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INTERVIEW

"Leide unter politischem Klima"

Kurier 4. Dezember 2006 | Text: Christian Böhmer

Hubert von Goisern über die EU-Skepsis der Österreicher, Briefe an FPÖ-Chef Strache und mauschelnde Politiker.

Er ist Musiker und Weltreisender und macht sich im Frühling zu einer "musikalischen Osterweiterung" auf: Hubert von Goisern über Traditionen, über SPÖ und ÖVP und Briefe an die Freiheitlichen.

Herr von Goisern, Sie starten im Juni Ihre „kulturelle Osterweiterung“, indem Sie mit einem zur Bühne umgebauten Frachtkahn die Donau bereisen. Kann so ein Projekt helfen, den Österreichern die EU-Skepsis zu nehmen?

Ich glaube nicht, dass die Österreicher EU-skeptischer sind als andere. Das ist ein Auf und Ab. Manchmal gibt's mehr Panik, manchmal weniger. Ganz offen gesprochen: Ich trete nicht an, um gegenzusteuern. Ich tu das vor allem für mich.

Egoismus als Antrieb?

Gibt's ein anderes Motiv? Gibt's einen anderen Antrieb als den, dass man für sich eine Vision entwickelt? Ich halte nichts davon, für andere Visionen zu entwickeln.

Aber Sie wollen Menschen zusammenbringen, oder?

Zusammenbringen ja – aber das passiert auch bei jedem Konzert. Wenn Menschen gemeinsam Musik hören, entsteht immer eine Verbindung. Zu meinen Konzerten kommen Fans, die auf der Straße nie auf die Idee kämen, etwas gemeinsam zu haben. Ich will dieses Zusammenkommen über den regionalen Rahmen ausdehnen.

Beschäftigt Sie die reservierte Haltung gegenüber den neuen EU-Partnern und der Türkei?

Was mich beschäftigt, ist ein Europa, das als Binnenmarkt innere Grenzen aufhebt, nur um die äußeren Grenzen noch schärfer zu bewachen. Für mich endet Europa nicht am Ural. Die Menschen müssen reisen und dort, wo sie hinkommen, auch arbeiten dürfen. Warum soll das nicht machbar sein?

Ihnen geht "Traditionsgetümmle" auf die Nerven. Jetzt fahren Sie nach Südosteuropa, wo es sehr starke Traditionen gibt. Sind Sie plötzlich Traditionalist geworden?

Da bin ich gespalten. Andere Speisen, Klänge, Instrumente und Lebenseinstellungen sind ungemein faszinierend. Was mich aufregt ist, wenn man sich hinter die Traditionen zurückzieht. Wenn man zum Beispiel jemandem einen Vorschlag macht, und der gar nicht nachdenkt, ob das g'scheit oder dumm ist, sondern nur fragt: Haben wir das schon gemacht? – Und falls nicht, geht's eben nicht. Dieses Verständnis von Tradition ist ungemein lähmend.

Aber diese Haltung gibt's doch in jedem Land. Platzt Ihnen auf Ihren Reisen da nicht regelmäßig der Kragen?

Ja, aber nicht nur im Zusammenhang mit Traditionsgetümmel. In Tibet zum Beispiel habe ich mich fürchterlich über die rotzfrechen Chinesen mit ihren Lautsprecher-Masten geärgert. Ausgerechnet zu Sonnenauf- und -untergang, also zu den schönsten Zeiten des Tages, plärrt aus den Lautsprechern die chinesische Propaganda. Das Gekreische hat mich so fertig gemacht, dass ich einen Masten umsägen wollte. Die Säge wäre kein Problem gewesen, aber irgendwer wird bestraft. Wenn nicht ich, dann die, bei denen ich schlafe oder mit denen ich Kontakt hatte. Also blieb der Mast.

Sie sind als Roter aufgewachsen und haben zuletzt geklagt, wie profillos die SPÖ sei. Gilt das immer noch?

Ich leide unter der SPÖ, ich leide unter der ÖVP, ich leide unter dem politischen Klima. Es ist merkwürdig, dass nur noch vor den und für die Medien kommuniziert wird.

War die politische Kultur früher besser – oder einfach nur anders?

Schwer zu sagen. Die fast selbstverständliche Autorität, die Politiker genossen haben, ist weg – und das ist gut so. Was die Kommunikation betrifft, hat's aber besser geklappt. Anders gesagt: Früher haben sich die Politiker – wenn man es negativ ausdrücken will – "zusammengemauschelt". Ich sehe es aber so: Es gab in der Sozialpartnerschaft ein ständiges Verhandeln und Diskutieren – und das war etwas wert.

Interessiert Sie Tagespolitik?

Phasenweise. Manchmal kippe ich voll hinein, schau nachts Seiten am Teletext an.

Und manchmal schreiben Sie auch Briefe. Warum hat FPÖ-Chef Strache von Ihnen Post bekommen?

Im Frühjahr hat die FPÖ bei einer Kundgebung in Innsbruck eines meiner Lieder gespielt, während der Redner am Podium vor der "Islamisierung" warnte. Ich hab sie gebeten, meine Lieder nicht zu spielen, weil ich mit dieser Politik nichts am Hut habe.

Macht Sie so etwas wütend?

Nein, denn ich find's ja sehr lässig, wenn jemand meine Musik hört – ich bin ja von ihr überzeugt. Ich sah das Ganze als Chance, diese Menschen zu erreichen. Und ich habe meine Motive erklärt. Musik öffnet einfach die Herzen. Und ich will nicht, dass meine Lieder helfen, giftige Wörter leichter in die Herzen zu bringen. Ich verbiete niemandem, meine Musik zu hören. Man muss nur wissen: Ich halte überhaupt nichts von Aus- und Abgrenzung.