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HUBERT VON GOISERN IN GRÖNLAND

Gegen die Stille: Hubert von Goisern in Grönland

März 2013 | Foto: Chris Weisz
Hubert von Goisern in Grönland

Hubert von Goisern auf den Spuren der ostgrönländischen Volkskultur.

Ostgrönland gehört zu den unwirtlichsten aller bewohnten Gebiete der Erde. Extreme Klimaverhältnisse, Eisberge vor der Küste, welche selbst eisgängige Schiffe nur schwer passieren lassen sowie die kaum nutzbare Infrastruktur sorgen für eine äußerst dünne Besiedelung.

Die Probleme, die sich für die dort lebende Bevölkerung ergeben, sind mannigfaltig: Neben der äußerst hohen Arbeitslosigkeit, nagt vor allem der Verlust kultureller Identität am Selbstbewusstsein der Inuits. Jugendliche verweigern sich der traditionellen Sprache genauso wie überlieferter, musikalischer Einflüsse. Das Jagen verliert an Bedeutung, Alkoholismus ist weit verbreitet und die Selbstmordrate, insbesondere unter den Jugendlichen, ist erschreckend hoch.

Hubert von Goisern begibt sich auf die Spuren dieser vom Aussterben bedrohten Volkskultur, in der Hoffnung, mit seiner Musik einen kleinen Beitrag zur Stärkung des ostgrönländischen Selbstvertrauens sowie seiner kulturellen Identität leisten zu können. Hubert von Goisern komponierte den originalen Soundtrack für diesen Film.

Ziehharmonika im ewigen Eis

Salzburger Nachrichten 27. März 2013 | Text & Foto: Bernhard Flieher

Grönland. Mit Hubert von Goisern als Beobachter drehte der Salzburger Regisseur Chris Weisz eine bemerkenswerte Doku über das Untergehen des Lebens in Ostgrönland.

Hubert von Goisern in GrönlandSALZBURG, TASIILAQ (SN). Hubert von Goisern knetet seine Finger. Kameramann Hennig Brümmer reibt seine Hände. Mit kalten Händen lassen sich weder Ziehharmonika noch Kamera bewegen. Und es ist kalt. Das ändert auch die Sonne nicht. Der Wind weht gerade so leicht über die kilometerlange Eisfläche, dass es sticht auf der Haut. Regisseur Chris Weisz hat es besser. Seine Hände stecken in Handschuhen und die in der Jackentasche. "Wir machen das noch einmal", sagt er. Der Klang der Ziehharmonika geht hinaus in die Einsamkeit grönländischen Eises, bleibt einzig menschliches Zeichen im weißen Raum, der Menschen verschluckt. "Der Hubert ist ein Einzelfall, ein Findling", sagt Robert Peroni. Er selbst ist auch so einer. Seit 1983 lebt der gebürtige Südtiroler in Tasiilaq in Ostgrönland. Er betreibt ein kleines Hotel, in dem er nur Einheimische anstellt. Einst durchquerte er die Insel als Erster zu Fuß. Er blieb hängen, weil er etwas tun wollte für ein Volk am Rand des Untergangs.

Inuit-Kultur des Jagens

Und was heißt schon Volk? 3500 Menschen leben in Ostgrönland entlang von 20.000 Küstenkilometern. Sie haben eine eigene Sprache und eine jahrtausendealte Kultur des Jagens – beides, und damit die Identität der Menschen, ist vom Aussterben bedroht.

Hubert von Goisern folgte einer Einladung Peronis nach Tasiilaq. Weisz und sein Team begleiteten ihn. Das war Ende März 2012, also genau vor einem Jahr. Nun ist die Dokumentation über diese Expedition fertig. Am Karfreitag wird Gegen die Stille bei Servus TV ausgestrahlt. "Grönland – das ist organisatorisch ein bisschen so wie Afrika im Eis", sagt Weisz.

Er drehte schon zwei Dokumentationen über den Goiserer. Er war 2011 bei der "Wirtshaustour" dabei und auch einen Film über die Brenna tuats-Tour im vergangenen Jahr machte er. Da stand jeweils der Musiker Hubert von Goisern im Zentrum. Dieses Mal taucht – wie einst bei dem Film Warten auf Timbuktu – der beobachtende weltreisende Goiserer auf.

Weisz zeigt, wie sich der Goiserer Menschen nähert, die unter extremen Bedingungen leben, einerseits von der Natur bestimmt, anderseits beeinflusst von einer per Satellit und dänischer Sozialhilfe angekommenen neuen Zeit, die mit alten Traditionen schwer kompatibel ist.

In Ostgrönland stirbt die alte Inuit-Kultur des Jagens. Der Klimawandel lässt das Eis später kommen und früher schmelzen. Das erschwert die Jagd über die Fjorde. "Für mich als Jäger in diesem Gebiet der Welt ist die Natur der Chef", erzählt Julius Ignatiussen im Gespräch mit dem Goiserer. Gleichzeitig gibt es international Jagd- und Fischfangabkommen, die zwar gut gemeint sind, aber an der Lebensrealität in Grönland vorbeigehen. Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, eine enorme Selbstmordrate sind Folgen. Manche hoffen auch auf den Klimawandel, weil er das Eis wegschmilzt, unter dem jede Menge Rohstoffe liegen. "Dann wird es keine Jäger mehr geben, sondern Arbeiter", sagt Ignatiussen. Abends locken die bunten Verheißungen aus aller Welt vor das TV-Kastl. Draußen aber herrscht Dunkelheit und Ungewissheit. Oder Spieldrang, bei dem jedenfalls der Temperatur unterschied der Zivilisationen bemerkbar wird. Im Dorf Semiligap, 200 Einwohner, 100 Schlittenhunde, nur per Schiff, Schlitten oder Hubschrauer erreichbar, spielt die Filmcrew nachts unter dem Polarlicht mit den Kindern Fußball auf dem Eis. Die Kinder in Sweatshirts, die Gäste in Funktionskleidung.

"Die Probleme sind so komplex, dass sie sich nicht einfach erzählen lassen werden", sagte Weisz beim Dreh in Grönland. Er macht in Gegen die Stille die Probleme gut anschaulich. Dabei rutscht er niemals in den Ton von Betroffenheit, denn seine Erzähler, der Goiserer und immer wieder auch Peroni, sind wache, nüchterne Beobachter.

Dem Goiserer ist sein Staunen über das Erlebte durchaus anzumerken. "Ich möchte gern die Unglaublichkeit begreifen, dass sich an einem Platz wie diesem vor vielen Tausend Jahren freiwillig Menschen angesiedelt haben", sagt er. Diesem Rätsel auf die Spur zu kommen ist schwer, denn die Menschen sind verschlossen. Umso bemerkenswerter ist die Offenheit, mit der manche im Gespräch mit dem Goiserer erzählen. "Man muss sich auf die Menschen einlassen und sich auch auf sie verlassen – und das kann man hier zu 100 Prozent", sagt Weisz über eine Hilfsbereitschaft, die er nie sonst wo erlebt habe.

Trotz allen Dilemmas, dem man in Ostgrönland begegnet, erliegt der Film niemals der Versuchung eines westlich geprägten sozialromantischen Blicks, der gerade bei Dokumentationen über das Leben am mystischen Ende der Welt so oft nervt, Gegen die Stille ist ein Blick in eine vergessene Welt. Ruhig wird das Leben beobachtet. Und so erfüllt der Film seinen Titel: Eine Region am Rand der Zivilisation und am Rand dessen, was menschliches Leben aushalten kann, wird aus der Stille des Vergessens geholt.

Jenseits der Töne: Goisern in Grönland

Salzburger Nachrichten 12. Mai 2012 | Text & Foto: Bernhard Flieher
Hubert von Goisern in Grönland

Daheim wird Hubert von Goisern seit dem Hit "Brenna tuat's guat" wieder als Star gefeiert. Der Musikwelterforscher reiste Ende März zum zweiten Mal nach Grönland - in eine fast menschenleere Weite und in soziale Tristesse.

Kein Ton wird getroffen. Hubert von Goisern singt noch einmal ein A. Er bekommt vieles von den 20 Schülern zurück - bloß kein A. Hubert von Goisern mag nicht gern den Lehrer spielen. Er mag musizieren, mag Geschichten hören, sich austauschen. Das ist schwierig. Von den Kindern in der Schule von Sermiligaaq trennt ihn vor allem die Sprache. Und so wie die Kinder das Singen probieren, hört es sich an, als ob dieses Problem in Ostgrönland durch Musik nicht gelöst werden kann.

Im Hubschrauber fliegt man nach Sermiligaaq eine halbe Stunde lang, von Tasiilaq aus. Dorthin braucht der Hubschrauber zehn Minuten von der Insel Kulusuk, und nach Kulusuk fliegt man von Island aus im Jet gut eineinhalb Stunden. "Man ist dermaßen im Nichts", sagt Hubert von Goisern. Einen winzigen Supermarkt gibt es. Die Schule wird auch als Kirche genutzt. Geschlafen wird bei Einheimischen. Das Klo ist ein Kübel. Es gibt kein fließendes Wasser, es gibt auch keine Straßen, nur schmale Fußwege führen durch tiefen Schnee über die kleine Halbinsel. 50 Häuser stehen hier. 15 davon sind unbewohnt. Offiziell leben hier 215 Menschen - und 100 Schlittenhunde. Wegen einiger dieser Hunde ist Sermiligaaq in Aufruhr: Das Gespann aus dem Dorf hat eine Meisterschaft gewonnen. Eine Party steht an, wenn das Gespann nach einer Tagesreise über den gefrorenen Fjord heimkehrt. "Pisaaneq!", jubeln die Bewohner, "wir sind die Besten!" Hier gibt es selten etwas zu feiern.

Seine Neugier und Robert Peroni haben Hubert von Goisern nach Ostgrönland gebracht. Peroni hat sich bei einer Tour über das Inlandeis in das Land verliebt, er betreibt das Red House in Tasiilaq. Es ist eine Unterkunft für Abenteurer und Touristen und eine Art Sozialprojekt.

Peroni stellt nur Einheimische an, er engagiert sich für Jugendliche, deren Lage besonders aussichtslos ist: keine Arbeit, viel Alkohol, hohe Suizidrate.

Auf der Suche nach einem, der sich "auf eine fremde Kultur einlässt und jungen Leuten vielleicht eine Perspektive öffnet", war Peroni - und er fand den Goiserer. Der kam in "etwas völlig Unbekanntem" an. Es ist ein schwieriges Unternehmen. Die Menschen sind scheu. Berührungspunkte gibt es wenige.

In Sermiligaaq spricht nur Uinaat Uitsatsikitseeq, der Lehrer, halbwegs englisch. Wenn er übersetzt, dauert das meist drei Mal so lang, wie das, was Hubert von Goisern sagt. Das Eis bricht, als Hubert von Goisern längst untergangene Klänge auspackt. Er ist gut vorbereitet.

"Ich merke ihm an, dass ihn die Menschen interessieren, und dass er sich Zeit nimmt", sagt Peroni über den Goiserer, der im September vergangenen Jahres zum ersten Mal in Grönland war. "Die Bedingung, derart Fremdartiges zu verstehen, ist, dass man sich mit aller Offenheit darauf einlässt", sagt er, korrigiert sich aber gleich: "Na ja, endgültig verstehen kann man es eh nicht, aber versuchen kann man es."

Auf dem Laptop spielt Hubert von Goisern Aufnahmen alter Inuit-Gesänge ab, die der dänische Ethnologe Knud Rasmussen in den 1920er-Jahren in der Gegend aufgenommen hat. Schamanische Trommeltänze sind das und Lieder, die in einer Art Wettstreit entstanden sind, bei dem es darum geht, das Gegenüber singend der Lächerlichkeit preiszugeben - vergleichbar mit Gstanzln im Alpenraum oder Rap-Battles: gesungene Konfliktregelung.

Es gibt nur wenige "künstlerische" Spuren in der Geschichte der Inuit. Die Härte einer Region aus Eis und kurzem Sommer sowie der ständige Kampf ums Überleben bieten wenig Raum für anderes als das Überleben. In wenigen Jahrzehnten musste das halbnomadische Volk die Wende zur Moderne bewältigen. Über Generationen überlieferte Traditionen bleiben auf der Strecke. "Jetzt lernen die Kinder Sprachen und Rechnen und andere Sachen, mit denen sie im Grunde in der harten Umgebung nichts anfangen können", sagt Hubert von Goisern.

Während die alten Aufnahmen laufen, beginnen ein paar Schüler sich im Takt zu bewegen. Es sind Bewegungen, wie man sie in alten Filmen von Knud Rasmussen sehen kann. Nein, das mache heute keiner mehr, sagt eine der Schülerinnen. Sie habe das auch noch nie gehört, aber sie wisse, wer da zu hören sei, der Urgroßvater von dem und dem. Und der Onkel von einem, den sie kenne, habe das Lied geschrieben.

Zwei Konzerte spielt Hubert von Goisern - allein, nur mit Gitarre oder Ziehharmonika. Eines im Forsamlingshuset in Sermiligaaq, eines in einer Bar in Tasiilaq. Immer wenn er die Ziehharmonika auspackt, gerät das Publikum in Bewegung. Bei den Jodlern herrscht berührte Stimmung, so als ob die Zuhörer Vertrautes erkennen.

In Tasiilaq traf der Goiserer die Schulband. Sie spielt ihm ein paar Songs vor - auch einen der grönländischen Band Nanook. Nanook lassen in einigen Songs grönländische Traditionen anklingen. Ob sie auch grönländische Einflüsse in ihre Musik aufnähmen, will der Goiserer von den Schülern wissen. Sie antworten höflich, dass sie das nicht täten. Aber sie schauen, als wollten sie sagen: Wie kann man denn bloß auf so eine Idee kommen?

Sie spielen die Rockmusik, die ihnen die Satellitenschüssel ins Haus bringt. Es ist Musik einer unerreichbaren Ferne. Die Schulband spielt Knockin' on Heaven's Door. Hubert von Goisern nimmt die Ziehharmonika und steigt ein. Der Dylan-Song erweist sich als universelle Sprache. Ein Lied lang sind Unterschiede beseitigt.

Ein paar Tage zuvor, in Sermiligaaq, war aus tönendem Durcheinander auch noch etwas geworden: der Andachtsjodler. Oder zumindest eine Rohfassung. Dann sagt Hubert von Goisern, dass er nun wieder heimfliege, und dass er wieder kommen werde. Die Schüler hören die Übersetzung, stehen auf und schmiegen sich an ihn, umarmen ihn. "Es ist ein Anfang", sagt der Goiserer. Aber es brauche "die Dauer, eine Kontinuität, die Vertrauen schafft." Für kommenden Winter plant er die nächste Reise.