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ALPHA FORUM INTERVIEW

Alpha Forum mit Hubert von Goisern

www.br-online.de 1998 | Text & Fotos: © BR

Hubert von GoisernWillkommen bei Alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Musiker, Komponist, Texter, Schauspieler und Reisender in vielerlei Hinsicht. Es ist Hubert von Goisern.

Hallo.

Wir duzen uns privat, und deshalb machen wir das heute in der Sendung auch so. Ich habe die Geschichte in Erinnerung, daß es Hubert von Goisern, die Alpinkatzen und all das nicht gegeben hätte, wenn nicht dein Großvater an einem bestimmten Tag, an einem bestimmten Ort zur Kreide gegriffen hätte. Wie war das damals?

Mein Großvater war mit seiner Familie, also mit meiner Mutter, meiner Großmutter und meiner Tante, aus dem Sudetenland geflüchtet und kam auf dieser Flucht nach Salzburg. Sie kamen dort in einem Waggon an, in dem sie alle ihr Habe hatten. Auf diesem Waggon war mit Kreide "Wien" geschrieben, das war der Bestimmungsort, dorthin ist dieser Flüchtlingszug geschickt worden. Mein Großvater wußte, daß Wien zerbombt war und dort nicht unbedingt rosige Zeiten auf sie warten würden. Weil er von Beruf Schuster war, hat er sich in Salzburg auf dem Bahnhof umgehört, wo es denn eventuell für ihn einen Job geben könnte. Ein freundlicher Herr hat ihm dann gesagt, Goisern wäre etwas für ihn, dort gäbe es eine Schustertradition.

Das ist eine alte Tradition, die Goiserer sind ja auch ganz bekannte Schuhe.

Ja, ganz genau. Daraufhin hat er sich einen Schwamm besorgt, hat auf seinem Waggon das Wort "Wien" ausgelöscht und "Goisern" draufgeschrieben. Und wie Beamte eben so sind - sie machen das, was draufsteht -, und der Waggon fuhr nach Goisern. So wurde ich zu einem Goiserer. Ansonsten wäre ich vielleicht zu einem ...

... vermutlich zu einem Hubert von Wien geworden. Ich glaube, daß es nicht so gekommen wäre, weil damit das ...

Da wäre dann etwas anderes daraus geworden, oder vielleicht auch nicht.

Ich kenne ja Goisern ein bißchen. Es ist eingezwängt in ein ziemlich enges Tal, die Traun fließt durch, der "Predigtstuhl" ist dort, und am anderen Ende des Tales liegt der Hallstätter See. Inwieweit prägt einen so eine Landschaft?

Mir ist das nie als eine solche geographische Enge erschienen. Von der Mentalität her war das schon eher der Fall. Aber ich habe mich dort in meiner Kindheit sehr wohlgefühlt. Ich fühle mich auch sehr privilegiert, an so einem Platz aufgewachsen zu sein. Ich mußte dann allerdings so mit 21, 22 Jahren weggehen, ich wollte einfach mehr von der Welt wissen als das, was mir die Leute erzählt haben. Und dazu war es eben notwendig zu verreisen.

Gehen wir noch kurz einen kleinen Schritt zurück. Du hast ja schon in Goisern angefangen, Musik zu machen. Du warst dort in einer Blaskapelle.

Ja, das waren meine ersten musikalischen Schritte. Ich wollte, soweit ich mich zurückerinnern kann, immer schon Musiker werden. Meine Eltern haben das nicht unbedingt für erstrebenswert gehalten und auch nichts dazu beigetragen, daß ich die Möglichkeit einer musikalischen Ausbildung erfahren hätte. Als ich dann ungefähr zwölf Jahre alt war, bin ich von selbst zu unserer Blaskapelle gegangen und habe gesagt, daß ich gerne Trompete lernen möchte. Daraufhin hat man mir ein Instrument zur Verfügung gestellt und einen Lehrer zugewiesen: Das hat alles nichts gekostet. Ich bin daher dieser blasmusikalischen Tradition zu großem Dank verpflichtet, wenngleich die Blasmusiker mich dann auch hinausgeworfen haben.

Da steht in deiner Biographie zum ersten Mal das Wort Rebellion: "Er rebellierte gegen diese Enge und auch gegen diese Musiktradition, die dort vermittelt wurde."

Ja, ich habe vor allem gegen die Autorität rebelliert, denn so mit 18, 19 Jahren habe ich angefangen, Autorität nicht mehr zu akzeptieren, wenn sie sich nur darauf berufen hat, Autorität zu sein: weil das der Dirigent ist, darum hat er das Sagen, darum hat er immer recht. Oder weil er älter ist, oder weil er Lehrer ist. Das habe ich von da an nicht mehr akzeptiert. Ich habe argumentiert und wollte Argumente dafür hören, warum etwas so zu sein hat.

Wir halten dabei einmal fest: Dein erstes Instrument war nicht die Ziehharmonika, die steirisch-diatonische, sondern die Trompete.

Richtig, das war die Trompete. Dann kam die Gitarre dazu, die ich am Gymnasium und in der Musikschule erlernt habe: klassische Gitarre. Ich habe mir aber dann schon bald eine elektrische Gitarre gekauft, weil mir das andere einfach zu leise war und ich, seitdem ich ungefähr zehn Jahre alt war, auch schon mit ganz anderer Musik konfrontiert gewesen war. Das war Musik, die aus dem Radio kam und anders war als das, was die Leute bei mir daheim so gehört haben. Es war die Musik der Beatles, es waren die Stones, Manfred Mann, The Who und diese ganzen Geschichten, und da habe ich einfach gespürt, das ist etwas, was mich fasziniert.

Ich habe am Anfang schon gesagt, "Reisender in vielerlei Hinsicht". Diese ersten sieben Jahre, die du gereist bist, waren tatsächlich Jahre des Reisens. Wie muß man sich das denn vorstellen? Man muß ja schlafen, man muß essen, man muß trinken, man muß irgendwo übernachten: Hast du gleichzeitig Geld verdient, oder wie war das, denn sieben Jahre sind ja eine lange Zeit? Die meisten Leute haben drei Wochen Urlaub im Jahr, in denen sie verreisen.

Ja, aber sie machen Urlaub, sie sind Touristen. Ich wollte aber immer an einen Ort reisen, um dort zu leben. Ich habe mir dann einen Job gesucht und mit den Leuten gearbeitet. Ich glaube, das ist die beste Art und Weise, wie man ein anderes Land, eine andere Kultur kennenlernen kann, wenn man in diesem Land mit den Leuten zusammen etwas macht, sie nicht nur begafft und sich fühlt, als würde man in einen Film gehen und sich dort eine andere Kultur "reinziehen".

Diese Phase wurde in allen Unterlagen, die wir über dich gefunden haben, immer nur kurz erwähnt: Er war einfach sieben Jahre unterwegs. Aber das muß doch gerade in jungen Jahren etwas gewesen sein, das einen dann auch sehr prägt.

Ja, mich hat es immer geprägt, wenn ich die Chance hatte, Abenteuer zu erleben oder neue Menschen und neue Kulturen zu treffen. Das gibt einem immer auch die Möglichkeit, einen Blick zurück auf die eigene Tradition zu werfen - von außen sozusagen - und das in Frage zu stellen, was man bisher getan und für unumstößlich gehalten hat.

Du hast in der Zeit auch musikalisch gearbeitet?

Nein. In den ersten vier Jahren meiner Reise habe ich so gut wie überhaupt nicht musikalisch gearbeitet. Als ich von zu Hause weg ging, mußte ich meine Trompete abgeben, weil sie ja der Blaskapelle gehörte. Bei der Gitarre habe ich die Saiten entspannt, das Griffbrett ein bißchen eingeölt und sie fein säuberlich verschlossen. Ich hatte einfach das Gefühl, das war's jetzt mit der Musik. Ich hatte in meinem musikalischen Bedürfnis zu Hause überall nur Gegner gehabt.

Das hat sich später dann ja auch fortgesetzt.

Ja, meine Eltern waren dagegen, daß ich Musik mache. Auch meine damalige Frau war dagegen - für sie war es sehr bedrohlich gewesen, sie hatte selbst keinen Zugang zur Musik. Da habe ich mir dann eben gedacht, wenn ich sowieso alle Menschen damit unglücklich mache, warum soll ich es dann noch weiterhin praktizieren? Ich wußte damals noch nicht, wie wichtig die Musik für mich war.

In meinen Unterlagen habe ich gefunden, daß dieser Umgang mit fremden Musikkulturen unter Umständen die Quelle dafür gewesen wäre, was du dann hinterher gemacht hast.

Das war schon so. Vor allem als ich dann nach Toronto in Kanada ging, war für mich klar, daß ich Musiker werden mußte. Ich habe also mit 27 Jahren beschlossen, daß ich es machen muß. Ich hatte mir bis dahin einreden lassen, daß das nichts wäre, aber da dachte ich mir dann, daß ich nun alt genug sei, um das auf meine eigene Kappe nehmen zu können. Vorausgegangen war noch die Scheidung von meiner Frau, und so habe ich mich dann auch wirklich unabhängig gefühlt und mir gedacht, daß mir jetzt einfach niemand mehr dreinreden kann: "Jetzt mache ich das einfach". Ich habe dann angefangen, mich wieder mit Musik zu beschäftigen und bin in alles hineingekrochen, was für mich neu, spannend oder unvertraut war und nach Abenteuer aussah.

Irgendwo ist da also schon die Quelle zu suchen, oder verstehe ich das falsch?

Das ist schon so.

Jürgen Barto und HvGDieser Beschluß ist mit 27 Jahren gefaßt worden. Das heißt, das war in einem Alter, in dem viele ihre Karriere im Popsektor schon wieder beenden - du hast da gerade einmal angefangen.

Ich empfinde mich ja immer noch nicht als Popmusiker. Ich mag diese Art der Musik, und ich denke mir, das hat auch ein Stück mit meiner Tradition, mit meiner musikalischen Tradition zu tun. Aber ich empfinde mich eben als Musiker, als einen, der sich mit Hilfe der Musik ausdrückt, das ist meine Sprache. Popmusik ist nur ein kleines Segment davon.

Das war ja auch nur ein Vergleich, weil es doch so etwas wie diese Boy-Bands gibt, bei denen mit 27 Jahren die Karriere in der Regel auch wirklich beendet ist. Du bist dann 1982 nach Wien gegangen. Und dort beginnt die Geschichte, die wir teilweise oder weitgehend kennen: Das waren die Alpinkatzen Teil 1, die Zusammenarbeit mit dem Staribacher. Dabei gab es dann die erste Platte, die Alpine Lawine. War das damals schon irgendwie fixiert? Ich habe damals, 1989, einen Fernsehauftritt gesehen: Da war es auch mit dem Styling noch nicht so wie später. Da habe ich dich noch mit schwarzen Straßenschuhen gesehen - also eher als Stadtmensch gekleidet. Das war also noch nicht das, was später mit Goisern assoziiert wurde. Inwieweit war denn da das Schuhwerk wichtig gewesen?

An das Schuhwerk kann ich mich wirklich nicht mehr erinnern. Im Moment trage ich ja gerade weiße Schuhe, das ist auch nicht so super-alpinmäßig. Durch die vielen Auftritte bin ich immer mehr in das hineingewachsen, was ich eigentlich an Umgebung, an zweiter Haut brauche, damit ich mich wohl fühle beim Ziehharmonikaspielen oder beim Singen auf der Bühne. Dazu brauche ich bequeme Sachen. Ich bin erst im Laufe der Jahre draufgekommen, was ich dafür brauche und haben will. Ich habe mich dann mit Klaus Höller, einem Designer, immer wieder zusammengesetzt: Wir haben dann diese Sachen entworfen - und so ist das über die Jahre entstanden.

Laß uns einen Sprung machen in das, was ich die wilden 700 Tage nenne: Das war für mich dieser Zeitraum vom November 1992 bis November 1994. Damals, als wir uns das erste Mal trafen, waren in Deutschland ungefähr 3000 CDs von dir verkauft worden. Dann gab es diesen ersten Auftritt im "Nachtwerk", das war im November 1992, und damit ging die Rakete ab. Wie empfindest du das jetzt so im Nachinein? Kannst du dich denn daran überhaupt noch erinnern, oder ist das etwas, was du in den zwei Jahren eher so im Tiefflug miterlebt hast?

Ja, aber eher im Hochflug. Das war schon eher die Stratosphäre.

Ich meine, das waren nur knapp zwei Jahre diese 700 Tage, aber es ging ja ab wie die Post.

Ja, es war eine wunderbare Zeit, unglaublich intensiv. Es war ein schnelles, intensives Leben, so wie man sich vorstellt, daß es sein wird, wenn man Erfolg hat: Wo man dann wirklich nur noch von Hotel zu Hotel und von Bühne zu Bühne reist und überall auf offene Arme und Ohren trifft. Man hat einfach so etwas wie einen Vertrauensbonus. Das war eine unglaublich schöne Zeit, die ich nicht vermissen möchte. Es ist nur so, daß ich dann nach einer Weile gemerkt habe, das ist es jetzt: Da fällt mir jetzt nichts mehr dazu ein, außer 100 Variationen zum Thema. Aber ich bin ein zu neugieriger Mensch, als daß ich gerne auf der Stelle treten würde.

Wenn ich dich jetzt nicht falsch verstehe, heißt das, daß sich im Grunde dieses Prinzip neue Volksmusik mit den Platten, die du gemacht hast, 1994 erledigt hatte: Es kann eigentlich nichts Neues kommen - oder heißt es das nicht?

Nicht ganz. Für mich hat sich das so dargestellt, daß es innerhalb dieses Umfelds, in dem ich mich bewegt habe - dazu gehörten meine Mitmusiker, auch die ganze Organisation der Vervielfältigungsindustrie und natürlich auch das Publikum -, nicht möglich gewesen wäre, wirklich etwas radikal Neues zu machen. Es war schon schwierig, eine Kleinigkeit zu verändern, weil dann ständig Leute auf mich eingeredet haben: "Das kannst du nicht tun, das darfst du nicht tun, die Leute wollen nur das hören, oder wir wollen das und das machen, und es hat sich doch so bewährt, warum jetzt nicht mehr usw." Ich habe mir dann gedacht, das will ich nicht.

Ich erinnere mich daran, daß es da auch einmal einen Streit mit Hage, dem Manager, gegeben haben muß, bei dem du dich geweigert hast, das Hirtamadl überhaupt noch einmal zu spielen. Für mich als Musiker ist das fast unverständlich, daß jemand, der endlich nach so vielen Jahren einen Hit hat - es hat ja ungefähr 10 Jahre gebraucht dazu -, plötzlich sagt, das spiele ich nicht mehr.

Ich kann mich konkret nicht mehr daran erinnern, aber es ist natürlich schon so, daß wir das Hirtamadl ich weiß nicht wieviele 100 oder 1000 Mal gespielt haben. Ich möchte eben irgendwann auch einmal wieder etwas anderes spielen. Das hat nichts damit zu tun, daß man es nicht mehr mag. Es ist einfach so, als würde man jeden Tag Schinken mit Speck zum Frühstück essen. Irgendwann einmal reicht es, und du willst ein Müsli haben.

Ja, das kann ich verstehen. Einer der Höhepunkte dieser wilden 700 Tage war für mich die damalige Blitztournee, die von München nach Paris, nach San Antonio, nach Austin und nach New York ging. Du warst ja vorher schon viel gereist, du hattest in Kanada gelebt: War es trotzdem noch einmal etwas Aufregendes, oder war es nur einfach ein bißchen verrückt? Wie kann man das im Nachhinein beurteilen?

Aufregend war es allemal, denn meine Reisen vorher waren Reisen gewesen, und das war eben eine Tour. Es ist etwas anderes, wenn man auf eine Reise geht, weil man etwas an das Ziel der Reise bringen möchte: Man transportiert die eigene Kultur in ein anderes Land und nicht nur sich selbst. Da gibt es schon das Gefühl der Unsicherheit, ob die Leute es verstehen werden, ob sie es überhaupt hören wollen. Als wir dann angekommen sind und unsere Konzerte gespielt haben, sind wir aber überall auf Begeisterung gestoßen. Das hat mir sehr viel Selbstbestätigung gegeben, weil ich immer schon der Ansicht war, daß diese sogenannte Diskussion um die Weltmusik einfach nicht so ganz stimmt: Alles, was exotisch ist - ob das jetzt aus Grünland kommt oder aus Afrika oder aus Asien -, ist Weltmusik für uns, aber in dem Moment, wo es sich um unsere eigene musikalische Tradition handelt, ist das nicht mehr so. Es war immer mein Ansatz gewesen, daß das sehr wohl auch ein Teil des kulturellen Spektrums auf diesem Globus ist und man in Paris oder Amerika auch exotisch ist und für diese Leute Weltmusik darstellt.

Dann war - von außen gesehen - sehr abrupt Schluß, obwohl ich glaube, daß du das schon lange im Kopf hattest: 31. Oktober 1994, das letzte Konzert, ein Nachholkonzert, in Münster. Hast du das schon langfristig geplant gehabt?

Ich habe es meiner Band schon ein Jahr vorher gesagt, daß ich das Projekt zu einem Ende und Schlußpunkt führen möchte und auch werde. Sie hatten also alle genug Zeit, sich darauf vorzubereiten, wenngleich das nichts ist, worauf man sich wirklich vorbereiten kann - außer sich mental darauf einzustellen, daß dann einfach der große Freiraum oder auch das große Loch da sein wird.

Ich hatte auch das Gefühl, daß ihr zu diesem Zeitpunkt, also beim letzten Konzert, schon ziemlich fertig gewesen seid: Alle waren irgendwie bedrückt und erschöpft und konnten sich nicht mehr ausstehen. Da haben sicher die dauernden Konzerte, die Tourneen und die Hotels ihre Spuren hinterlassen. Bevor wir damals dieses letzte Konzert aufgezeichnet haben, gab es ein Interview, und ich kann mich daran erinnern, daß bereits in diesem Interview das Wort "Tibet" gefallen ist. Der Moderator hatte damals gefragt, was es an Plänen für die Zeit nach den Alpinkatzen gibt, und da hast du damals ganz harmlos gesagt: "Ja, ich würde ja gerne einmal nach Tibet reisen." Das hast du dann auch ziemlich schnell realisiert.

Ja. Es ist meiner Meinung nach so, daß die Abenteuer immer im Kopf beginnen: Sie finden nicht im Kopf statt, aber sie beginnen dort. Man hat so etwas wie Wünsche, Visionen, Träume, und man braucht gar nicht mit der Brechstange heranzugehen, damit sie sich erfüllen: Das, was wichtig ist, wird sich erfüllen. You can't always get what you want, but you get what you need. Für mich war es offensichtlich eine Notwendigkeit, nach Tibet zu reisen. Ich war in einer Situation, in der ich plötzlich Zeit hatte, nachdem ich von der Bühne zurückgetreten bin, in der ein Freiraum da war, damit wieder Sachen und Begegnungen stattfinden konnten. Und da bin ich einer Tibeterin begegnet, die mich, ohne von meinem Interesse für Tibet zu wissen, gebeten hat, eine Tour tibetischer Musiker zu unterstützen, die in Österreich auf Tournee gewesen waren. Das habe ich gemacht, ich habe diese Tour moderiert.

Das war 1995.

1995 war der erste Kontakt mit Tseten, und im März 1996 war die Tour. Innerhalb dieser zwei Wochen habe ich soviel über die Menschen und ihre Musik erfahren, daß ich sie zwar noch nicht durchschaut hatte, aber unglaublich neugierig geworden war. Ich habe vieles nicht verstanden, aber ich wollte einfach tiefer eindringen: Ich habe dann auch ganz spontan zu Tseten, die selbst seit ihrem zweiten Lebensjahr nicht mehr in Tibet gewesen war, weil sie mit ihren Eltern 1959 geflohen ist und seitdem im Exil lebt, gesagt: "Laß uns nach Tibet gehen, schauen wir uns das an". Wir kannten die Geschichten, die die Leute erzählen, die dort gewesen waren. Ich hielt es für übertrieben und teilweise für Propaganda: Es mag zwar schon eine unangenehme Situation sein, wenn man nicht die Gesamtherrschaft über das eigene Land und die eigene Kultur hat, wenn das Land besetzt ist, aber so schlimm ist es sicher nicht, wie die Leute erzählen. Wir fuhren hin, und es war leider Gottes viel schlimmer als alle Erzählungen: Es war wirklich nichts übertrieben. Ich habe dort auch zum ersten Mal in meinem Leben gespürt, was Freiheit bedeutet. Mit der Freiheit verhält es sich meiner Ansicht nach so wie mit der Gesundheit: Wenn du sie hast, denkst du nicht daran. In dem Moment, wo dich etwas zwickt, merkst du, aha, jetzt bin ich nicht gesund. Ich bin in der westlichen Welt aufgewachsen, ich durfte immer sagen, was ich wollte. Schlimmstenfalls gab es eine Ohrfeige, wenn es jemandem nicht gepaßt hat. Aber ich wurde nie dafür eingesperrt. Hier kannst du auf die Polizei, auf den Bundeskanzler und auf den Bundespräsidenten schimpfen, du kannst selbst auf den Papst schimpfen. Du wirst dafür nicht ins Gefängnis gesperrt: Schlimmstenfalls gibt es ein Streitgespräch mit jemandem, der anderer Meinung ist. In Tibet kannst du das nicht, da darfst du das nicht. Da gibt es auch kein Ventil für die Wahrheit, und das ist unglaublich beklemmend. Bis ich in Tibet gewesen bin, hatte ich noch nicht erfahren, was Freiheit bedeutet: Dort habe ich es gelernt - gerade deswegen, weil in Tibet die Freiheit nicht vorhanden ist.

Das heißt, du hast dort auch wirklich nicht sagen dürfen, was du denkst, du hast sehr vorsichtig sein müssen?

Ja, und es herrscht auch ein unglaubliches Mißtrauen. Ich war nie in der DDR gewesen, aber ich stelle mir vor, daß es dort so ähnlich gewesen ist - oder in den dreißiger und vierziger Jahren bei uns, die ich aber Gott sei Dank nicht erleben mußte. Man weiß einfach nicht, wer ist Freund, wer ist Feind, wer ist ein Spitzel: Es gibt ein Netz von Informanten. Dieses Mißtrauen, das zwischen den Menschen herrscht, weil sie die Wahrheit einfach nicht sagen dürfen, ist etwas unglaublich Beklemmendes.

Was hat dir denn diese erste Reise nach Tibet, du warst ja dann noch einmal in Tibet ...

Nein, ich bin dann nicht mehr zurückgefahren. Ich habe nur diese sechs Wochen im Mai/Juni 1996 dort verbracht. Ich möchte sehr gerne eines Tages wieder dorthin zurückgehen, aber ich glaube, der Zeitpunkt dafür ist noch zu früh. Ich habe durch meine Reiseberichte, die in verschiedenen Zeitungen und Magazinen erschienen sind, auch in China etwas ausgelöst: Ich habe nicht gewußt, daß das solche Wellen bis nach Peking schlagen würde. Es gab Buchautoren, die eine Reise nach Österreich geplant hatten, um hier ihre Bücher vorzustellen. Deren Reise wurde aufgrund der Berichte, die ich gemacht habe, gestrichen, weil Österreich als ein gefährliches und unfreundliches Land gegolten hat. Ich glaube nicht, daß es im Moment möglich ist, nach Tibet zu reisen. Es war damals schon sehr abenteuerlich, bis wir überhaupt hineingekommen sind. Im Moment, denke ich, wäre es tabu für uns. Ich allein könnte vielleicht dorthin reisen, aber es war schon damals so gewesen: Ich hätte dort auch sagen können, was mich bedrückt oder was mich stört. Schlimmstenfalls hätte man mich für ein, zwei Tage oder maximal eine Woche eingesperrt und dann abgeschoben. Aber man hätte auch sofort recherchiert, mit welchen Tibetern ich vorher zusammengetroffen bin. Und diese Leute hätte ich durch meine Offenheit gefährdet.

Aus der Erfahrung ist ja auch eine Platte entstanden, auf die wir später noch zu sprechen kommen. Ich würde mich aber vorher gerne noch über etwas anderes mit dir unterhalten. Ich hatte es ja am Anfang schon erwähnt, du bist "Reisender in vielerlei Hinsicht": Stimmt es, daß du eines Tages bei dir zu Hause einen Anruf bekamst und es hieß, Jane Goodall will dich gerne kennenlernen?

Ja, so war es. Das war im Dezember 1994, also ein paar Wochen nachdem ich aufgehört hatte, am 1. November war ja das letzte Konzert gewesen. Ich ging dann ins Studio bzw. eigentlich in mein Haus in Goisern, das ich zum Studio umfunktioniert habe, und habe dort mit Wolfgang, meinem Toningenieur, die Live-Platte gemischt. Da kam dann - ich glaube, es war der 22. Dezember - ein Anruf von einem Freund, den ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte und der hat zu mir gesagt: "Du, ich möchte gerne vorbeischauen, hast du Zeit?" Da habe ich gesagt: "Tut mir leid, ich bin mitten in der Arbeit, komm doch morgen oder übermorgen vorbei." Daraufhin meinte er, daß das schade sei, weil er zwar morgen schon kommen könnte, aber er hätte mir eben auch gerne Jane Goodall vorgestellt. Ich habe dann gesagt: "Michael, das glaube ich dir nicht, aber wenn es wirklich so ist, dann sei mir nicht böse, wenn ich sage, dann darfst du trotzdem kommen." Ich habe aber nicht damit gerechnet, daß es eine halbe Stunde später an der Tür klopft und da in dicken Moon-Boots eine Frau vor mir steht, die ich aus Büchern kannte und von der ich mir nie hätte vorstellen können, daß sie je in diesen Ort kommen oder vor meiner Tür stehen würde.

Das war schon eine Überraschung.

Ja, das war eine Riesenüberraschung.

Ich hatte das damals gelesen und mir gesagt, wenn es nicht wahr ist, dann ist es wenigstens gut erfunden. Aber es war tatsächlich so?

Ja, es war so. Ich habe mir dann gedacht, was machst du jetzt, was tust jetzt? Auf jeden Fall das Band abstellen, sie hereinbitten und - bei einer Engländerin liegst du mit Tee nie falsch - Tee aufsetzen. Ich habe sofort eine Kanne Tee aufgestellt. Wir haben uns dann zwei Stunden prächtig unterhalten - und dabei ist die Zeit eigentlich stehengeblieben.

Dazu habe ich zwei Fragen. Du kanntest sie von Büchern aber nicht persönlich?

Richtig.

Was hat sie bewogen, dich kennenlernen zu wollen? Das muß ja auch einen Grund gehabt haben.

Meinen Freund Michael kennt sie seit vielen Jahren, weil er ein Kinder-Schimpansenbuch mit ihr gestaltet und verlegt hat. Was ich nicht wußte, war, daß sie seit ein paar Jahren vor Weihnachten fast immer für ein paar Tage nach Goisern gekommen ist.

Das wußte niemand?

Das wußte niemand, nein. Ich habe es auch nicht gewußt. Er hat ihr wohl irgendwann einmal eine Kassette oder eine CD mit meiner Musik gegeben, die sie nach Gombe mitgenommen und dort in Afrika gehört hat. Sie war davon offensichtlich sehr beeindruckt, und die beiden haben dann irgendwann einmal darüber gesprochen. Michael hat ihr gesagt: "Du, der Hubert hat aufgehört zu touren, ich glaube er ist zu Hause, wenn du willst, stelle ich euch einander vor."

Du hast damals gesagt, dieses erste Treffen hatte die Qualität eines Wiedersehens. Wie kann man das verstehen?

Manchmal geht das einfach so mit Leuten: Man kennt sie vorher nicht, aber es bedarf keiner Grundsatzdiskussion oder keines Abtastens, wie der andere drauf ist, wie man sich verständigen kann. Statt dessen ist von Anfang an eine gemeinsame Ebene da, die man in den meisten Fällen erst erreicht, wenn man Leute länger kennt.

Es hat also von Anfang an die Chemie gestimmt.

Genau. Es waren so viele Gemeinsamkeiten vorhanden: Mir ist aufgefallen, daß wir beide sehr optimistische, positiv denkende Menschen sind, die sich aber trotzdem der Realität und der vielen Probleme, die die Realität auch hat, nicht verschließen. Das war die große Gemeinsamkeit.

Ist damals die Idee zu dem Film, den du dann später gemacht hast, schon entstanden oder erst, nachdem du sie besucht hattest? Soweit ich weiß, warst du einmal bei ihr, ohne zu filmen.

Nein. Während meines ersten Besuches im Februar 1996 hatte ich dann den Wunsch, das Erlebte mit meinen Freunden zu teilen. Und da kam mir der Gedanke zu einer Fernsehdokumentation, den ich aber sofort wieder verworfen habe, weil ich mir gedacht habe: "Hubert, du hast so etwas noch nie gemacht, laß die Finger davon, das ist ein Riesenaufwand, so etwas zu gestalten."

Da hast du dich nicht geirrt, wie ich glaube.

Da habe ich mich nicht geirrt, richtig. Aber das Lustige dabei war: Obwohl ich den eigenen Gedanken und Wunsch nicht ernst genommen habe, blieb er bestehen und kam mir ungefähr einmal im Monat wieder in den Sinn. Aber ich habe diese Idee einer Fernsehdokumentation immer wieder weggeschoben. Der Gedanke war aber so penetrant, daß ich mich irgendwann einmal hingesetzt und mir gesagt habe: "In Gottes Namen, ich schreibe ein Dreiseiten-Exposé und verschicke es an ein paar Leute, von denen ich mir denke, daß ich da vielleicht eine positive Reaktion finde". Die Arbeit an der tibetischen Geschichte und die Arbeit mit Afrika hat sich dann immer abgewechselt. Ich bin dann nach Dharmsala geflogen. Als ich aus Dharmsala zurückkam, hat mir Hage gesagt: "Du, der ORF möchte das machen, denen ist eine Sendung ausgefallen. Sie haben zwar nur die Hälfte des Budgets, aber vielleicht finden wir noch einen weiteren Partner." Diesen Partner haben wir dann im Bayerischen Rundfunk gefunden. Und innerhalb von zwei Monaten waren wir in Afrika.

Muß man da Hubert von Goisern heißen, damit ein Projekt so schnell zustande kommt? Ich kenne die Dienstwege, das dauert ja normalerweise sehr lange, wenn man da zuerst einmal mit drei Seiten ankommt.

Ja, ich war unglaublich erstaunt, daß es so schnell ging. Das hat mir wieder bewiesen, daß alles geht, wenn man es nur will und die richtigen Leute findet, die am selben Strang ziehen.

Du hast schon erzählt, daß es das erste Mal gewesen ist. Was hast du an Erfahrungen daraus gewonnen? Es ist ja immer so, wenn man irgend etwas zum ersten Mal macht, fragt man sich hinterher, was denn jetzt eigentlich alles passiert ist. War es anstrengender, als du gedacht hast, war es erfreulicher oder kannst du jetzt sagen, das kann ich auch?

Ich weiß jetzt, wie man es wirklich macht. Ich würde es das nächste Mal anders machen. Ich habe manchmal bereut, daß ich mich darauf eingelassen habe. Während der Arbeit habe ich mir gedacht, nein, das ist nicht meine Vorstellung von Zusammenarbeit. Ich bin schon ein Mensch, der auch eine Streitkultur zu schätzen weiß, aber soviel wie in diesem Team gestritten wurde - so etwas habe ich überhaupt noch nie erlebt. Ich habe sogar die Leute gebeten, netter miteinander umzugehen, aber sie haben mich angeschrien, ich sei eine Mimose, "das sei immer so". Da habe ich mir dann gedacht, wenn das immer so ist, dann will ich so etwas nicht mehr machen. Inzwischen weiß ich, daß einfach die Chemie stimmen muß und es eigentlich nur besser sein kann und wird, wenn ich mir alle Leute selbst aussuche.

Laß mich das Wort "Mimose" aufgreifen. Ich habe jetzt gerade vor ein paar Tagen in der AZ einen Artikel gelesen, in dem dieser Begriff auch vorkommt: das "Sensibelchen". Bist du ein Sensibelchen? Ich hatte eigentlich, so wie ich dich von der Bühne her kenne, nie den Eindruck. Du scheinst mir eher manchmal stur zu sein, indem du sagst, ich will das aber genau so. Sensibelchen oder sensibel?

Sensibelchen sicher nicht - da gäbe es schon zu viele Leute, die aufschreien und sagen würden: "Was, ausgerechnet du!" Aber Aggression geht mir schon unheimlich unter die Haut. Wenn ich mit einer Aggression konfrontiert bin, dann tut mir das unglaublich weh. Es gibt nicht selten Momente - das kann ich aber nur, wenn ich alleine bin, in einer Ecke sitze oder im Auto bin und stehen bleibe -, in denen ich einfach drauflos heule, weil dieser Schmerz irgendwie raus muß. Danach kann ich dann auch wieder weitermachen. Ich bedauere es aber, daß ich das vor anderen Leuten nicht kann, daß ich meine Tränen und meinen Schmerz nicht zeigen kann, aber ich spüre ihn und nehme ihn wahr - und ich mag ihn nicht.

Auf der anderen Seite gibt es ja auch Leute, die sagen: "Paß auf, der Hubert ist ein Betonkopf".

Ich bin schon sehr stur, stimmt. Ich möchte eben einfach meine Visionen umsetzen. Wenn jemand kommt und sagt: "Paß auf, ich habe die oder die Idee, mach das!" Dann kann ich nur sagen: "Ja, wenn du diese Idee hast, dann mach du es selbst, aber sage nicht mir, ich soll es machen." Ich gehe auch nicht zu Leuten und sage: 'Mach das'. Ich habe schon meine Ideen und meine Projekte, die sich auch in der Kommunikation mit anderen Leuten entwickeln. Aber im Grunde genommen komme ich dann zu den Leuten und sage: "Paß auf, ich habe die oder die Idee, möchtest du mitmachen?" Da kann dann jeder "nein" oder "ja" dazu sagen. Aber ich glaube schon auch, daß es einfach einer gewissen Sturheit bedarf, damit die Dinge dann auch umgesetzt werden. Dazu gibt es zu viele Leute, die manipulativ unterwegs sind, als daß man ohne jede Sturheit seinen Weg gehen könnte.

Ich muß dazu sagen, daß ich nicht an Horoskope glaube, aber du bist Sternzeichen Skorpion. Man sagt von Skorpionen, daß sie nicht gleichzeitig mehrere Dinge machen können, daß sie immer schön eines nach dem anderen machen müssen und nicht viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten können. Wenn eine Sache fertig ist, kommt die nächste. Jetzt hast du aber - und über diese beiden Sachen haben wir gerade gesprochen - etwas getan, was mich sehr erstaunt hat. Du hast nämlich doch etwas gleichzeitig gemacht und zwar zwei Platten: den Soundtrack zu dem Film Von Goisern nach Gombe und Inexil, die tibetische Platte. Wie würdest du sie im Vergleich zueinander sehen? Sind sie verschieden, haben sie etwas Gemeinsames, eine gemeinsame Wurzel? Wie kann man das verstehen?

Es gibt nur einen Punkt, an dem sich die beiden Projekte treffen: Das ist in mir drinnen. Abgesehen davon finden sie auf demselben Planeten statt. Aber damit sind die Gemeinsamkeiten eigentlich schon erschöpft. Ich wußte nicht, daß Skorpione immer nur ein Ding nach dem anderen machen können, aber jetzt weiß ich auch, warum ich so gelitten habe in der Zeit.

Du hast mir einmal gesagt, ich mache immer eines nach dem anderen. Und das ist wirklich etwas, das man Skorpionen nachsagt. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber es ist schon eine Arbeitsweise von dir: Eine Sache beginnen, abschließen, dann über das Nächste nachdenken, das Nächste machen, es abschließen. Ist das so, oder verwebt sich das auch gelegentlich?

Nein, das stimmt schon so. Ich wußte aber nicht, daß es eine Eigenschaft ist, die den Skorpionen zugeschrieben wird. Ich habe wirklich sehr oft darunter gelitten, daß ich in diesen letzten 2 1/2 Jahren ständig zwischen drei Kulturen gependelt bin: zwischen meiner eigenen, der afrikanischen und der tibetischen. Auf der anderen Seite war es gut, daß ich die Dinge nicht getrennt gemacht habe, denn der Abstand hat mir immer wieder auch einen neuen Blickwinkel ermöglicht, so daß ich dann mit neuem Enthusiasmus und neuen Ideen die Sache weiterbetrieben habe. Ich glaube aber, daß immer eine Kontinuität in der Arbeit liegt und sich die Dinge auch gegenseitig befruchtet haben. Es ist aber nicht so, daß rhythmische oder musikalische Elemente aus dieser Kultur in die andere hineingepaßt hätten. Das war gar nicht der Fall. Aber einfach die Erfahrung, die man beim Eingehen auf eine andere Kultur und beim Verstehen einer anderen Kultur macht, hat mir schon oft genützt, wenn ich mit der nächsten Kultur zu tun hatte.

Gibt es Resonanzen auf diese beiden Veröffentlichungen?

Bisher nicht. Sie sind ja wirklich erst vor einer Woche herausgekommen. Die Resonanzen, die ich habe, kommen aus dem Freundeskreis. Die sind aber möglicherweise nicht repräsentativ.

Ich habe jetzt aber in der AZ etwas darüber gelesen, und das war nur "Jubel, Jubel". Da kam zwar auch das Wort "Sensibelchen" vor, aber das war von der Beurteilung her so, daß man sagen kann, du konntest mit dieser Qualität selbst nicht rechnen, als du losgefahren bist, um diese Sachen zu planen oder zu machen.

Die Leute, mit denen ich persönlichen Kontakt hatte und denen ich dadurch auch einen persönlichen Einblick in meine Arbeit und in die Auseinandersetzung mit diesen Kulturen geben konnte, fanden es alle sehr spannend und mochten diese Projekte. Und nun muß man wirklich schauen, inwieweit diejenigen Leute, die nicht diese Gelegenheit hatten, trotzdem einen Zugang finden können. Afrika ist sicherlich kein Problem: Ich kenne niemanden, der gesagt hat: "Afrika, ich weiß nicht, das ist nicht meins." Alle waren begeistert vom Gombe-Projekt. Das ist auch eine CD, die kannst du auflegen und dann 40 Minuten lang in eine andere Welt eintauchen. Bei Tibet ist es so, daß die meisten Leute gesagt haben: "Ja, das ist doch sehr fremd, da tue ich mir schon schwer und das finde ich anstrengend." Nach zwei Wochen haben alle Leute gesagt: "Ich höre nur mehr Tibet, ich komme momentan gar nicht mehr zu Afrika, weil ich Tibet so unglaublich spannend finde." Man braucht wirklich eine gewisse Bereitschaft und auch Eigeninitiative, um da hineinzukommen. Wenn man es dann geschafft hat, dann eröffnet sich wirklich eine neue Welt.

Das ist ja auch ein bißchen unerwartet. Wir kommen jetzt am Schluß einfach noch einmal darauf, weil mich das auch interessiert: Man konnte damit einfach nicht rechnen. Im Grunde haben die Leute damit gerechnet, daß jetzt vier Jahre Pause war seit dem Ende der Alpinkatzen und jetzt eigentlich wieder so etwas kommen müßte wie die neue Volksmusik. Konnte man damit rechnen? Ich meine, bei dir kann man ja schon immer mit allem rechnen, oder?

Ich habe selbst nicht damit gerechnet, daß ich nach Afrika und nach Tibet fahren würde. Selbst als ich Afrika und Tibet bereist habe, war es mir nicht bewußt, daß daraus Projekte erwachsen würden und werden, die am Ende ein Produkt haben, das vielen Leuten nachvollziehbar sein wird. Das ist einfach entstanden und ich glaube, ich bin auch für mich selbst unberechenbar, nicht nur für die anderen Leute. Ich habe nie damit gerechnet, daß ich da weitermachen werde, wo ich aufgehört habe, denn ich wollte bewußt eine Zäsur setzen, wollte mich zurückziehen, einen Anlauf nehmen und einen Sprung machen und nicht einen Schritt vorwärts. Ich möchte nächstes Jahr wieder gerne auf die Bühne gehen, möchte gerne wieder etwas ganz Neues machen - aber eben wieder etwas Neues.

Ich war damals bei dieser Pressekonferenz dabei, bei der du gesagt hast, daß es im Umgang mit dieser tibetischen Musik, mit den Musikern sehr schwierig war, daß ihr eigentlich - das war damals mein Resümee - eher zu nett miteinander umgegangen seid.

Ja, offensichtlich gibt es das, daß man zu nett ist - man kann es ja kaum glauben. Da sind zwei Kulturen zusammengekommen, die ganz andere Vorstellungen von Höflichkeit haben, und diese Verschiedenheit ist der Grund dafür, daß man dem anderen oft gar nicht höflich erscheint. Statt dessen erscheint es einem oft als Affront oder Ignoranz. Ich hatte gemerkt, daß wir nicht die Zeit hatten, uns über Jahre hinweg kennenzulernen und dieses Projekt über Jahre hinweg zu gestalten - dazu leben wir zu weit auseinander: ich hier und die tibetischen Musiker in Nordindien, im Exil in Dharmsala. Sie bereisen zwar ab und zu Europa oder Amerika, aber da sind sie dann auch beschäftigt. Man mußte eben in einer abgegrenzten Zeit - und wenn einem das noch so leid tut - das schaffen, was man gerne machen wollte. Während der letzten Produktionsperiode, als die Tibeter sechs Wochen lang bei mir in Salzburg im Studio gewohnt haben, habe ich nach zwei Wochen gemerkt, es passiert zu wenig, ich bekomme zu wenig Feedback. Am Anfang war mir das unangenehm, weil ich mir gedacht habe: "Hubert, wie unglaublich abhängig bist du doch vom Lob oder Tadel deines Gegenübers, damit du weißt, wo du stehst."

Waren die höflich zu dir, oder war es einfach so, daß sie nicht wußten, was du willst?

Ja, die waren unglaublich höflich. Sie haben immer gesagt: "Ja, finde ich schön." Immer wenn ich sie gefragt habe, wie wäre es mit dem, dann haben sie "ja" gesagt, mich freundlich angelächelt und dabei mit dem Kopf genickt. Wenn ich dann gesagt habe, wie wäre es aber mit dem, dann haben sie auch "ja" gesagt.

Da war der Franzi anders?

Da sind alle Europäer anders. Nach zwei Wochen habe ich gesagt: "Das gibt es nicht, ihr seid jetzt seit zwei Wochen da und habt nichts auszusetzen an mir. Ich kenne niemanden, der nichts an mir auszusetzen hat. Es gibt Dinge an mir auszusetzen, und ich möchte jetzt endlich wissen, was euch stört, denn nur so komme ich weiter, denn ich möchte ja an euch herankommen und es euch so schön wie möglich machen. Und es ist unmöglich, daß ich nicht ab und zu einen Fauxpas mache: Vielleicht sind es meine Essensgewohnheiten oder meine Arbeitsrhythmen." Vor allem betraf das natürlich die Musik, die wir zusammen gemacht haben. Ich habe ihnen gesagt: "Ihr müßt es mir sagen, wenn euch etwas nicht gefällt". Das war sehr schwierig.

Das kann ich mir vorstellen, das ist so, wie wenn man gegen eine Gummiwand läuft.

Sie sind aufgewachsen in einer Kultur, in der es einfach Tabu ist, Ältere oder Vorgesetzte in Frage zu stellen.

1999, das ist vorhin schon angeklungen, willst du wieder auf die Bühne. Das soll das Comeback sein, das ja viele von uns erwarten und ersehnen, denn vier Jahre sind doch auch eine lange Zeit.

Ich auch.

Ja, du mußt ja auch wieder für dich selbst auf die Bühne. Hast du da schon genauere Vorstellungen? Manchmal ist es doch so, daß man sagt, aha, das könnte so und so sein.

Ja, das ist richtig. Ich habe ein Musiziergefühl, eine Vorstellung von einem Musiziergefühl - nicht so sehr von einem Sound oder einer konkreten Aussage, die ich gerne treffen und musikalisch verpacken möchte. Nein, ich habe statt dessen ein Musiziergefühl. Das ist das, womit es eigentlich anfängt. Und ich habe einen Drang auf die Bühne. Und jetzt muß ich eben einmal schauen: Im Herbst fange ich an, mich kreativ zu betätigen, ich hoffe, die Muse küßt mich beim Komponieren und Texten und auch beim Bilden eines Ensembles. Ich habe ein paar Musiker im Auge. Ich habe es den meisten auch schon gesagt, sie müssen jetzt entscheiden, ob sie sich auf dieses Projekt in der Form einlassen wollen, wie mir das vorschwebt. Und dann muß man eben schauen, daß es auch untereinander stimmt. Es ist ja nicht nur so, daß ich mit allen auskommen muß, sie müssen sich ja auch untereinander verstehen. Das ist eine Geschichte, die sich erst entwickeln muß. Ich glaube nicht, daß man solche Sachen designen kann.

Der normale Termin wäre wie geplant eigentlich der 1. November 1998 gewesen. Das war ja eigentlich dein Wunschtermin: Genau nach vier Jahren.

Zuerst wollte ich nach zwei Jahren zurückkehren, aber zwei Jahre sind zu wenig, und so sind das jetzt eben vier Jahre geworden.

Ja, können wir uns dann jetzt auf den Termin 1. November 1999 einrichten?

Warum nicht? Ich möchte eigentlich schon gern im März 1999 auf der Bühne stehen. Aber mein Bühnen-Comeback hat sich immer wieder verschoben, vielleicht ist das diesmal auch der Fall, vielleicht kommt mir wieder etwas ganz Wichtiges, Bedeutsames dazwischen.

So wie ich dich kenne, dauert es eben immer etwas länger als geplant. Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.

Bitte.