalten. Da bin ich einigermaßen konsequent und mache mir lieber keine Freunde, als dass ich da mitspiele. Und ich mag keine Leute, die anderen was Böses tun, nur um selbst Profit daraus zu schlagen.

Worauf sind Sie bei sich stolz?

Ich freue mich über vieles, das mir gelungen ist. Ich freu mich darüber, dass ich noch immer den Mut habe, etwas zu machen, das auch schiefgehen kann. Das finde ich wichtig. Aber ob ich darauf stolz bin? Nein. Ich bin froh, dass ich zufrieden bin. (lacht) Und wenn ich jetzt sage, ich bin auf meine Kinder stolz, ist das auch ein Blödsinn. Sie sind, was sie selbst aus sich gemacht haben.

Aber Sie hatten bestimmt auch großen Einfluss auf ihre Entwicklung.

Ja, aber ich schau immer drauf, dass ich mit meinen positiven Einflüssen die negativen ausgleiche und in gewisser Weise neutral aussteige. Der Einfluss, den man auf seine Kinder ausübt, ist auch eine Belastung. Das macht Kinder unfrei. Du sollst Orientierungspunkte geben und ein Leuchtturm für sie sein, aber von allem nicht zu viel.

Hubert von Goisern: "Es gibt so etwas wie ein Gewissen"

Der Standard 18. April 2015 | Text: Michael Völker

Hubert von Goisern bekommt bei Andreas Gabalier einen Ausschlag.
Der Musiker ärgert sich über eine lahme Regierung, nervige Grüne und die Töchter-Debatte

Sie sind sehr viel unterwegs, haben jahrelang im Ausland gelebt. Wo sind Sie zu Hause?

Schon im Salzkammergut.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat bedeutet in erster Linie Vertrautheit, das ist nicht nur das Salzkammergut. Ich war jetzt das dritte Mal in Grönland und habe dort einige Freunde gewonnen. Das ist dann auch ein Heimkommen, wenn man wieder hinkommt, wo man Freunde hat und wo die Silhouette einem vertraut ist. Aber am Stärksten ist das Gefühl im Salzkammergut.

Musikalisch sind Sie breit aufgestellt, probieren immer wieder verschiedene Genres aus und arbeiten mit sehr unterschiedlichen Musikern zusammen. Jetzt hat Sie der Blues gepackt. Wie kommt da Ihr Publikum mit?

Den Blues kennen sie schon. Mit dem bin ich aufgewachsen, er war für mich der musikalische Türöffner. Von dort bin ich eigentlich zurückgekommen in die Volksmusik. Ich dachte mir, man kann die Volksmusik ja auch so spielen, denn das ist ja genau das Bluesschema.

Machen Sie Musik für das Publikum oder muten Sie dem Publikum zu, was Sie gerade interessiert?

Letzteres. Ich könnte nicht für jemand anderen Musik machen, ich mache sie für mich und zähle drauf, dass es einigen gefällt.

Gibt es eine Botschaft, die Sie ans Publikum bringen wollen?

Botschaften mag ich eigentlich nicht, schon gar nicht, wenn sie in Musik hineinverpackt sind. Aber man lernt natürlich ein paar Sachen im Leben und will die weitergeben, wenn man es als brauchbare Formeln oder Weisheiten erkannt hat. Aber ich bin selbst einer, der sich nicht gerne etwas sagen lässt, darum sage ich auch ungern anderen Leuten etwas. Da tu ich mir sogar bei meinen Kindern schwer. Es gibt ein Lebensgefühl, das lege ich auf den Tisch oder auf die Bühne. Ob wer etwas darin findet, ist den Leuten überlassen. Ich möchte kein Missionar oder Botschafter sein.

Ein Weltverbesserer sind Sie also nicht?

Nein. Das trau ich mir nicht zu, das trau ich überhaupt niemandem zu. Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Respekt, Solidarität, solche Geschichten sind wichtig, von denen bin ich auch selbst abhängig.

Ein Lied auf Ihrer neuen CD ist Edward Snowden gewidmet. Nicht jeder ist in der Lage, solche Schritte wie er zu setzen. Was kann man selbst tun, um die Welt besser zu machen?

Das ist doch klar: Wenn man Unrecht sieht, dass man etwas sagt, dass man das seinem Umfeld klarmacht. Das heißt noch lange nicht, dass man die Situation verändert, aber es ist ganz wichtig, dass man dieses Feedback gibt und die anderen wissen, das geht jetzt nicht durch. Es gibt so etwas wie ein Gewissen. Die Leute wissen, was Recht und Unrecht ist. Da kann man sich vielleicht auch dagegen immun machen. Gegen diese Immunität anzukämpfen und statt der Immunität die Sensibilität zu fördern, das finde ich schon wichtig.

Verfolgen Sie die österreichische Politik mit?

Ja, schon.

Und wie geht es Ihnen damit?

Die letzte Fassungslosigkeit ist diese Rauchergeschichte. Das ist ein typisches Beispiel. Wenn man so etwas nicht lösen kann, dann sinkt das Vertrauen.

Jetzt ist es ja gelöst.

Es wird irgendwann gelöst. Warum kann man nicht sagen, ab jetzt gilt das Rauchverbot, und wir gehen vor die Tür? Ich bin selbst auch Raucher. Ich finde es eigentlich lässig, vor die Türe zu gehen. Steht man mit anderen Leuten zusammen. Es ist schon unglaublich zaghaft - und es geht nichts weiter.

Finden Sie, dass Sie genug Steuern zahlen, zahlen Sie zu viel oder könnten Sie sich vorstellen, mehr zu zahlen?

Ich kann mir vorstellen, mehr zu zahlen. Ich habe es selbst erlebt, von der Hand im Mund zu leben und von der Unterstützung anderer abhängig zu sein. Ich habe nie Notstandshilfe in Anspruch genommen, auch wenn ich nichts verdient habe. Ich hab mir gedacht, das ist mein persönlicher Film, dass ich dieses Leben leben will, und das will ich mir nicht finanzieren lassen durch Leute, die arbeiten und vielleicht einen Job machen, der ihnen nicht taugt, und dafür Steuern zahlen. Die müssten dann mich erhalten, der machen will, wovon er träumt. Ich kenne die Situation, wo man nichts hat, wo man keinen Kredit kriegt für irgendetwas. Dann kommt man plötzlich in die Liga, wo einem nichts mehr abgeht, wo man reich ist. Dann geht auf einmal alles so leicht. Dann kann man abschreiben, dann kann man es sich richten. Das finde ich nicht gut. Echt nicht. Dass die, die nichts haben, es so schwer haben, dass sie irgendwie über die Runden kommen. Und kaum hat man diese Schwelle überschritten, stopft man es dir hinein. Jetzt bin ich aber trotzdem immer noch ein kleines Radl. Das potenziert sich dann noch einmal, wenn es in die richtig großen Firmen hineingeht wie Amazon oder Apple, die dann überhaupt keine Steuern mehr zahlen. Ich zahle immerhin noch 50 Prozent Steuer von dem, was überbleibt. Das kann doch nicht sein, dass die Politik das nicht in den Griff kriegt und von der Wirtschaft vor sich hergetrieben wird. Mir ist das ein Rätsel, dass hier keine Solidarität aufkommt. Es gibt die EU und die Möglichkeit, dass viele Staaten an einem Strang ziehen, und es passiert noch immer nichts.

Können Sie sich vorstellen, sich politisch zu engagieren?

Nein, ich würde das nicht aushalten. Denn egal, für welche Partei man brennt, man macht den Mund auf und wird mit Dreck beworfen von allen Seiten. Ich würde das persönlich nehmen. Ich weiß nicht, ob ich dazu fähig wäre.

Gerade in dem Genre, aus dem Sie kommen, gibt es viele Vereinnahmungsversuche.

Es sind eigentlich nur die Grünen auf mich zugekommen, das war in den 1990er-Jahren. Im Herzen bin ich eh ein Grüner, mit fortschreitendem Alter nerven sie mich zwar auch. Vielleicht geht das mit einer Enttäuschung einher, dass nicht mehr daraus geworden ist. Trotzdem muss man froh sein, dass es die Grünen gibt. Dass diese Denke und diese Farbe in unseren Köpfen eine Rolle spielt. Vor zehn, zwölf Jahren habe ich meinen Unmut bei den Grünen geäußert, weil nichts weitergegangen ist und weil sie sich so schlecht verkauft haben. Ich wollte bei einem Parteitag zuhören kommen und ihnen ein Feedback geben. Das wäre nicht möglich, haben sie mir gesagt, weil ich kein Mitglied war. Ich habe sie seit zehn Jahren unterstützt, aber es war einfach nicht möglich. Die sind ja genauso arg, wenn nicht ärger als die anderen Parteien. Man muss in diese Strukturen rein, muss sich raufdienen, und dann darf man auch einmal was sagen.

Sie haben der FPÖ verboten, Ihre Musik auf Parteiveranstaltungen zu spielen. Wird das eingehalten?

Es hat einen Wiederholungsfall gegeben. Ich habe sie gebeten, davon Abstand zu nehmen. Das war mein Wording, mehr kann ich nicht machen, das wissen sie. Wenn sie sich darüber hinwegsetzen, nutzt es auch nichts, wenn ich dreimal aufstampfe.

Was halten Sie von Andreas Gabalier?

Vor drei Jahren haben wir beide zwei Amadeus Awards bekommen. Sein Management wollte unbedingt ein gemeinsames Foto. Ich habe Ausschlag bekommen. Und habe mich aber auch nicht Nein sagen getraut. Es war ein ungutes Gefühl, und ich habe es aber trotzdem gemacht. Ich habe gedacht, es ist unfair, dass ich den nicht mag. Ich kenn ihn überhaupt nicht. Nur weil er Musik macht, die mir nicht gefällt, ist das kein Grund, den Menschen nicht zu mögen. Aber nach dem, was seither passiert ist, hab ich die Bestätigung. Das spürt man einfach, dass da etwas ist, was einen abbeutelt. Nicht jeden, es gibt ja einen Haufen Leute, die es nicht abbeutelt. Überspitzt ausgedrückt kann man sagen, 30 Prozent der Österreicher sind für solche Sprüche, für so eine Musik und so eine Attitüde empfänglich.

Was sagen Sie zur Töchter-Debatte? Gehören die Töchter in die Bundeshymne?

Natürlich braucht's die Töchter. Wir haben großartige Frauen im Land, auf die wir stolz sein können, warum sollen wir nur die Söhne besingen? Da auf Werktreue zu pochen ist Schwachsinn. Leute, die sagen, das war immer so, das muss so bleiben, das ist ein Blödsinn. Wenn Gabalier sagt, dass er das in der Volksschule so gelernt hat, das würde bedeuten, dass er seit der Volksschule nichts mehr dazugelernt hat. Und wenn er auf Werktreue pocht, dann soll er es bitte so singen, wie die Melodie ist. Das passt ja alles nicht zusammen. Aber länger darauf einzugehen ist schade um die Zeit.

Sie zeigen sich in Ihrem neuen Film sehr naturverbunden. Was finden Sie in der Natur? Könnten Sie sich vorstellen, in der Stadt zu leben?

Ich habe sieben Jahre in Wien gewohnt und mich hier sehr wohl gefühlt. Ich brauche das urbane Umfeld, um kreativ zu sein. In der Natur habe ich nicht das Bedürfnis, zu musizieren, da fallen mir auch keine Melodien ein. Da denke ich nicht darüber nach, da höre ich die Vögel, da höre ich das Rauschen und denke mir, es ist alles perfekt. Ich mag das Archaische der Natur. Ich gehe lieber in die Natur und spür da die göttliche Schöpfung, als dass ich in die Kirche gehe und auf irgendeine Ikone hinschau. Obwohl ich dem auch was abgewinnen kann.

Müssen Sie reisen, um künstlerische Inspiration zu finden, oder spielt sich das im Kopf ab?

Das spielt sich im Kopf ab. Aber ich bin ein neugieriger Mensch und schau auch gerne von außen auf mein Tun und Lassen und mein Leben in Österreich oder in Salzburg. Es hilft schon, die Perspektive zu wechseln.

Sie sind Musiker, waren Schauspieler, haben Mode gemacht, Bücher geschrieben. Was kommt noch, und was kommt ganz sicher nicht?

Es gibt viele Pläne, die ich teilweise schon seit Jahren oder Jahrzehnten mit mir herumtrage. Eine Oper zu schreiben zum Beispiel. Da habe ich das Gefühl, das passiert sicher nicht. Dann kommen wieder Momente, wo ich mir denke, eigentlich könnte ich das schon noch machen. Oder einen Roman zu schreiben. Ich habe das Buch Stromlinien über die Schiffstour geschrieben, die ich gemacht habe. Das war ein Sachbuch, da muss man sehr vorsichtig umgehen mit dem, was man schreibt, das betrifft ja konkrete Personen. Danach habe ich mir gedacht, das nächste Buch, das ich schreibe, ist Fiktion. Da kann man jeden alles sagen lassen, ob es politisch korrekt ist oder nicht. Ideen habe ich ein paar für ein Buch, aber ob das einmal passiert, das weiß ich nicht.

Was bedeutet Sprache für Sie?

Faszinierend. Ist vielleicht die höchste Kulturform, die die Menschheit entwickelt hat. Da kann man viel anrichten damit, sowohl im Positiven als auch im Negativen. Darum bin ich auch ein totaler Verfechter der Töchter in der Hymne. Das sind alles Mantras, darum habe ich auch ein großes Problem mit den monotheistischen Religionen, weil die alle zu einem Gottvater, zu einem Herrn beten. Wenn das über Generationen passiert, dann dominiert das Männliche, dann ist über allen das Zumpferl.

"Amerika hat wirklich wehgetan"

Die Presse 18. April 2015 | Text: Teresa Schaur-Wünsch

Film/Album. Hubert von Goisern erklärt, wieso er ungern Rückschau hält,
Angst vor der Bühne hat – und warum die Arbeit am neuen Album schmerzhaft war.

Wie ist der Film über Ihr Leben entstanden? Ich rate einmal, dass es nicht Ihre Idee war?

Nein, ich war dagegen. Aber Hage (Hein, Anm.), mein Manager, wollte zu meinem Sechziger vor zwei Jahren sowas machen. Eine Werkschau, Rückschau. Weil er beobachtet hat, was mir fast jeden Tag widerfährt, dass jemand kommt und sagt: "So schad', dass Sie aufgehört haben." Es nehmen viele Leute wahr, was ich mache, aber es sind verschiedene Segmente der Gesellschaft, denen das eine oder andere auffällt. Der Rest kommt nicht vor. Dieses Mosaik wollte der Hage zusammenstellen. Ich habe gesagt, ich arbeite da sicher nicht mit. Es ehrt mich, aber ich brauch' das nicht. Ich mag schon reflektieren, auch über das, was ich früher gemacht habe, aber eigentlich bin ich am liebsten im Hier und Jetzt und beschäftige mich nicht mit der Vergangenheit. Das würde mich erschlagen oder hemmen. Ich hab ihm auch gesagt, er braucht jemanden, der weiß, wie man einen Film macht. Ich war überglücklich, als er mir gesagt hat, der Rosi (Marcus H. Rosenmüller, Anm.) ist mit an Bord.

Gezwungenermaßen halten Sie dann doch Rückschau. Wie war es?

Mir gefällt es nicht, diese Bilder anzuschauen. Ich kann darüber reden, wir haben das ja am Boot gemacht. Das war insofern toll, als diese Stille und Zeitlosigkeit herrschten, und der Rosi meine Vita nicht gekannt hat. Da war ehrliche Neugier. Aber sonst – ich höre mir auch meine Musik nicht an. Weil ich so problemorientiert höre. Und mir denke, ah, das hätte besser gemacht gehört. Ein paar Sachen find ich dann schon gelungen. Bei Brenna tuats guat hab' ich gedacht, es ist knapp vorbei, es ist mir nicht wirklich gelungen. Dann ist es zum Riesenhit geworden, und seitdem finde ich es perfekt. Das ist schon auch witzig: dass das auf mich zurückwirkt und ich jetzt die Fehler nicht mehr höre.

Wie haben Sie den Hit erlebt?

Ich hab mich einfach nur gefreut. Dass das aufgegangen ist. Weil viel dagegen gesprochen hat, auch mein eigenes Gefühl. Und die ersten Rückmeldungen von den Redaktionen waren: Ein gesellschaftskritisches Lied braucht kein Mensch, das war in den Siebzigern. Es wurde ja auch von Ö3 ursprünglich abgelehnt. Und dann gab es einen Mutigen, der sich durchgesetzt hat, damit er es wenigstens in der Nacht zwei Mal spielen darf. Auf diese Einsätze nach Mitternacht haben Leute angerufen.

Es wurde dann ausgerechnet am Oktoberfest rauf- und runtergespielt.

Ich war noch nie dort. Ich mag Bierzelte nicht, ich mag das Oktoberfest nicht. Da hab' ich Angst davor. Es gibt nicht viele Sachen, vor denen ich Angst hab', aber vor sowas schon.

Angst hatten Sie auch vor der Bühne.

Immer noch.

Macht es keinen Spaß?

Schon, aber ich scheiß' mich vor ihr an, ich hab' so Angst, dass ich was falsch machen könnte. Dass es mich hinhaut, dass ich falsche Töne spiele, dass mir der Text durcheinander kommt. Ist mir ja alles auch schon passiert. Inzwischen kann ich das relativieren, und nach zehn Minuten fühl' ich mich wohl. Aber bevor die Tour losgeht, bin ich drei Monate vorher schon total nervös. Da verdräng' ich das immer: Denk nicht daran, dass du in drei Monaten auf der Bühne stehst. Weil sonst ist mein Tag gelaufen.

Gerade waren Sie in Grönland.

In Grönland hab' ich ein Projekt laufen, weil die eine sehr hohe Jugendselbstmordrate haben. Und ich wurde gebeten, ob ich da nicht etwas Identitätsstiftendes tun könnte. Ich bin kein Sozialarbeiter, aber ich kann nicht nein sagen, wenn jemand sagt: Probiers! Es ist schwierig, weil ich die Sprache nicht kann. Aber ich versuche, ihnen ein Selbstwertgefühl zu vermitteln, indem ich ihnen zeige, wie interessant ich ihre musikalische Kultur finde, die sie selbst komplett ablehnen. Das Leben, das sie seit Generationen gelebt haben, mit der Jagd – das gibt's nicht mehr.

Und was hat Sie für das neue Album nach Amerika gezogen?

Diese Entfremdung zwischen Europa und Amerika, die über die letzten zwei, drei Jahrzehnte passiert ist. Die verstehen uns nicht, wir verstehen sie nicht, und ich find' das unglaublich schade. Für die gibt's die Welt außerhalb von Amerika nicht. Und wenn, finden sie alles bedrohlich. Da habe ich mir gedacht, ich möchte einen Beitrag leisten. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, aber es ist ein Prozess, wo ich hoffe, noch nicht am Ende zu sein.

Wie war es in Amerika?

Spannend, aber es ist ganz, ganz schwer. Es wäre im Jazz- und Popbereich leichter, diese Welt ist offener. Aber wenn es um Country- und Volksmusik geht – da sind die Eingnahten. Das ist ja das, was mich interessiert. Ich möchte ja da hingehen, wo es wehtut.

Und es hat wehgetan?

Es hat echt wehgetan. Aber ich hab' auch wehgetan. Da gab's unglaubliche Geschichten. Ich hab' einige Musiker zu mir eingeladen. Mit einem Pärchen aus Louisiana hab' ich versucht, zu jammen. Nach einer halben Stunde hab' ich gedacht, jetzt spiel' ich was, das sie kennen, Amazing Grace. Sie haben nicht mitgespielt. Weil es eine protestantische Hymne sei und sie Katholiken sind. Don't mess with my Toot Toot haben sie auch nicht gespielt. Weil sie kein Lied spielen, das ein Schwarzer geschrieben hat.

Ein Blick zurück nach vorn

Wiener Zeitung 16. April 2015 | Text: Matthias Greuling | Video: Celluloid

Neues Album, neue Doku: Hubert von Goisern besinnt sich seiner Wurzeln.

Wien. Hubert von Goisern gönnt sich keine Schaffenspausen. Wenn der 62-jährige Musiker nicht auftritt, dann sucht er nach Inspirationen in der Kunst und in der Fremde. Nach seiner letzten Tournee schrieb er die Filmmusik zu Joseph Vilsmaiers Oben und Unten, für sein neues Album Federn, das am 8. Mai erscheint, suchte er in den USA nach musikalischen Einflüssen der Südstaaten.

Der Dokumentarfilm Brenna tuat's schon lang (ab 24. April im Kino) von Marcus H. Rosenmüller zieht eine Bilanz durch das vielseitige Oeuvre des Musikers aus Bad Goisern und des Menschen Hubert Achleitner, der längst eins ist mit der Botschaft seiner Arbeit: Wenn Hubert von Goisern aufgefordert wird, zurückzublicken, dann sieht er mit seinen Augen demonstrativ auch ein Stückchen Zukunft: Die großen Erfolge aus den 90er Jahren haben ihn nämlich immer zu neuen Höchstleistungen angespornt, auch, wenn diese vielleicht nur selten mit dem Mainstream kompatibel gewesen sind.

Ich habe den Eindruck, bei all Ihren Produktionen war der Mensch Hubert Achleitner niemals von der Kunstfigur Hubert von Goisern und seiner Musik zu trennen.

Da täuschen Sie sich nicht. Ich kann immer nur die Musik machen, die aus mir rauskommt. Ich habe manchmal Ideen, die nicht funktionieren, weil es eben nur Ideen waren und nicht etwas Gelebtes. Nur die wirklich gelebten Stücke werden veröffentlicht. Die kann man dann überhöhen oder sie untertunneln. Das Schlimmste, was man als Künstler machen kann, ist, an der Oberfläche zu arbeiten. Entweder du fliegst über alles drüber, oder du bist drunter im Underground. Aber an der Oberfläche ist es oberflächlich.

Stimmt Sie das Älterwerden philosophisch?

Ich werde mit dem Alter in gewissen Dingen zunehmend gelassener. Dafür werde ich in anderen Dingen, die mir früher wurscht waren, zickiger als je zuvor. Zu Beginn ist man jedenfalls hochnervös: Man weiß was man will, aber man weiß nicht, wie man es kriegt. Das bringt einem zur Verzweiflung. Irgendwann funktioniert es dann und du weißt gar nicht, wie du es gemacht hast. Natürlich bekommt man mit der Zeit eine gewisse Selbstsicherheit: Wer einmal Erfolg hatte, hat nicht mehr so große Angst vor dem Scheitern.

Heißt das, die Arbeit wird mit der Zeit zur Routine?

Paul McCartney hat gesagt: Man kann sich an nichts, was man schon einmal gemacht hat, orientieren, außer, man will es wiederholen, aber wer will das schon? Bei jedem Lied, das ich neu schreibe, fange ich wieder bei null an. Ich kann mich nur an dem Gefühl orientieren, dass mir schon ein paar Mal etwas gelungen ist. Also könnte es wieder gelingen. Vor dem allerersten Mal hast du hingegen das Gefühl, du kriegst das nie hin.

In der Popwelt sagt man, das zweite Album eines Künstlers sei das schwierigste, weil man dafür nicht ewig lang Zeit hat wie beim ersten.

Unser erstes Album Alpine Lawine(1988) ist gefloppt, da verkauften wir nur 15.000 Stück. Man setzte mir einen Produzenten vor, der angeblich wusste, wie es geht. Er wusste es nicht. Keiner weiß es. Aber nach dieser Platte war mir klar, dass ich fortan nur mehr das tun würde, woran ich selber glaube, auch, wenn's nicht hinhaut. Da weiß ich wenigstens, woran es gescheitert ist. Eine schlechte Idee von jemand anderem umzusetzen macht mich hingegen nicht schlauer.

Der Durchbruch kam mit dem zweiten Album Aufgeigen statt niederschiassen (1992).

Das zweite Album hat alle Erwartungen übertroffen, obwohl es auch sehr zäh lief. Ich bin mit diesem Album fertig abgemischt zwei Jahre lang von Plattenfirma zu Plattenfirma gezogen, und alle sagten: Vergiss es, du hast dich damit zwischen alle Stühle gesetzt, das kann nie etwas werden! Der Erfolg war später eine echte Bestätigung. Nach diesem Erfolg wurde mir der Druck zu viel, und ich klinkte mich aus. Das habe ich meiner Band schon 1993 verkündet, die mir das gar nicht geglaubt hat. Aber ich wollte mich dem nicht aussetzen, ich musste das brechen. Alle haben das dritte und vierte und fünfte Hiatamadl von mir erwartet. Eines ist aber mehr als genug. Nicht nur für mich, sondern fürs ganze Land. Ich wollte einen Blick von außen und habe mich nach Afrika und Tibet abgesetzt.

Viele Ihrer "Expeditionen" in die Fremde sind überaus gut dokumentiert, mit Videoaufnahmen, Fotos, Tonmitschnitten.

Mir war das wichtig, weil man ja an Orte kommt, wo außer mir und ein paar Verrückten niemand war. Das will man daheim ja herzeigen, so, wie wenn man sich auf eine spannende Erzählung freut, wenn jemand verreist war.

Ich leite daraus auch ab, wie Sie als Musiker funktionieren.Nämlich mit großer Selbstdisziplin, zugleich aber auch mit akribischer Kontrolle über alle Aspekte der Musik.

Ja, das stimmt, ich bin in dieser Hinsicht sicher ein Kontrollfreak. Ich will einfach, dass das, was ich mache, gut ist, und habe zu oft erlebt, dass Sand ins Getriebe kommt, wenn nicht alles stimmt. Darum begann ich, mir meine Leute genau anzuschauen und auf eine Linie einzuschwören. Ich lasse mir gerne etwas sagen und bin nicht jemand, der die Ideen für alles hat. Aber ich will Bescheid wissen.

Jörg Haider war auch ein sehr bekannter Bad Goiserer. Im Film fällt einmal der Satz von Ihnen, dass es wahrscheinlich sehr viele Wähler von Jörg Haider gab, die auch Ihre Musik verehrt haben. Das geht ideologisch nicht zusammen.

Ja, das geht nicht zusammen, aber so ist es. Das muss man akzeptieren. Ich sage nicht: Nur weil du auf den Strache stehst, darfst du meine Musik nicht hören. Ich will nur nicht, dass meine Musik auf seinen Veranstaltungen gespielt wird und so getan wird, als würde sie dieses Ewiggestrige musikalisch zum Ausdruck bringen. Was Haiders Bekanntheit angeht: Wenn einer wie der Jörg Haider aus so einem kleinen Ort hinauskommt und es bis zum Landeshauptmann bringt, dann sind die Leute, die nicht eins und eins zusammenzählen können, grundsätzlich einmal stolz, dass es einer von ihnen zu etwas gebracht hat. Haider hat ja nicht nur die Bad Goiserer um den Finger gewickelt, sondern ein ganzes Bundesland.

Viele Ihrer Texte sind sehr politisch. Inwieweit ist es für Sie Bedingung, Kritik in die Arbeit einzuarbeiten?

Nicht jedes meiner Lieder dreht sich um Politik. Aber Politik ist Teil unseres Lebens, das gemeinsame Miteinander ist Politik. Zu sagen, das sollen die anderen machen, oder sich nicht einmal Gedanken drüber machen, fände ich verkehrt.

Die Doku über Sie heißt Brenna tuat's schon lang. Wie lang brennt's denn noch?

Keine Ahnung, wie lang's noch brennt. Ich brenne eigentlich immer für irgendwas. Das muss nicht immer Musik sein.

Ein Film? Sie sind ja schon als Schauspieler in Erscheinung getreten.

Ja, schon, und man hat mich auch immer wieder gefragt, ob ich mitspielen will. Doch das, was man mir angeboten hat, fiel in die Kategorie "Muss nicht sein". Es gibt schon einige Träume, die ich noch habe, die liegen vielleicht auch im Bereich Filmmusik. Aber selbst einen Film zu machen, ihn zu produzieren, das wäre gar nichts für mich. Denn da wüsste ich, ich wäre von vielen anderen abhängig.

Ist das vielleicht der Schlüssel zu Hubert von Goisern? Diese unbedingte Lust auf autarkes Arbeiten? Völlig unabhängig zu sein?

Es ist ein großes Privileg, muss ich sagen. Ich könnte es mir anders nicht mehr vorstellen.

Aber es war eigentlich nie anders, oder?

Doch, denn es ist nicht alles im Film, was in meinem Leben passiert ist. Es gibt schon ein paar wirklich dunkle Punkte, die in der Zeit davor passiert sind, wo ich musikalisch Dinge gemacht habe, die ich nie jemandem erzählt habe. Das waren einfach nur Brotjobs, um die Miete zu zahlen. Von irgendwas muss der Mensch leben. Ich fand das gar nicht so schlecht, dass ich dafür die Musik nutzen konnte. Ich hatte etliche Musikerkollegen, die meinten, bevor sie so einen Scheiß spielen, würden sie lieber kellnern oder Briefe austragen gehen. Ich dachte mir, ich spiele lieber Musik, egal ob ich sie mag oder nicht, denn da kann ich immer noch etwas davon lernen, anstatt Jobs zu machen, die gar nichts mit Musik zu tun haben. Ich bin der Meinung: Selbst aus dem größten Blödsinn kann man noch was lernen.

"Es braucht nicht viel, dass ich weine"

Seitenblicke 16. April 2015 | Text: Nina Kaltenböck | Fotos: Rene Wallentin

Beim Mittagessen machen wir mit Hubert von Goisern eine Reise durch mehrere Welten und landen,
wo es am spannendsten ist: dort, wo's in der Seele brennt.

Hubert von GoisernBrenna tuat's schon lang. Der Hut. Das Herz. Die Fußsohlen. Seine gesellschaftspolitischen Botschaften. Heute Mittag brennt aus- nahmsweise mal der Mund. Denn Hubert von Goisern bestellt im tibetischen Restaurant Songtsen Gampo nahe der Wiener Volksoper eine pikante Then-Tuk-Suppe. Den bunten Eintopf aus Nudeln, Gemüse und Lamm nach einem Rezept aus Amdo in Osttibet, dem Geburtsort des Dalai Lama, verfeinert der Poet der unbequemen Mundarttexte mit reichlich feuerroter Paste. "Boah, des brennt!" Dem passionierten Weltenbummler taugt's. Die tibe- tischen Zimbeln und das leise Glockenspiel rufen Erinnerungen wach. Nicht nur positive. Sehr lange schon verurteilt von Goisern die Besetzung Tibets und setzt sich für die Befreiung des Landes ein. Seine Kritik führte dazu, dass ihm sogar ein Einreiseverbot für Tibet auferlegt wurde. "Meine Reisen nach Tibet waren grenzwertige Erfahrungen. Ich war während der ganzen Zeit am Rande der Hysterie und hätte jeden Augenblick losheulen können, entweder vor Ergriffenheit, vor Freude oder vor Entsetzen darüber, was da abläuft."

Die emotionale Gratwanderung wurde vom Sauerstoffmangel in der Himalaya-Region noch verstärkt. "Aber ich bin grundsätzlich nah am Wasser gebaut", verrät er. "Es braucht nicht viel, dass ich vor Verzweiflung oder vor Freude weine." Ein Rebell mit Gefühlen? Das Beste aus zwei Welten, meinen wir. Der scheue Musikrevolutionär murmelt: "Jo, is eh okay. Inzwischen kann ich's schon besser kontrollieren."

Der Weg zwischen Verzweiflung und Freude ist oft ein bemerkenswert kurzer. Sein neues Album Federn, das im Mai erscheinen wird, wollte der Oberösterreicher erst gar nicht herausbringen. "Ich wollt's einstampfen lassen. Ich hab's als gescheitertes Projekt betrachtet." Doch die Selbstzweifel wurden wider Erwarten von der flirrenden Kraft seines Alpin-Grunge, gepaart mit eingängigem Südstaatengroove, weggespült. Der Soundtüftler, überrascht: "Es war schon von den Proben weg eine Freude, die neuen Songs zu spielen und erst recht auf die Bühne zu bringen. Jetzt kann ich's gar nicht mehr verstehen, dass ich je daran gezweifelt habe." Tiefsinnig spielt von Goisern darauf den Blues. Wie es aber aussieht, wenn der Meister der Zieh- und Mundharmonika den Blues hat? Hubert lacht. "Finster. Ganz, ganz finster. Da zieh ich mich extrem zurück und will niemanden sehen, weil ich mich niemandem zumuten mag." Weil ihn keiner versteht? Der kritische Freigeist seufzt. "Man geht ja dann jedem auf die Nerven. Wer will schon jemandem zuhören, der jammert und sudert? Und das alles scheiße findet, das ganze Leben?" Die Fische hören zu. Recht oft sogar, wenn Hubert von Goisern in aller Stille am Hallstätter See seine Angel auswirft.

In seinem Element ist er natürlich auch am Berg. "Beim Skifahren! Die Geschwindigkeit, die Leichtigkeit und die Fliehkraft des Seins sind wunderschön", strahlt der Liedermacher. Keine Angst, dass ihn ein Rowdy abräumt? "Na! Da musst halt allein sein auf der Piste. Oder schneller." Der Herr brettert gewöhnlich mit Helm den Steilhang runter – "außer wenn ich Touren geh. Es macht echt Freude, in den Tiefschnee zu fallen." Dazu hat der Musiker aktuell in Grönland die Gelegenheit. Dorthin zieht es den Naturlieb- haber bereits zum dritten Mal. Dabei reise er gar nicht, weil er die Distanz oder Abgeschiedenheit suche. "Ich will einfach überall dazugehören. Früher war ich viel unterwegs, weil ich neugierig bin. Seit vielen Jahren passieren mir die Reisen. Ich plane sie nicht. Es kommt irgendjemand daher und sagt: 'Komm, schau da mal vorbei, ich möcht dir was zeigen.' Und dann fahr ich dorthin." In Grönland kümmert sich der ehemalige Traditionsrebell jetzt jedenfalls um entwurzelte Teenager, die ihre Herkunft ablehnen, keine Perspektiven haben und als selbstmordgefährdet gelten. Begegnungen sind willkommene Herausforderungen, sagt er. Man muss die schlimmsten Sachen mit Humor nehmen, sonst sind sie unerträglich, sagt er. Aha. "Worüber können Sie außerdem lachen?", frage ich. "Über mich selbst. Aber meistens erst a bissl nachher." Verständlich. Heißt es doch, Tragödie plus Zeit ist Komödie. "Ich bin ja manchmal echt schwer von Begriff. Meine Familie lacht mich diesbezüglich immer aus, dass ich gelegentlich lang brauch, bis ich gewisse Sachen check." Dann folgt aber stets die Erkenntnis, dass "Dinge auch lustig sind und nicht nur peinlich".

Hubert von Goisern: "Es haben alle Federn vor irgendetwas"

Südtirol News 14. April | Text: Christoph Griessner/APA

Hubert von Goisern kann einen nur staunen lassen: Nach dem Erfolg von EntwederUndOder, Musik zu einer Glockner-Ausstellung sowie zu Joseph Vilsmaiers Film Oben und Unten, legt er am 8. Mai das neue Album Federn vor und ist ab 24. April mit Brenna tuat's schon lang im Kino zu sehen. Die APA sprach mit dem 62-Jährigen über seine Projekte, die ihn schon mal "durch Himmel und Hölle" schicken.

Nachdem er nach dem Vorgängeralbum und der dazugehörigen Tour eine Pause eingelegt hatte, ging der Weltenbummler wieder auf musikalische Entdeckungsreise. Diese führte ihn diesmal in die Südstaaten der USA - und ließ einen zwiespältigen Eindruck zurück. Als er mit Musikern dort etwa Don't mess with my toot toot spielen wollte, sagten ihm diese: "Sicher nicht! Das hat ein Schwarzer komponiert", wie Von Goisern erzählte. "Ich dachte mir: Bitte, im Jahr 2014? Das kann es doch nicht sein!" Doch es blieb nicht die einzige Erfahrung dieser Art. "Es ist ein Fakt dort und erst im Nachhinein hat sich das alles erklärt für mich."

Habe er mit schwarzen Musikern geredet, hätten diese reserviert reagiert. "Ich fragte mich: Warum wird mir da nicht mehr Vertrauen geschenkt? Aber das war nicht möglich, weil ich weiß bin. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass die nichts wollen von den Schwarzen, außer sie ausnutzen für irgendetwas." Es gebe zwar durchaus "Sachen, die miteinander gehen, aber die muss man suchen", so der Musiker.

Letztlich sei das Album, auf dem sich auch Bearbeitungen von traditionellen Songs wie Amazing Grace oder Oh, Susanna befinden, beinahe gescheitert. "Vor einem Jahr dachte ich mir: Vergiss es! Wo wir jetzt sind, ist ein Abklatsch dessen, wo ich hin wollte." Das Glockner-Projekt sowie der Vilsmaier-Film seien da eine willkommene Abwechslung gewesen. "Dafür brannte ich und das andere, das eigentlich mein größtes Feuer sein sollte, hatte eine unangenehme Kühle." Da aber die Herbsttour bereits geplant war, traf er sich mit seiner Band zu Proben - und siehe da, die Songs der Platte "sind abgefahren wie die Hölle", schmunzelte Von Goisern. "Es brauchte einfach diesen Abstand. Und natürlich habe ich an ein paar Rädchen gedreht, die entscheidend waren."

Im Zusammenspiel mit Helmut Schartlmüller (Bass), Severin Trogbacher (Gitarre), Alex Pohn (Schlagzeug) sowie Pedal-Steel-Gitarrist Steve Fishell sei "die Lockerheit dahergekommen", die es brauchte. "Ich war lange Zeit zu ergriffen von diesem Projekt", erinnerte sich Von Goisern. "Der Anspruch war irrsinnig hoch und unerreichbar, dass ich als Einzelner dem allgemeinen, weltweiten Trend gegensteure, der sagt: Die Amerikaner bringen nur Unruhe und Chaos und Zerstörung rein. Und dann kommt der Goiserer und sagt: Stimmt alles nicht, die sind eh lieb. Das muss ich zur Kenntnis nehmen, dass ich da nichts ausrichten kann." Auch die Stücke selbst habe er dann "rücksichtsloser" angegriffen. "Das hat ihm gut getan."

Der Titel selbst wiederum nimmt nicht nur darauf Bezug, sich mit fremden Federn zu schmücken. "Als erstes ist mir ein Textzitat von Patti Smith eingefallen: 'Birds of a feather stick together.'" Aus seiner Sicht sei die Verwandtschaft zwischen County und Volksmusik "ganz klar da": "Eigentlich machen wir dasselbe, nur mit einem anderen Spiel- und Lebensgefühl." Abgesehen davon wollte Von Goisern auf die Angst hinweisen, "die zur Zeit einfach da ist. Es haben alle Federn vor irgendetwas, wenn nicht gar vor allem." Zwar gebe es weniger kriegerische Konflikte als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. "Aber der Fokus liegt so auf den Problemzonen. Das finde ich nicht gut. Vielleicht braucht es die Welt, dass sie sich dauernd fürchtet. Vielleicht geht freiwillig gar nichts mehr und man muss einfach diese Angst schüren. Mein persönlicher Zugang ist aber ein anderer."

So behandelt er etwa in Snowdown die Informations- und Datenflut und erinnert an die Whistleblower Edward Snowden und Chelsea Manning. "Bin ich auf Reisen, lese ich meist keine Zeitung und entgehe dieser Flut an Negativmeldungen. Dann geht automatisch ein bisschen die Sonne auf. Kommt man zurück und dreht das Radio auf, fällt plötzlich alles zusammen. Man denkt: Ah ja, stimmt, es ist eigentlich alles fürchterlich. Es heißt ja: Medizin muss bitter sein, nur über den Schmerz kommt man zur Wahrheit, nur durch die Dunkelheit ans Licht. Aber es wäre lässig, wenn es ohne dem ginge. Ich versuche, diesen Weg einzuschlagen", lachte Von Goisern.

Welche Schritte Hubert von Goisern in den mehr als zwei Jahrzehnten seiner Karriere gesetzt hat, das kann ab 24. April in den heimischen Kinos nachverfolgt werden: Der bayerische Regisseur Marcus H. Rosenmüller hat mit Brenna tuat's schon lang ein sehr persönliches, filmisches Porträt des Tausendsassas angefertigt, aus dem sich dieser selbst rausgehalten hat. "Da wäre ich befangen."

"Ich bin ja wie jeder normale Mensch und will mich nur von meiner Schokoladenseite zeigen und jedes Wimmerl wegretouchiert haben, das mein Leben einfach auch hat", lachte der Sänger. Und so ist er Rosenmüller für einige Drehtage als Gesprächspartner zur Verfügung gestanden, hat bei der Gestaltung des Films aber nicht mitgearbeitet. Als er im Vorjahr eine Rohfassung sah, "war ich entsetzt. Ich bin aber zuversichtlich, dass er mir gefallen wird." Erstmals sehen wird er die Doku am heutigen Dienstagabend bei der Premiere in München.

Grundsätzlich besticht der Film durch eine enorme Auswahl an Archivmaterial, das die unterschiedlichsten Stationen Von Goiserns vor Augen führt. "Worüber ich mich aber freue: Von den schlimmsten Sachen in meiner Karriere gibt es kein Filmmaterial", lachte er. "Und wenn, dann habe das nur ich." Der gebürtige Bad Goiserer sei selbst aber "eigentlich ein Gegner dieser Dokumentierwut. Wer soll sich das alles anschauen? Man muss im Hier und Jetzt leben."

Dabei nimmt er auch auf den früheren Bundeskanzler Bruno Kreisky Bezug: "Der hat zu einem Journalisten einmal gesagt: Lernen Sie Geschichte! Ich muss aber ganz ehrlich fragen: Wozu? Der Blödsinn wiederholt sich die ganze Zeit. Wenn man etwas aus Geschichte lernen kann, dann dass es zu jeder Zeit ziemlich viele Depperte gegeben hat. Aber vielleicht entspannt einen diese Unvollkommenheit auch, wenn man sieht, dass die vor 4.000 Jahren auch schon diese unnötigen Pyramiden gebaut haben - für nichts und wieder nichts." So mache es ihn zwar "stolz", dass es den Film über ihn gibt. "Aber das heißt noch lange nicht, dass es gut ist."

Versöhnlich zeigte sich Von Goisern auch bezüglich der Bezeichnung seiner Musik, besonders was die mediale Berichterstattung anbelangt. "Wenn man mich fragt, dann würde ich immer sagen: Es ist meine Musik, und da gibt es viele verschiedene Elemente." Das umfasse Volksmusik gleichermaßen wie Rock, Blues, aber auch Jazz oder Klassik. "Wenn du aber darüber schreiben willst, brauchst du ein Wort dafür. Und eigentlich ist jedes Wort falsch, da es nie alles ausfüllen kann. Aber man kann nicht zu allem schweigen und nur ein weißes Blatt anstarren."

Insofern könne er sehr gut damit leben, "dass es manchmal Bezeichnungen gibt, mir denen ich nicht d'accord bin. Wir brauchen halt eine Verbindung zu dem, was schon mal gewesen ist, und dann kann man Wortschöpfungen machen", überlegte der Sänger. "Auch meine Musik entsteht nicht im luftleeren Raum, die hat ja Wurzeln. Es passt schon, auch wenn das eine oder andere falsche Wort dabei ist. Immerhin ist auch bei mir der eine oder andere falsche Ton dabei", schmunzelte Von Goisern.