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HUBERTS SCHREIBTISCH

There's no business like snow business

7. November 2023 | Text: Hubert von Goisern

Hubert von GoisernWir schreiben den 5. November 2023. Ende Oktober, also vor einer Woche, gab es den zu Recht vielkritisierten, weil fragwürdigen und vom Wind verblasenen Schi-Weltcup-Saisonauftakt am Rettenbachferner in Sölden. (Bis in die schneereichen und schneesicheren Achtzigerjahre hinein fand der Saisonbeginn übrigens im Dezember statt, im französischen Val-d'Isère, man nannte es Critérium de la Première Neige, das Kriterium des ersten Schnees.)

Folgenden Beitrag habe ich (auf Wunsch der Redaktion) Anfang März dieses Jahres für das ÖSV-Magazin Ski Austria verfasst. Es gab zwar keine Vorgaben, aber man hatte sich offensichtlich etwas anderes erwartet oder erhofft; euphorischer vielleicht und weniger kritisch. Sei's wie's sei, die Zeilen fanden in den darauffolgenden Veröffentlichungen dann doch keinen geeigneten Platz, und nun, da die nächste Weltcup-Saison bereits begonnen hat, ist dies auch nicht mehr zu erwarten. Deshalb habe ich mich entschlossen, den Beitrag, da ich ihn nun schon einmal geschrieben habe, in seiner ursprünglichen Form wenigstens auf meiner Website zugänglich zu machen.
Herzlich, Hubert

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Als Buben sind wir, kaum lag genug Schnee, bei jeder möglichen Gelegenheit hinüber zur "Leiten" gespurt, haben uns eine Bahn ausgetreten, Schanzen gebaut, Haselnussstangen vom Waldrand geholt und einen Torlauf gesteckt.

Einen Sessellift gab es damals zwar auch noch im Ort, aber unsere "Leiten" hatte alles, was wir brauchten. Im Winter draußen zu sein, das steht noch immer ganz oben auf meiner Sehnsuchts- und Bedürfnisliste. Die Anziehungskraft tanzender Schneeflocken in einer von glitzernden Kristallen überzogenen, in Sonnen- oder Mondlicht getauchten Landschaft fand und finde ich nach wie vor unwiderstehlich. Am Wochenende nahm uns der Vater, der als geprüfter Kampfrichter bei vielen Veranstaltungen ehrenamtlich im Einsatz war, manchmal mit zu Schirennen oder Schispringen.

Auch ich musste Rennen fahren. Ja, musste! Denn obwohl ich gerne "Stangl" gefahren bin, hatte ich nicht den Ehrgeiz, Rennen zu bestreiten. Allein, es half nichts. In meinem ersten Rennen wurde ich Vorletzter. Ich werde sieben Jahre alt gewesen sein, denn ich konnte schon lesen. Und zu meiner Schande hing das Resultat, für alle sichtbar, eine ganze Woche auf der Anschlagtafel am Feuerwehrdepot, an dem der Schulweg vorbeiführte.

Es wurde mir schnell klar, dass so mancher Schulkamerad athletischer, mutiger und vor allem motorisch besser koordiniert war als ich. Aber ich fand die Talentaufteilung fair: beim Malen, Singen und Musizieren war ich dafür besser. Dass man mangelnde Begabung mit viel Praxis und Training einigermaßen wettmachen konnte, das erfuhr ich, als ich mit 22 Jahren beschloss, nach Afrika auszuwandern. Das mir bevorstehende "Schneefasten" im Kopf, wollte ich es noch einmal wissen und heuerte für meinen "letzten Winter" am Krippenstein als Pisten- und Liftwart an.

Es war mein vielleicht schönster Winter. Fünf Monate lang jeden Tag auf Schiern! Sogar an meinen dienstfreien Tagen. Als ich im April 1975 dem Schnee und Österreich den Rücken zukehrte, wähnte ich mich schon in der Nähe der damaligen Weltcupstars Annemarie Moser-Pröll, Franz Klammer, Gustav Thöni und Ingemar Stenmark.

Nach sieben Jahren Wanderschaft kehrte ich zurück, Stenmark und Klammer fuhren immer noch Siege ein und der Stern von Marc Girardelli war gerade am Aufgehen – ganz wie auch meiner auf den Bühnen. Und im Rausch des Erfolgs, ausgebuchter Tourneen und all der Zeit in Studios blieb vieles auf der Strecke, auch das Schifahren – und der ganze Schisport wurde mir fremd.

Ich ertappte mich des Öfteren dabei, Schifahren als etwas sehr Befremdliches wahrzunehmen. All diese Menschen in greller Kleidung, mit Brettln an den Füßen, die massenweise auf den Pisten und Berghängen herumwuselten, wirkten plötzlich wie ein Schädlingsbefall. Erst recht angesichts der weißen Kunstschneebänder in schneearmen Wintern.

Dazu die vielen schweren Verletzungen im Schirennsport. Man kann natürlich einwenden, andere Sportarten hätten sich ebenfalls ins Extreme und Ungesunde entwickelt. Allein die Verletzungsgeschichten so gut wie aller Schirennläufer/innen sind gruseliger als in anderen Disziplinen. Der Abtransport von gestürzten Athleten im Helikopter ist unvermeidlicher Teil dieses Sports geworden, und das bei vergleichsweise bescheidenen Preisgeldern. Während der Superstar Aleksander Aamodt Kilde in der vergangenen Saison schlanke € 500.000 Preisgeld einstrich, bekommt ein durchschnittlicher (!) Pro-Golfer mehr als 2 Mio. Euro und Spitzengolfer mehr als 100 Mio. pro Jahr – ohne nennenswertes Verletzungsrisiko, dafür allerdings auch ohne Heldenstatus. Aber das ist eine eigene Geschichte.

Vorbei sind die Zeiten, als Schifahren in erster Linie noch eine Gaudi war. Vorbei auch die Zeiten, als Putin mit einem österreichischen Bundeskanzler gemeinsam am Arlberg im Sessellift saß und Spuren in den Schnee zog, die noch nicht blutig waren. Im vergangenen Winter ging der russische Präsident mit seinem weißrussischen Pendant Lukaschenko in Sotschi auf die Piste. Dabei ist, wie wir wissen, nichts Gutes herausgekommen.

Und vorbei die Zeiten, als der Weltcup eine österreichische Meisterschaft mit internationaler Beteiligung war, als der Schisport unser Selbstwertgefühl in den Himmel wachsen ließ und uns eine "globale Bedeutung" suggerierte. Dreißig (30!) Mal hintereinander: de suite den Nationencup zu gewinnen, war eigentlich schon obszön. Deshalb freut's mich für die Schweizer, dass sie mit "Odi" wieder einmal einen Ausnahmeathleten stellen, dem zuzuschauen eine reine Freude ist. Ja, des einen Leid, des anderen Freud. So war es schon immer. Zum Beispiel 1972, als Österreich von einem Zornesbeben erschüttert wurde, weil unser Karli Schranz von den Olympischen Spielen ausgeschlossen wurde – ein Schicksal, das er übrigens mit Annie Famose, einer französischen Siegläuferin, teilte. Dafür schrieb die Schweizer NZZ, "Die goldenen Tage von Sapporo waren für das Land ein ebenso gemeinschaftsstiftendes Ereignis wie die Mondlandung für die Welt". Was beweist: Wenn es um Schirennen geht, steht uns die Schweiz auch in Sachen Pathos um nichts nach.

Allein, dass Rennen überhaupt noch stattfinden können, ist inzwischen alles andere als selbstverständlich. So musste in der vergangenen Weltcup-Saison bereits knapp jeder fünfte Wettkampf abgesagt werden, und auch auf unserer "Leiten" in Goisern liegt nur noch selten Schnee.

Ich habe übrigens mit dem Schifahren wieder angefangen, als die Zeit gekommen war, es unseren Kindern beizubringen – und seither auch nicht mehr gelassen. Denn es ist eine prächtige Art, Körper und Geist aufzutanken und seine Beziehung zur Natur zu spüren.

Damals, als unsere Kinder die ersten Schwünge zu machen begannen, lernte ich übrigens die kleinen Liftanlagen schätzen, ich meine die, die jetzt reihenweise zusperren müssen, weil sie ohne finanzielle Hilfe nicht überleben können. (Dafür dürfen die großen Schigebiete den Förderungs-Rahm abschöpfen.) Wo soll eigentlich die nächste Generation ihre Freude am Schifahren finden? Am Rettenbachferner? Oder vor den Fernsehschirmen?

Hubert von Goisern