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ZEITEN & ZEICHEN

SWR1 Leute: Hubert von Goisern – Musiker und Autor

SWR1 4. September 2020

Podcast: Audio und Video herunterladen

"Hosenscheißer" Lehar, ein ewiger Hai und die Kulturhauptstadt-Intendanz

OÖN 28. August 2020 | Text: Lukas Luger

Ab April 2021 geht Hubert von Goisern mit seiner neuen Platte auf Tour.

17 Lieder in 75 Minuten. Mit dem heute erscheinenden neuen Album Zeiten & Zeichen legt Hubert von Goisern ein wild zwischen den Genres springendes Werk vor. Im Interview spricht der 67-Jährige über die Feigheit Franz Lehars, Burg Clam und seine Faszination für den Grönlandhai.

Eröffnet wird Zeiten & Zeichen mit dem ungewöhnlichsten Song des ganzen Albums, dem wild zwischen Operette und Hip-Hop changierenden Freunde. Ist es als Statement zu verstehen, dass Sie diese Nummer über das tragische Schicksal des Franz-Lehar-Librettisten Fritz Löhner-Beda direkt an den Anfang gesetzt haben?

Beim Zusammenstellen der Platte fand ich keinen besseren Platz. Freunde ist ein gewaltiger Brocken, Heldentenor trifft auf Rap. Wer die ersten drei Songs – Freunde, Sünder und Brauner Reiter – überstanden hat, darf sich den schönen Dingen des Lebens hingeben (grinst). Freunde war schwierig hinzukriegen. Die Nummer fährt deshalb so gach unter die Haut, weil sie zwei Elemente vereint: das Abgründige und die Lebensfreude. Wenn ich an Löhner-Bedas Buchenwald-Lied denke, drückt es mir sofort die Tränen raus. Dass jemand im KZ solche lebensfrohen Zeilen schreiben kann, ist unfassbar.

Franz Lehar wird im Song als "Hosenscheißer" bezeichnet.

Es ist keine Anklage gegen Lehar, die Sache ist komplex. Er war ja bereits 68 Jahre alt beim Einmarsch der Deutschen. Richard Tauber hatte ihm wegen seiner jüdischen Ehefrau nahegelegt, auszuwandern. Lehar konnte kein Englisch und hatte nicht die Kraft, in den USA neu anzufangen. Er entschied sich, den Kopf einzuziehen und sich nicht für seinen Freund Fritz einzusetzen, obwohl er bei den Nazis gut angeschrieben war. Vor 20 Jahren hörte ich eine Radiosendung über das allerletzte Interview Lehars. Bei der Frage nach Löhner-Beda brach er in Tränen aus und sagte, er hätte doch nichts gewusst. Das hat mich unfassbar geärgert. Nicht, dass er sich in diesem Terror-Regime nicht exponiert hat, sondern dass er später so tat, als hätte er halt keine Ahnung gehabt.

Sünder ist eine Dialekt-Bearbeitung des US-Spirituals Sinnerman. War es die berühmte Version von Jazz-Ikone Nina Simone, die Sie inspiriert hat?

Ja, ich bin durch den neuseeländischen Film Hunt For The Wilderpeople aufmerksam geworden. In einer Szene lief Sinnerman, und ich dachte: "Da haut's da's Heu owa!". Ich hatte wahnsinnig Angst, mit meiner Version "einzugehen". Durch die prägnante Marimba von Christoph Sietzen und den Beitrag von BartolomeyBittmann entfernten wir uns aber weit genug von Simones Klavier-Version. Auf der Platte landete die allererste Version, die wir einspielten. Den Spirit des ersten Takes haben wir nie wieder so hinbekommen.

"Es träumte einst ein Grönlandhai / Vom Urlaub vor Hawaii" – in den ersten Zeilen von Grönlandhai glaubt man noch, es mit einer humorigen Nummer zu tun zu haben. Dann wird klar, dass es um Einsamkeit geht. Ist der 400 Jahre alte Hai eine Metapher dafür, dass Quasi-Unsterblichkeit kein erstrebenswertes Ziel ist?

Mich faszinierte einfach dieses Bild eines so langsam lebenden Lebewesens, das vom Aussterben bedroht ist. Es geht um die Sehnsucht nach Licht, nach Wärme, nach Gemeinsamkeit, nach Familie. Was ist das für ein schräges Lebewesen, das mit nur einem Stundenkilometer schwimmt und erst nach 200 Jahren geschlechtsreif wird? Der Hinweis auf den Hai kam von meiner Tochter, mit der ich vergangenes Jahr in Grönland war. Alles, was schnell ist, nützt sich ab. Nur dieser Hai eben nicht.

Aber nicht einmal der Hai lebt ewig. Denken Sie über Ihr Vermächtnis nach, das Sie irgendwann hinterlassen werden?

Ich denke viel darüber nach, was ich in die Öffentlichkeit entlasse. Es gibt Dinge, die mir wichtig sind, ich aber nicht teile. Darüber nachzudenken, welche Nachhaltigkeit all dies hat, wäre nicht gut. Zu viel über die Vergänglichkeit meines kreativen Tuns zu sinnieren, würde mich hemmen. Wenn ich vergleiche, was Mozart, Mahler oder Schubert geschaffen haben, dagegen bin ich nur ein kleines Sandkorn. Da schaue ich lieber, dass ich im Hier und Jetzt präsent bin.

Im Sommer '21 kehren Sie nach Clam zurück. Welchen Stellenwert nimmt diese Location ein?

Clam war stets ein Hammer, auch wenn's oft geregnet hat! Eine Lieblingserinnerung von mir ist das Wahnsinnskonzert von Elton John vor drei Jahren. Daran denke ich oft und sehr, sehr gerne zurück.

Im Jahr 2024 wird Bad Ischl zur Europäischen Kulturhauptstadt. Würde es Sie reizen, sich künstlerisch hier stärker einzubringen?

Die Kulturhauptstadt ist eine großartige Geschichte. Am liebsten würde ich die Intendanz ja selbst übernehmen! Um den organisatorischen Aufwand, der damit einhergeht, zu bewältigen, bin ich aber zu sehr Künstler. Da müsste ich all meine Musen verscheuchen! (lacht) Kreativen Input wird's von meiner Seite sicherlich geben.

Hubert von Goisern: "Ich glaube dieses Gejammere nicht"

Profil 23. August 2020 | Text: Stefan Grissemann | Foto: Alexandra Unger

Hubert von Goisern über Corona- Schwarzmalerei, seine ökologischen Utopien und Dialogangebote an die Rechten.

Unter Österreichs Popstars ist Hubert von Goisern eine Anomalie: ein Alpenrocker mit Liebe zur Weltmusik, ein Politprediger mit literarischen Ambitionen. Drei Monate nach seinem Romandebüt veröffentlicht er nun ein neues Album. Ein Gespräch über Corona-Schwarzmalerei, seine ökologischen Utopien und Dialogangebote an die Rechten.

Den Corona-Shutdown bezeichneten Sie in Interviews als "geil", als eine schöne Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen. Muss man nicht recht privilegiert sein, um es so zu sehen können?

Doch, und ich handelte mir damit eh auch wieder einen Shitstorm ein. Ich verstehe natürlich die Einwände der Leute, denen es weniger gut geht als mir, aber soll ich lügen? Das kommt mir nicht in den Sinn. Ich kenne fast nur Menschen, die dieser Ruhephase etwas abgewinnen konnten. Meine Freunde in Kalifornien und Brasilien leiden sehr darunter. Das ist fürchterlich, was da abgeht, aber das war und ist bei uns in Österreich nicht so. Gut, keiner will's mehr hören, dass eine Krise auch eine Chance sein kann.

Für Sie ist sie das?

Ja. Es liegt an uns, und ich hoffe, dass wir als Weltgesellschaft den Druck aufbauen können, dass beispielsweise Kerosin endlich versteuert wird. Wie kann denn ein sieben oder acht Jahrzehnte altes Gesetz, das einst den Flugverkehr fördern sollte, noch in Kraft sein? Wieso kosten Zugreisen immer noch das Vierfache mancher Flüge zum selben Ziel? Es kann nicht sein, dass der dreckige Schiffsdiesel weiterhin steuerfrei gehandelt wird! Alle jammern, alles liege darnieder: Aber auf der Autobahn rauscht ein LKW hinter dem anderen her, ein Stau folgt dem nächsten, ohne Ende. Ich glaube dieses Gejammere nicht. Wer versucht, einen Handwerker zu kriegen, schafft es nicht, weil alle ausgebucht sind. Ich glaube inzwischen, dass es die Künstler am härtesten trifft. Und durch diese Krise muss sich die Spreu vom Weizen trennen; was ist wirklich essenziell, was brauchen wir? Was wir nicht brauchen, wird verschwinden. Diese Souvenirstände in den Tourismusorten verkaufen unnötig produzierten Plastikmüll, der die Welt nur belastet. Im Schnitt wird in Europa ein T-Shirt drei Mal getragen, dann wird es entsorgt. Die Nachhaltigkeit, von der wir schon seit zehn Jahren reden, ist jetzt essenziell. Wir müssen effizienter mit unseren Ressourcen und uns selbst umgehen.

War das Schreiben Ihres ersten Romans eine unumschränkt positive Erfahrung oder mitunter auch quälend?

Quälend war es nicht, aber ich hatte schon meine Stressmomente, in denen ich mir sicher war, dass ich das nicht hinkriegen würde. Mir war nur immer klar, dass ich es fertigschreiben wollte, denn wenn es Schwachsinn war, dann sollte es zumindest ein fertiger Schwachsinn sein. Ob es dann publizierbar sein würde, so sagte ich mir, entscheide ich am Ende. Aber ich wollte nicht darüber nachdenken, wer das dann lesen würde. Das hätte mich unter Druck gesetzt. Ich wollte mir beweisen, dass ich einen Roman schreiben kann. Als ich fertig war, hat Michael Köhlmeier mir die Rutsche zum Zsolnay Verlag gelegt, das war's. Ich ging gar nicht mehr zu anderen Verlagen.

Und Ihr neues Album entstand parallel zur literarischen Arbeit?

Ja. Während des letzten halben Jahrs am Roman begann ich mich wieder nach der Musik und dem Zusammenspielen zu sehnen. Man wird in dieser Einsamkeit schon schrullig, wie man an vielen Schriftstellern merkt. Immer wenn ich nicht mehr wusste, wie es weitergehen sollte, hab ich eine Gitarre oder eine Trompete genommen oder mich ans Klavier gesetzt - und hab vor mich hin gespielt, ohne komponieren zu wollen, einfach aus Flucht vor der anfänglichen Schreibsperre. Ich hatte ja anfangs keine Ahnung, wie man einen Roman überhaupt baut. Ich wusste nur, dass meine Heldin wegläuft, aber wohin sollte sie reisen? Diese zufälligen musikalischen Ideen, die mir da kamen, hielt ich fest, ließ sie aber liegen. Ich hab 2017 und 2018 sicher 20, 30 Ideen für Lieder gesammelt. Sie griff ich auf, als das Buch fertig war.

In dem Song Brauner Reiter klagen Sie die Idiotie des Ewiggestrigen an, aber Ihr Lamento klingt eher resignativ als kämpferisch, fast wie ein Angebot zur Versöhnung. Muss man Rechtsextreme nicht bekämpfen?

Ich bin zu der reflektierten Haltung, die ich in Brauner Reiter zur Schau stelle, im täglichen Umgang nicht immer fähig, bin nicht immer so handreichend. Aber im Prozess des Schreibens schaffe ich das.

Halten Sie Nazis für lernfähig?

Zumindest kann man mir nicht den Vorwurf machen, dass ich sie einfach nur schroff zurückweise. Ich akzeptiere sie nicht, aber ich möchte schon zu verstehen geben, dass es nicht an mir liegt, wenn wir nicht zum Dialog finden. Wenn ich mir allerdings die Postings der FPÖler zu meinen Liedern A Tag wie heut und Brauner Reiter anschaue, ist ein Dialogangebot vielleicht ohnehin ein bisserl optimistisch gedacht.

Muss Ihr Album nun in die Charts - oder reicht es, dass es da ist?

Ich mache schon Musik, damit sie auch gehört wird. Aber es ist wie mit meinem Buch: Als es fertig war und mir ein gutes Gefühl gegeben hat, war das Wichtigste schon passiert. Ich freue mich, dass mein Album so geil geworden ist, dass es derart aufgegangen ist, dass wir die Ideen wirklich ohne Einschränkungen umsetzen konnten. Vielleicht hab ich noch zu wenig Distanz dazu, aber ich entdecke bislang keine Enttäuschung: Mein Produzent hat gemeint, dieses Album sei von Anfang an unter einem besonderen Stern gestanden. Es war auch ein Glück, dass im Lockdown plötzlich alle Zeit hatten, um noch die letzten Aufnahmen zu machen.

Eine Art Verbot, sich mit anderen Menschen zu treffen, haben Sie in den Dekreten der Regierung nie gesehen?

Ich habe mich immer gewundert, wenn mir Leute aufgeregt erzählten, man dürfe nun nicht mehr das Haus verlassen. Für mich waren das Empfehlungen. Jeder, der wegen seiner Corona-"Übertretungen" Strafe bezahlt hat, ist selber schuld. Ich hätte das nie gezahlt.

Das Bußgeld kriegt man jetzt angeblich eh wieder zurück.

Ja, wenn's wahr ist. Aber man muss kämpfen drum.

HvG bei NDR Kultur à la carte

NDR 2. September 2020 | Foto: NDR


Proteine der Poesie

Nordbayern 28. August 2020

Vom Rap bis zur Operette und vom Rocksong bis zur Polka: So vielseitig klang der österreichische Weltmusiker Hubert von Goisern selten. Auch die Texte haben es in sich.

Drei alpenländische Worte für Tausendsassa? Hubert von Goisern. Nicht nur, dass der österreichische Weltmusiker und Liedermacher singen kann, dichten, jodeln, unzählige Instrumente spielen. Er versteht es, immer wieder neu zu erstaunen – auch auf seinem neuen Album Zeiten und Zeichen.

Während andere einfach in ein normales Tonstudio gehen, um aufzunehmen, wandert, reist und geistert der drahtige 67-Jährige nach wie vor in allen möglichen Geographien und Klanglandschaften herum. Rock, Walzer, Blues, Mariacci oder Polka zählen zu seiner musikalischen Hausapotheke. In der Vergangenheit war er in Tibet, den amerikanischen Südstaaten oder bei Jane Goodalls Schimpansen in Afrika unterwegs, um sich für Songs inspirieren zu lassen. Es gibt aber auch Zeiten, da geht er einfach nur mit der Mundharmonika in den Wald.

Als moderner Troubadour kleidet er auf Zeiten & Zeichen seine Geschichten in die buntesten musikalischen Gewänder ein – von schillernd bis zappenduster. Etwa im Song Freunde, bei dem sowohl der Heldentenor Andreas Schager als auch der Rapper Dame mit ihm vors Mikro treten, um ein erschütterndes Kapitel Musikgeschichte in Erinnerung zu rufen. Es geht um die tragische Freundschaft des Operettenkönigs Franz von Lehár (1870-1948) mit dem jüdischen Librettisten Bedrich Löwy (1887-1942). Obwohl von Lehár sowohl Hitler als auch Goebbels persönlich kannte, legte er kein Wort für den langjährigen Wegbegleiter ein, als in Österreich die Pogrome begannen. Trauriges Ende vom Lied: Löwy wurde im KZ erschlagen.

Der Eisbär wär so gern Veganer

Von Goiserns Gabe, ohne jede Eitelkeit packende Stories zu erzählen, setzte er 2020 erstmals literarisch um, sein Debüt-Roman Flüchtig erschien. Im Wechselspiel zwischen Ballade und Beschwingtheit, zwischen Melancholie und Ironie, lauert bei den 17 neuen Songs auf Zeiten & Zeichen manches Überraschungsmoment. Im Titel Eiweiß zum Beispiel. Es geht um einen Eisbär: "Er wär so gern Veganer und lutschert nur Stana … Er wird amoi Tibeter. Irgendwann später." Doch bis dahin steht er auf Fleisch und Blut, denn er braucht Eiweiß - um jeden Preis. Political correctness? Von Goisern setzt auf die Proteine der Poesie.

Im Gespräch: Liedermacher Hubert von Goisern

Deutschlandfunkkultur 1. September 2020 | Autor: Katrin Heise

Duett mit der Zahnbürste

Kulturnews 28. August 2020 | Text: Jürgen Wittner

Hubert von Goisern hat Melodien im Ohr wie andere den Tinnitus. Dass sich der skurrilste Song des neuen Albums "Zeiten und Zeichen" aus dem wahren Leben speist, hat aber ganz andere Gründe, und die liegen in Afrika.

Hubert, du hast beim Schreiben deines Romans flüchtig für eine längere Zeit keine Musik gemacht. Wie war das?

Im ersten halben Jahr des Schreibens, als ich noch nicht den nötigen inneren Druck aufgebaut hatte, habe ich meinen Gedanken noch freien Lauf gegeben. Immer, wenn nichts hergekommen ist, habe ich, anstatt weiter über meine Figuren nachzudenken, die Gitarre, die Trompeter oder die Flöte genommen oder am Klavier vor mich hingespielt. Irgendwann habe ich mir dieses Ventil versagt.

Zeiten & ZeichenDas war dann aber ein harter Griff. Immerhin sagst du von dir, dass du durchtränkt bis von Musik.

Wenn ich kreativ sein möchte, ist es oft so, dass die Kreativität in Form von Musik rauskommt. Meist ist das nicht schlimm – wie jetzt, wo ich Interviews gebe. Aber wenn ich schreiben will, und das Ventil heißt Musik, dann muss ich das abdrehen, damit beim Literaturventil was rauskommt.

Hast du wirklich immer und überall einen Soundtrack im Ohr zu dem, was du gerade siehst? Wie muss ich mir das vorstellen?

Wenn du's nicht selber hast, kannst du's dir nicht vorstellen. Aber stell dir halt vor, du hast nen Stöpsel im Ohr und es läuft die ganze Zeit eine Musik, die du dir wünschst. Es ist nie was dabei, das du nicht magst. Manchmal – jeder kennt das – ist ein Ohrwurm dabei. Das ist dann auch mal etwas, das ich nicht zwei Stunden lang hören möchte. Wenn ich nicht gerade spreche oder andere Eindrücke mich ablenken, habe ich Ohrwürmer nonstop. Ich höre immer etwas, aber es ist etwas, das es nicht gibt oder noch nicht gegeben hat. Die Melodien gehen endlos dahin. Das sind lang hingezogene Melodien, die wie Sinfonien durch den Kopf wabern.

Ist das Musik, die einfach aus dir herausströmt, oder ist sie eine Reaktion auf deine Umwelt?

Es ist beides. Es gibt ja oft Töne, die du hörst. Oder ein Rhythmus. Der klassische Rhythmus ist der des fahrenden Zugs (macht ihn nach). Oder du fährst in einer Straßenbahn und hörst so einen surrenden Ton, der ich weiß nicht woher kommt, vom Motor oder von den Gleisen. Und dann singe ich zu diesem Ton. Oder die (steigert sich rein) elektrische Zahnbürste! Wenn ich mir die Zähne putze, singe ich mit der Zahnbürste ein Duett, singe was drüber oder drunter und höre mir die Harmonien an. Singe ne Terz dazu, ne große Terz, ne kleine Terz, und finde das alles wahnsinnig spannend. Oder die Glocken läuten und … (reißt sich wieder zusammen) – ja, das geht in einer Tour so dahin! Das ist halt so.

Kamen dir auch Ideen beim Schreiben des Romans?

Nein, da war ich ganz in der Literatur.

Immerhin! Literatur konnte die Musikproduktion stoppen.

Literatur ist, wenn sie gut ist, Musik in Worte gefasst.

Über den ungemein wichtigen und politischen Song Freunde ... (das Leben ist lebenswert) auf deinem neuen Album haben wir bereits im letzten kulturnews-Interview gesprochen. Lass uns deshalb zu zwei anderen Liedern kommen. Du beschreibst mit Dunkelrot und Dunkelblau zwei Seiten der Liebe: einmal die bedingungslose Liebe, und dann die absolute Negation von Liebe. Hast du beide Lieder gleich als Gegensatzpaar geschrieben? Wie entstanden sie?

Ich hab die Musik zu Dunkelblau geschrieben und wusste, worüber ich singen möchte. Über die Liebe, über Zweisamkeit, über die Zuneigung. Ich wusste nur das Thema, und die Musik war fertig. Ich bin dann in Klausur gegangen für eine Woche und hab die Texte geschrieben, auch die anderen. In dieser Woche habe ich nichts gemacht als essen, schlafen und schreiben. Dann bin ich nach Hause gekommen, und meine Frau sagte zu mir: Wie ist es dir ergangen? Ich: Super, ich habe alles fertig. Sie: Magst du mir was vorlesen? Ich habe ihr unter anderem den Text zu Dunkelrot vorgelesen. Sie sagte: Wahnsinn, so ein schöner Text! Wie geht die Melodie? Da hab ich ihr das Playback eingeschaltet und den Text dazu gesungen.

Als ich fertig war, hat sie gesagt: Das ist so schade! So ein schöner Text und so eine düstere, traurige Melodie. Und sie sagt nie was, sie sagt normalerweise nie was! Sie kommentiert meine Arbeit einfach nicht, weil sie weiß, ich bin da in meiner Welt drinnen. Aber nachdem sie das gesagt hat! Wenn Hildegard mal was sagt, dann nehm ich das jetzt schon ernst. Ich hab nachgedacht, mich hingesetzt und innerhalb von zwei Stunden eine andere Melodie geschrieben, und das war dann Dunkelrot, wie man es jetzt hört. Dann hatte ich aber noch diese Melodie, die keinen Text mehr hatte. Dann habe ich den Dunkelrot-Text einfach ins Negative gedreht und gesagt: Das ist einfach die dunkle Seite des Mondes.

Was hat es mit dem Song [über den Eisbären] auf sich, der keinen Fleischersatz fressen will? Möchtest du mit hier ausdrücken, dass man manche Menschen in Zeiten von Klimakatastrophe und Massentierhaltung nicht ändern kann?

Da sind zwei Geschichten drin. Da ist einmal die Klimaerwärmung drin, die das Habitat des Eisbären schmelzen lässt, seine Nahrungskette zerstört und ein Überleben immer schwieriger macht. Auf der anderen Seite ist es unsere Verniedlichung und Vermenschlichung der Tierwelt. Ich habe Menschen kennengelernt, die leider Hunde und Katzen haben und seit Jahren versuchen, diese Tiere zu veganer Ernährung zu zwingen. Das ist einfach krank!

Ein Eisbär braucht sein Futter so, wie er's g'wohnt ist. Es wird sein Überleben nicht sichern, wenn wir ihm Mangos oder Fleischersatz anbieten. Diese Welt ist sehr bunt und zur gleichen Zeit sehr gefährlich. Nicht nur, weil dir ein Baum auf den Kopf fallen kann, sondern auch, weil der Mensch als Gesamtheit ein Raubtier ist, ein sehr ressourcenverbrauchender Charakter. Das alles ist in dieser Geschichte auf sehr lustige und humorvolle Weise verpackt, aber eigentlich ist damit nicht zu spaßen, weder mit dem Eisbären noch mit dem Klimawandel.

Mit Novemberpferde ist dir meiner Meinung nach ein sehr optimistischer Song gelungen. Aber wieso der Titel? In meinem Kosmos stehen Pferde im November oft im Nebel.

Sie stehn am See und träumen herbei den ersten Schnee. Wenn du das positiv siehst, ist das sehr gut, aber im Grunde genommen ist es eine Auslöschung der Welt, die sie erträumen, und erst dann kann etwas Neues beginnen.

Auslöschung der Welt: Für mich war das lediglich der kommende Winter …

Ich habe den Text irgendwann zwischen November und Januar geschrieben. Und dann kam Corona, und als das daherkam, habe ich gedacht, das ist schon irgendwie ein Song, der diese Stimmung wiedergibt. Wo die Welt, wie wir sie kennen, wo schon nicht ausgelöscht, so doch zugedeckt wird. Wir aber haben die Chance, sie uns neu zu erträumen. Natürlich ist das mit Licht verbunden und mit Unschuld, wie alles Neue eben etwas Unschuldiges hat und mit Licht erfüllt ist. Aber es liegt an uns, dass wir diese Unschuld erhalten und uns nicht wieder schuldig machen.

Kommen wir vom Neuanfang zum Einzeller!

Du meinst den Jodler?

Ja, ich meine den Jodler für Willi, den für den Biologen! Die skurrilste Nummer auf dem Album. Ist der Einzeller wirklich nach dir benannt?

Ja. Der heißt Rigidotrix Goiseri. Und Willi – er ist im März gestorben – Willi Foissner war mein Schwager. Er war ein großer, international anerkannter Forscher. Als ich nach Mali ging, um beim dortigen Festival au Desert zu spielen, hat er mich gebeten, eine Bodenprobe mitzubringen. Er warnte mich auch: Du musst aufpassen, man darf eigentlich kein Erdreich importieren. Dann hat er gesagt, wie viel er braucht und dass ich es in ein Plastiksackerl geben soll und das dann in einen schmutzigen Socken reinstecken, weil dort die Chance, dass es gefunden wird, am geringsten ist.

So hab ich die Erdprobe von einer Insel im Niger bei Bamako rübergebracht. Ein halbes Jahr später hat er gesagt: Hey, ich hab da einen Einzeller gefunden, der noch nicht entdeckt ist. Er ist ein sogenanntes Flagship, also keine Abart eines anderen Einzellers, sondern ganz besonders unique. Ich hab ihm geantwortet: Nenn ihn Kohler, das ist auch ein Jodler, den ich dort in der Wüste gesungen habe und der mir damals am Herzen lag. Darauf er nur: So ein Blödsinn! Und hat mir irgendwann die Unterlagen geschickt, wo drin steht, dass er ihn Rigidotrix Goiseri genannt hat. Jodler für Willi auf dem Album ist meine Geste für ihn, mein Zurückgeben.

Global normal

Profil 23. August 2020 | Text: Stefan Grissemann | Foto: Alexandra Unger (Editiert)

Unter Österreichs Popstars ist Hubert von Goisern eine Anomalie: ein Alpenrocker mit Liebe zur Weltmusik, ein Politprediger mit literarischen Ambitionen. Drei Monate nach seinem Romandebüt veröffentlicht er nun ein neues Album.

Man mag angesichts seines Alters und seiner ungebrochenen Popularität nicht unbedingt von "Comeback" sprechen, aber streng genommen war Hubert von Goisern länger weg. Seit fünf Jahren hat er kein Album mehr veröffentlicht, seit fast vier Jahren keine Bühne mehr unter seinen Füßen gespürt. Er hat die Zeit genutzt, um zu einer Art Doppelschlag auszuholen: Im Mai kam sein (von der Kritik sehr wohlwollend aufgenommenes) Romandebüt in den Handel, diese Woche wird ein neues Album folgen. flüchtig heißt das Buch, das er unter seinem Geburtsnamen Hubert Achleitner veröffentlicht hat, Zeiten & Zeichen der Tonträger.

Hubert von GoisernEin Flüchtiger ist Hubert von Goisern auch selbst. Die frühen Jahre seines Erwachsenseins nutzte er dazu, der Enge des Salzkammerguts zu entkommen; er verbrachte sieben Jahre in Südafrika, Kanada und auf den Philippinen. Seine Dekade des Reisens machte ihn zum künstlerischen Spätstarter: Die erste Platte veröffentlichte er – obwohl er schon mit 13 bei der lokalen Blasmusik aktiv war – erst 1988, mit 35, sein Romandebüt nun mit 67. Er sieht in seiner Bedächtigkeit auch ein Rezept zur Vermeidung von Selbstzerstörung: "Wenn ich in meinen Teenagerjahren, als ich meine erste E-Gitarre malträtierte, schon eine Popkarriere verwirklicht hätte, wäre ich vielleicht auch mit 27 tot gewesen, wie so viele meiner Generation. Ich schrieb früh Lieder, aber erst wenn man das Österreichische hinter sich lässt, kriegt man eine entscheidende andere Perspektive – wobei Österreich für mich kein Schimpfwort ist, eher eine Auszeichnung, weil wir eine Kulturnation sind, aber halt nicht der Nabel der Welt."

Ein Boutique-Hotel in Wien am Freitag vorvergangener Woche. Goisern ist auf Kurzbesuch in der Stadt. Am Abend davor hat er im Rahmen des Literaturfestivals "O-Töne" noch aus seinem Buch im Haupthof des MuseumsQuartiers gelesen, zum profil-Termin um neun Uhr früh steht er topfit im Hotelkorridor.

Zeichen von Müdigkeit sind nicht festzustellen. Dass ihm die Aussicht auf ein weiteres jener gut 100 Interviews, die er in diesen Wochen zu geben hat, nicht enorme Vorfreude beschert, merkt man ihm an. Aber er ist höflich und professionell genug, um daraus keine größere Demonstration schlechter Laune zu machen. Er spielt mit, ein wenig scheu, lässt Fotos machen, auch ein Video, und beantwortet sämtliche Fragen mit einer Mischung aus mildem Interesse und sanftem Gleichmut.

Am Nationalfeiertag 2016 hat er sein bislang letztes Konzert gespielt, danach beschlossen, "ein Jahr lang gar nichts zu machen. Ich ließ mir Zeit, herunterzukommen von der Tour, hab am Heim gearbeitet, mich meiner Familie und Freunden gewidmet." Im Sommer 2017 begann er zu schreiben, fast zwei Jahre lang. flüchtig erzählt, aus weiblicher Perspektive, vom Scheitern einer Ehe und vom Reisen als Flucht und Bereicherung. Der Autor spürt das Politische im Privaten auf, das Besondere im Alltäglichen. Den polternden Sexismus seines Hits Koa Hiatamadl (1992) lässt er damit weit zurück.

Es ging ihm mit diesem Buch auch darum, sich selbst etwas zu beweisen, eine alte Wunde zu schließen. "In der Schule war ich grottenschlecht, vor allem in den Sprachfächern, kam immer nur gerade noch durch. Im fünften Gymnasiumsjahr flog ich dann von der Schule, scheiterte in Deutsch, Latein und Englisch. Ich dachte also immer, ich sei extrem sprachunbegabt. Mir wurde das stets vermittelt, irgendwann glaubte ich es auch. Es dauerte lange, die Schule zu vergessen, mich über Liedtexte und Kurzgeschichten neu ans Sprachliche heranzutasten."

Inzwischen hat ihn die Musik, von der er so dringend eine Auszeit brauchte, wieder eingeholt. Er habe nicht gewusst, ob er noch einmal auf die Bühne gehen würde, erklärt er glaubhaft. Dann kam die Lust zurück. Die Tour 2020 ist nun zwar auf 2021 verschoben, dafür wird sie monumental: Fast 60 Termine will er mit seiner Band ab April bis Jahresende absolvieren, viele davon auch in Deutschland, der Schweiz und Luxemburg. Die Song-Sammlung Zeiten & Zeichen, die er dabei auch präsentieren wird, ist ein "Sammelsurium", wie der Komponist selbst zugibt. So eklektisch, darf das sein? "Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich mir das jetzt einfach leisten kann."

Das Territorium der Neuen Volksmusik ist nach links hin begrenzt von kantigen Bands wie Attwenger, nach rechts außen hin von Stadionpopulisten wie Andreas Gabalier. Irgendwo dazwischen liegt die Karriere des Kosmopoliten Hubert von Goisern, dessen seit Langem schon ins Weltmusikalische abdriftendes Werk seinen Ruf als Alpenrocker nicht ankratzen konnte. "Ich habe meine Wurzeln in der alpinen Volksmusik, mit der ich aufgewachsen bin. Das war nicht unbedingt meine Musik, aber sie war prägend, weil sie mich umgeben hat, so kam sie in meine DNA. Dann erwischte mich der Blues, der strukturell gar nicht so weit weg ist von österreichischer Volksmusik, auch durch die Mundharmonika und seine aus dem Abendland importierten Kadenzen." Ganz selbstverständlich spricht er von mixolydischen Skalen und den Feinheiten des Mali-Blues. Ravi Shankars Ragas begeisterten ihn früh, wenig später erwischte ihn Miles Davis' Bitches Brew. So sei "die ganze Welt in mein Musikverständnis" gekommen, und er habe sich "freigespielt von Stildiktaten".

Politisch explizit bleibt er: In einem "Standard"-Interview vor zwei Monaten meinte er etwa, Sebastian Kurz "macht seine Sache gut" – und provozierte damit fast 1700 Postings. ("Schon erstaunlich, wie viele negative Ein-Satz-Posts man sich damit einfangen kann.") Der Satz sei erstens harmlos und zweitens aus dem (Corona-)Zusammenhang gerissen, seufzt er. "Dann wurde er zur Schlagzeile, klar. Aufreger erhöhen eben die Aufmerksamkeit. Aber das Marktschreierische, Polarisierende tut der Welt nichts Gutes." Natürlich habe Kurz "seine Schwächen, seine Schattenseiten und blinden Flecken", sagt er noch, "aber unter den gegenwärtigen Voraussetzungen empfinde ich diese Regierungskonstellation als die beste, die wir uns wünschen konnten". Hubert von Goisern wird aufpassen müssen, wenn er nicht schon bald wieder von der falschen Seite her umarmt werden will.

Reise in die uferlose Goisern-Welt

Kleine Zeitung 24. August 2020 | Text: Bernd Melichar

Im Frühjahr sein erster Roman, jetzt sein neues Album "Zeit und Zeichen". Hubert von Goisern, der Künstler ohne Grenzen

Ewig hätte er am Rockzipfel, gleichzeitig Gängelband, des herrischen Hiatamadls hängen bleiben können, doch früh schon hat Hubert von Goisern den goldenen Käfig gesprengt, die Flügel aufgespannt und ist weit, weit weggeflogen, um die Töne, Stimmen, Melodien und Schwingungen der Welt zu erkunden. Nach Tibet führte die Reise und zu den Sufis, nach Mali und Tansania, auch die sumpfigen Klänge des amerikanischen Südens hat dieser Rast-, aber nie Ruhelose in den alpenländischen Tiegel eingeschmolzen, und um die musikalische DNA Europas zu erforschen, hat er zwei Jahre lang die Donau erkundet. In einen ganz neuen Kontinent ist Hubert von Goisern als Hubert Achleitner im Frühjahr aufgebrochen. Mit flüchtig legte er seinen ersten, von Kritik und Lesern sehr wohlwollend aufgenommenen Roman vor – ein bewegendes Roadmovie, wie könnte es anders sein.

Von der Schreibstube des Hubert Achleitner ging es schnurstracks ins Tonstudio des Hubert von Goisern, wo er jenen Songreigen aufnahm, der sich jetzt auf dem neuen Album Zeiten und Zeichen findet. "Das Bild, das mich verfolgte, war das einer riesigen Welle, die sich wie ein Tsunami aufbaut und die wir surfen müssen", schreibt Goisern im Begleittext zur Platte. Und weiter: Obwohl die Lieder in der Zeit vor Corona entstanden seien, "sind viele durchdrungen von etwas Ungreifbarem, Abgründigem".

Ungreifbar sind diese insgesamt 17 Songs tatsächlich. Uferlos, maßlos, wunderbar unberechenbar, ziellos im positiven Sinn. Das Konzept besteht darin, dass es keines gibt. Schon der Beginn ein Paukenschlag: Freunde, eine wuchtige, wütende Rap-Arie über den Librettisten und Schlagertexter Fritz Löhner-Beda, der ins KZ Auschwitz deportiert wurde und dort umkam – schon zuvor im Stich gelassen von seinem "Freund", dem großen Franz Lehár. Es folgt das brodelnde "Sünder", eine funkensprühende Adaption von Nina Simones Sinnerman, dann galoppiert der Braune Reiter, den absurden Traum vom Urgermanen in den löchrigen Satteltaschen, in den (Sonnen-)Untergang. Nach dem harten, kämpferischen Intro das zarte Mittelstück: Goisern zeichnet – oft nur begleitet von leisen Klaviertupfern oder sanften Streichern – melancholische Lebens- und Liebeslieder an die Wand. Wer sich jetzt in der blauen Stunde wähnt, liegt falsch. Denn dieses Album schlägt Haken am laufenden Band. Eiweiss und Elektro könnten als luftig-lustige Sommerhadern durchgehen. Dann wieder taucht der Grönlandhai vor Hawaii auf, im Jodler für Willi und im Gamstod kommt die bislang wenig verwendete Quetschn zum Einsatz, A Tag wie heut ist ein rescher Rock-Rumpler – und mit Tierische Polka fegt Hubert von Goisern ins furiose Finale.

Und aus. Und uff! Was für ein kunterbunter Hundling. Was für eine abenteuerliche Reise. Sie bereitet Freude, sie stimmt nachdenklich, sie macht neugierig. Und sie hat diesmal nicht rund um die Welt geführt, sondern durch den inneren Globus von Goisern. Was wahrscheinlich auf das Gleiche hinausläuft.

"Viele haben mir gesagt, dass ich so eine Platte, die überhaupt keinen roten Faden hat, nicht machen kann", sagte Hubert von Goisern unlängst im Interview mit der Kleinen Zeitung. Zum Glück hat er – wie immer – nicht auf gute Ratschläge gehört.

Calypso für Eisbär, Sympathie für Lehár

Kurier 28. August 2020 | Text: Brigitte Schokarth | Foto: © Konrad Fersterer

Zurück zur Musik. Kurz nach seinem ersten Roman veröffentlicht Hubert von Goisern sein neues Album "Zeiten & Zeichen"

Hubert von GoisernMehr als zehn Wochen lang führte Flüchtig, das Roman-Debüt von Hubert von Goisern, im Juni und Juli die Bestsellerlisten an. Jetzt drängt der 67-Jährige mit Zeichen & Zeiten wieder in die musikalischen Hitparaden. Dabei präsentiert sich von Goisern stilistisch so breit wie noch nie zuvor, mäandriert zwischen karibischen Sounds und Polka, Wienerlied, Elektronik und Rap, und drückt all dem sein Qualitätssiegel auf. Im Interview mit dem KURIER erzählt er, wie sich seine Buchfiguren gegen ihn aufgelehnt haben, was er gegen die heutige Art des Warentransportes hat und warum er einem Eisbären einen Calypso-Song gewidmet hat.

Gratulation zum Erfolg des Romans. Warum haben Sie dafür eine Frau zur Hauptfigur erkoren?

Davon habe ich mir versprochen, dass ich leichter von mir wegkomme. Denn ich wollte ja kein autobiografisches Buch schreiben, keine Hauptfigur haben, die so denkt und handelt, wie ich das in diesen Situationen tun würde. Und tatsächlich habe ich dann das gespürt, wovon viele Autoren sprechen, nämlich, dass sich die Figuren verselbstständigen und ihr Eigenleben entwickeln. Ich hatte ursprünglich die Idee gehabt, auch einen Handlungsstrang einzubauen, wo es zu einem Verbrechen und dann zu falschen Anschuldigungen gekommen wäre. Aber diese Figur hat sich komplett geweigert, irgendetwas mit Kriminalität zu tun zu haben.

Da kam Ihre eigene pazifistische Einstellung durch ...

Ja, sicher. Aber ich glaube, es war Paul Auster, der gesagt hat, dass ein Roman, der gar nichts mit dem Schreiber zu hat, nur ein schlechter Roman sein kann.

Auf dem Album gehen Sie gleich mit dem ersten Song Freunde auf die Nazi-Zeit ein. Sie beschreiben darin, wie Franz Lehár trotz guter Beziehungen zum Regime sich nicht für seinen jüdischen Freund Fritz Löhner-Beda einsetzte, der nach Auschwitz transportiert und erschlagen wurde. Warum schwingt da auch etwas Verständnis für Lehár mit?

Ich hab große Sympathie für jeden, der durch diese Zeit durchgehen musste. Und ich traue mich nicht zu sagen, ob ich in so einer Situation nicht auch in Deckung gegangen wäre und geschaut hätte, dass ich irgendwie durchkomme. Lehár war beim Einmarsch 68 Jahre alt. Man hat ihm geraten, nach England oder New York auszuwandern, aber er sagte, ich kann die Sprache nicht, ich bin zu alt dafür. Er hat es geschafft, dass seine jüdische Frau zur Ehrenarierin ernannt wurde, aber das war natürlich eine prekäre Situation für ihn. Ich hätte das Lied auch nicht gemacht, wenn ich nicht ein Interview mit ihm gehört hätte, in dem er auf den Tod von Löhner-Beda angesprochen wurde. Da hört man, wie er in Tränen ausbricht und sich dann drüberrettet, indem er sagt, er wusste nichts davon. Das ist natürlich Blödsinn, denn es hat ihn offenbar schwer beschäftigt.

Es gibt auch noch andere Songs auf dem Album, die auf diese Zeit eingehen. Erinnern Sie an die Verbrechen, weil es eine jüngere Generation gibt, die keinen Bezug mehr dazu hat, während Sie solche Geschichten noch von Ihren Eltern gehört haben?

Ich glaube, die junge Generation weiß darüber mehr als wir, denn die hört das im Geschichtsunterricht. Wir haben davon in der Schule ja gar nichts gehört. Ich bin sieben Jahre nach Kriegsende geboren, habe aber auch nicht viele Geschichten darüber von meinen Eltern gehört. Aber es war halt präsent, weil man überhaupt keine Antworten bekommen hat. Diese Wand des Schweigens hat klargemacht, dass da etwas Ungeheuerliches passiert ist. Sie hat das für uns körperlich spürbar gemacht. Das hat die junge Generation nicht mehr. Aber ich singe darüber, weil ich finde, dass es wichtig ist, dass wir uns nicht so weit distanzieren, dass wir glauben, es kann nicht mehr passieren. Denn genau dann passiert es.

Sehen Sie das zurzeit als eine Gefahr?

Ich glaube, noch haben wir die nötige Wachheit. Und mein Beitrag, diese Wachheit aufrechtzuerhalten, sind solche Songs. Mit der derzeitigen Bundesregierung habe ich keine Ängste in diese Richtung. Aber es ist noch nicht lange her, da hatten wir eine andere Regierung. Und da war es sehr wohl berechtigt, sich Gedanken darüber zu machen, was es an Spaltung gibt, was es an Feindbildern gibt, die damals wieder beschworen wurden, und dass es jederzeit wieder passieren kann.

Es ist sicher kein Zufall, dass der Song Eiweiß über einen Eisbären auf Nahrungssuche karibisches Flair hat.

Natürlich nicht: Die Polkappen schmelzen, es wird immer wärmer und seine Regionen werden karibisch.

Das Umweltthema kommt auch öfter auf Zeiten & Zeichen vor. Sie reisen sehr gerne. Spüren Sie einen Konflikt zwischen der Lust darauf und dem Schaden, den Fliegen der Umwelt zufügt?

Ja, das hat es gegeben. Allerdings habe ich immer Slow-Travelling betrieben. Ich bin irgendwo hingefahren und lange dortgeblieben, um in diese Kultur und die Lebensweise der Leute eintauchen zu können. Auch, um den Leuten dort die Möglichkeit zu geben, mich richtig kennenzulernen – nicht nur als Cappuccino-Konsument. Das halte ich nach wie vor für sehr wichtig in Bezug darauf, die Angst vor dem Fremden zu verlieren. So werde ich sicher wieder reisen. Aber ich glaube, mit der Reiseart, dass man in einer Woche durch fünf Länder rast, oder für ein Wochenende nach Barcelona fliegt, muss jetzt Schluss sein. Und was der Umwelt auch noch stark helfen würde, wäre, dass der Transport anders eingepreist wird.

Sie meinen den Transport von Waren?

Genau. Der Schaden, den es anrichtet, wenn man Sachen zum Färben nach Indien und zum Knöpfeannähen nach Sibirien schickt, dreimal um die Welt, weil diese Arbeiten dort billiger sind, ist Wahnsinn. Und das geht nur, weil der Transport nahezu nichts kostet und das Kerosin steuerfrei ist. Auch der Schiffsdiesel, der so viel Dreck macht. Um die Umwelt zu retten, müssen wir uns gegen so einen Wahnsinn solidarisieren. Das heißt sicher, dass Dinge teurer werden und wir auf manches verzichten müssen. Aber man muss sicher nicht ganz auf das Fliegen verzichten. Man kann auch nur einmal statt fünfmal im Jahr fliegen und länger dortbleiben. Dann kann man es sich auch leisten, wenn es fünfmal so teuer ist.

Wie ist Elektro entstanden, ein Song, der pumpende Elektro-Beats mit Gitarre und Akkordeon verbindet?

Nach einer Aufnahmesession habe ich mit meinen Co-Produzenten Alessandro Trebo und Wolfgang Spannberger noch ein Bier getrunken. Die beiden haben angefangen, über Technik zu reden. Weil das so gar nicht meins ist, konnte ich nicht mitreden und mir war fad. Um sie zu stören, habe ich dann immer wieder "elelelelelektro"gesagt. Irgendwann fragten sie: "Welchen Song singst du da?" Ich sagte: "Das ist kein Song, das sind Störgeräusche!". Darauf sie: "Daraus kann man aber einen Song machen."

Hubert von Goisern: Zeiten & Zeichen

Okerwelle 35/2020

Lang ist's her – das letzte Konzert von Hubert von Goisern ging am 26. Oktober 2016 in München im Circus Krone über die Bühne. Danach hat er sich zurückgezogen, um zu schreiben. Herausgekommen ist der Roman flüchtig, Ende Mai 2020 veröffentlicht unter HvG's Geburtsnamen Hubert Achleitner. Seit der Fertigstellung arbeitete Hubert von Goisern wieder an neuer Musik. Das Album Zeiten & Zeichen wird am 28. August erscheinen.

Das Werk lässt den Rezensenten (zugegebenermaßen) beim ersten Querhören ein wenig ratlos zurück und bleibt zunächst auf dem Stapel "zur Wiedervorlage" eher unbeachtet liegen, ehe es dann doch den Weg in den CD-Player findet; dann Kopfhörer auf und sich vorgenommen, die etwas mehr als 60 Minuten konzentriert zuzuhören. Klingt nach "Arbeit", ist aber von den ersten Tönen an fesselnde "Kost", musikalisch sowieso, vor allem aber textlich – der politischste Hubert von Goisern seit seinem fulminanten Start 1988 mit dem legendären Hiatamadl.

Schon der Opener Freunde… (das Leben ist lebenswert), angelehnt an den gleichnamigen "Schlager" aus der Franz Lehar-Operette Giuditta, von Hubert von Goisern zunächst als Mut machender Titel und Gegengewicht zu all der Jammerei über die ach so schweren Lebensumstände gedacht, lässt mehr als aufhorchen. Das auch deshalb, weil der Song sich im Schaffensprozess in seiner Aussage gravierend verändert hat.

Kurz gesagt: HvG zeigt mit großartigen musikalischen Wendungen und einem unter die Haut gehenden Text die Geschichte von Fritz Löhner-Beda auf, aus dessen Feder u.a. der Text für Freunde ... stammt); ein enger Freund von Franz Lehar, der allerdings den von den Nationalsozialisten seiner jüdischen Herkunft wegen verfolgten Freund schmählich im Stich ließ. Fritz Löhner-Beda wurde am 13. März 1938 verhaftet, dann zunächst nach Dachau, später Buchenwald und im Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert, wo er am 4. Dezember erschlagen wurde. Eine Geschichte, die Hubert von Goisern kongenial im ersten Song seines neuen Albums umgesetzt hat.

Das Album enthält eine ganze Reihe von Songs, die mitunter ein wenig frösteln lassen, wie etwa die hypnotisch daherkommende Endzeithymne Sünder oder der an Rammstein-Rhythmik erinnernde Song Brauner Reiter. Bevor nun der Hörer (jedweden Geschlechts) in der Vermutung, das Songmaterial auf Zeiten & Zeichen wäre dann doch zu schwere Kost, sich nicht an das Album heranwagt – Hubert von Goisern schafft es mit einer Reihe von Drehungen und Wendungen (er "räubert" da ganz schön in den unterschiedlichsten Musikgenres) auch den "härtesten" Texten/Songs noch so etwas wie Hoffnungsschimmer beizumischen.

Zeiten & Zeichen ist also ein Album, das in Teilen ganz sicher keine wirklich leichte Kost ist, das aber, lässt man sich auf das Werk ein, einige Facetten von Leben abbildet – die dunklen ebenso wie die fröhlich dem Leben zugewandten – und das nicht schwarz-weiß, vielmehr in allen erdenklichen Graustufen und vor allem auch in bunter musikalischer Vielfalt. Kurzum: Hubert von Goisern ist mit Zeiten & Zeichen ein großartiges Album, durchaus ein Meisterwerk gelungen. Anspieltipps: Das komplette Album am Stück oder alternativ Freunde... (das Leben ist lebenswert) oder Dunkelblau (Königin der Nacht).

Neues Album von Hubert von Goisern: "Ich bin der rote Faden"

OÖN / APA 24. August 2020 | Text: Christoph Griessner | Foto: © Schwarzl

Mit einem von den Nazis ermordeten Künstler beginnt es, mit sich in den Hintern kneifenden Murmeltieren endet es: "Zeiten & Zeichen", das neue Album von Hubert von Goisern, ist ein überbordendes, unzählige Stile abgrasendes Werk geworden.

Hubert von Goisern

"Nicht viele Songs haben ein Verwandtschaftsverhältnis", sagt der Sänger selbst. Aber wer ihn kennt, weiß: Stillstand ist für von Goisern keine Option. Das hat er heuer schon mit der Veröffentlichung seines ersten Romans flüchtig bewiesen, und nun legt er nach. Immer wieder seien ihm während des Schreibens Instrumente in die Hände gefallen, und als der Roman endlich fertig war, ging er seine Aufzeichnungen durch. "Da bin ich draufgekommen: Ich habe 40 gute Ideen für Lieder", erinnerte sich von Goisern im APA-Interview. Ausgewählt wurden davon schlussendlich 18, wobei ein Stück noch von der Platte rutschte. "Das hatte einen arabischen Touch. Es ist eine tolle Songidee, wäre aber in diesem Rahmen ein Stück zu viel gewesen."

Man kann es sich vorstellen, ist dieses fast 75 Minuten dauernde Opus doch ohnehin schon vielseitig wie kaum etwas aus von Goiserns Diskografie. Vom stampfenden Rockgestus in Brauner Reiter über den Selbstversuch in moderner Tanzmusik (El Ektro) bis zur amüsant-witzigen Mariachi-Verbeugung Eiweiß. Dazwischen gibt es traditionellere Nummern (Gamstod), wird es mal balladesk (Dunkelrot) oder setzt von Goisern zu einer Goethe-Neuvertonung an (Glück ohne Ruh). Da weiß der Tausendsassa selbst: "Nur ich bin der rote Faden."

Aber leicht hat er es sich oder seinen Fans ja schon bisher nie gemacht. Das beweißt auch der fast siebenminütige, Hip-Hop- und Operette vermählende Opener Freunde, den von Goisern eigentlich über Franz Lehar schreiben wollte. Dabei stolperte er aber über dessen Librettisten Fritz Löhner-Beda, der in Auschwitz ermordet wurde. "Ich wollte wirklich eine Nummer machen im Sinne von: Freunde, das Leben ist lebenswert! Es wird ja so viel gesudert." Aber das Schicksal von Löhner-Beda habe ihn schwer mitgenommen, wie auch im Gespräch zu merken ist. "Da bin ich durch die Hölle gegangen, das zu schreiben und zu recherchieren."

Live werde er das Stück, bei dem Rapper Dame und Opernsänger Andreas Schager mitwirken, nicht aufführen. "Das kann ich mir nicht vorstellen", so von Goisern. "Ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde, ob ich dem Publikum antun möchte, so tief in das hineinzudringen. Ich habe das Thema bisher immer vermieden", gab sich der Künstler nachdenklich. "Das Erinnern ist natürlich wichtig. Aber für mich war es zu heftig. Einmal habe ich mich nun extrem darauf eingelassen. Und jetzt weiß ich, warum ich immer einen Bogen darum herum gemacht habe. Es ist so fürchterlich, so unfassbar - dass der Mensch zu so etwas fähig ist!"

Die "Spreizung" zwischen dem Ungeheuerlichen einerseits und dem, was das Leben dann doch lebenswert macht, verleiht diesem Stück eine besondere Intensität. "So ist das Leben. Man kann oft nicht glauben, dass dort, wo Krieg herrscht, Menschen noch leben, Kinder geboren werden, ein 'normales' Leben stattfinden kann", sagte von Goisern. "Das gilt in gewisser Weise auch für Corona: Der Mensch stellt sich darauf ein. Wenn du nicht anders kannst, wo sollst du denn hin? Und so war es damals auch. Es gab trotzdem noch Operettenaufführungen in diesem Wahnsinn. Man kann nicht aufhören zu leben."

So erschütternd wie zu Beginn wird Zeiten & Zeichen danach nicht mehr, auch wenn von Goisern seinen Hörern durchaus ins Gewissen singt. Etwa in seiner Sinnerman-Deutung Sünder, die sein zuletzt ausgelebtes USA-Faible gekonnt fortsetzt. Und dann die vielen tierischen Verweise, wie im abschließenden Tierische Polka mit (nicht nur) den schon angesprochenen Murmeltieren. Der Schmäh, er geht keineswegs ab auf diesem Album, das für den Künstler selbst "ein paar Killer" bereithält. "Es gibt einige Sachen, die richtig unter die Haut gehen."

Live sollte man all das voraussichtlich im Frühjahr 2021 erleben können, musste Hubert von Goisern doch wie viele Musiker seine für den Herbst geplante Tour coronabedingt verschieben. Welche Auswirkungen das Virus auch im kommenden Jahr haben werde, sei "schwer vorauszusagen". Natürlich sei es für Künstler, die "von der Hand in den Mund leben", schwer. "Aber ich hatte auch Jahre, als ich von der Hand in den Mund gelebt habe. Dann gab es oft wochen- oder monatelang keine Engagements - da habe ich einfach etwas anderes gemacht. Es ist keiner zum Tode verurteilt dadurch."

Der in den vergangenen Monaten teils zu spürenden Ruhe habe er jedenfalls durchaus Positives abgewonnen. "Diesen Overkill, den halte ich echt nicht mehr aus", sprach von Goisern den gesellschaftlichen wie kulturellen Drang zu immer mehr Reizen an. "Ich glaube, es tut uns allen auch gut. Es ist nicht nur zach, dass das passiert ist mit Corona. Es hat sein Gutes, dass man reflektiert darüber - was wir wirklich brauchen und was notwendig ist, um ein schönes Leben zu haben und nicht nur um zu überleben. Ein bisserl weniger Konsum, auch in Sachen Kultur und Sport, tut uns allen gut."

Rebell mit Grund

Plattentests 35/2020 | Text: Christoph Sennfelder

Wer Hubert von Goisern auf den Begriff Volksmusik reduziert, macht gleichzeitig alles richtig und alles falsch. Von der Volkstümelei, die sich noch immer großer Beliebtheit erfreut, war und ist er meilenweit entfernt. Dennoch sucht der österreichische Musiker seit Jahrzehnten seine Inspiration an der Basis. In den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts stieß er zunächst Türen auf. Er kombinierte heimatliche Klänge mit Rock und Pop, wobei ihm das Kunststück gelang, Anspruch mit Massenappeal zu vereinen. Danach ging er hinaus in die Welt, sammelte, kombinierte und erfand sich mehrfach neu. Sein neues Album Zeiten & Zeichen führt all diese Linien zusammen. Eklektizismus ist oberstes Prinzip. Der Opener Freunde ist dafür die Blaupause. Eine Geschichte vom Krieg, der Biografien zerriss und weniger Spuren hinterließ, als man denkt, bildet den Rahmen. Musikalisch finden Rap, Operette und Wienerlied zusammen. Und irgendwie funktioniert das alles.

Hubert von Goisern schreckte nie vor dem Politischen zurück. Dabei vermied er stets die Phrasendrescherei, verzichtete jedoch nie auf klare Positionen. Auch im Jahr 2020 ist die Welt nicht so, wie sie sein könnte. In dem großartigen Sünder rechnet der Songwriter in wenigen Versen mit der Verlogenheit des Zusammenspiels von "denen da oben" und der Bevölkerung ab, ehe der Song auf angenehmste Weise eskaliert. "Sogar die Kinder zoagn scho auf die Sünder", lautet von Goiserns lapidares Fazit. Das Abseitige, Abgründige ist ohnehin meist nur einen Steinwurf entfernt. Differenzen sind das, was die Menschheit eint. A Tag wie heut macht aus dieser Not eine Tugend. Den Ausweg aus der Misere kann die Musik nicht weisen, sie kann aber helfen, Brücken zu schlagen. Steine sind zum Bauen da.

Mit so manchem Experiment dürfte der Musiker seine Hörer allerdings vor den Kopf stoßen. Aber das muss so ein. Beispielsweise ist Brauner Reiter inhaltlich eine unmissverständliche Abrechnung mit dem Nazitum, von Goisern wählt bewusst das Genre der Neuen Deutschen Härte, um seiner Aussage ein musikalisches Gegengewicht zu geben. Mindestens spannend. Eher albern geraten hingegen El Ektro und Quick quick slow, die sich aus verschiedenen Perspektiven über das Tanzen lustig machen. Ein Augenzwinkern macht dennoch vieles angenehmer im Leben. Aus diesem Grund ist auch Eiweiß ein Meisterwerk. So leichtfüßig hat bisher noch keiner mit dem ernährungstechnischen Optimierungswahn der Gegenwart abgerechnet. Was der Eisbär damit zu tun hat, wird hier nicht verraten.

Freilich gibt es auch genug Raum für nachdenkliche Töne. Wunderschön ist etwa Future memories, eine melancholische Meditation über Hoffnung und Vergänglichkeit. Und dann diese Texte: "Meine Liebe kennt keinen Anfang / Und sie kennt auch nicht den Tod / Auch wenn ich bin längst vergangen / Leuchtet sie noch dunkelrot", singt von Goisern in Dunkelrot. Manchmal sind nicht einmal Worte nötig, um eine Emotion zu transportieren. Im Jodler für Willi wird ausschließlich gejodelt, allerdings zu einer Klavierbegleitung in Moll. Dass auch das funktioniert, ist Zeugnis der Virtuosität des Urhebers. Dass danach eine einsame Quetschn das Lament vom Gamstod zum Besten gibt, kein Zufall. Letzten Endes ist dieser Hubert von Goisern ein im besten Sinne Verrückter. Ein Mann, der künstlerische Freiheit in einer Person vereint. Mit Grenzen sollen sich die anderen herumschlagen. Sie sind ohnehin nur Zeichen der Zeit.

Humorvoller Mahner

Mittelbayerische Zeitung 22. August 2020 | Text: Mario Kunzendorf

Musikalisch nicht fassbar, politisch eindeutig: Mit "Zeiten & Zeichen" kehrt Hubert von Goisern auf die öffentliche Bühne zurück.

Hubert Achleitner alias Hubert von Goisern sagte einst im MZ-Gespräch: "Als Künstler hat man auch die Aufgabe, Fenster und Türen aufzureißen, um (die Gesellschaft) mal kulturell durchzulüften." Mit seinem Album Zeiten & Zeichen, das am 28. August bei Capriola/Blanko Musik erscheint, setzt der österreichische Sänger und Multiinstrumentalist das einmal mehr um.

Entstanden ist ein Album, das wie gewohnt bei Hubert von Goisern musikalisch professionell durch die Welt mäandert, inhaltlich aber aktualitätsbezogen ist wie kaum ein Album zuvor. Der Musiker, der im November 68 Jahre alt wird, stellt sich in Sünder mit (scheinbar in den Wahnsinn) treibendem Crescendo auf die Seite der Klimaschützer, fordert im Rechtsrock-Stil in Brauner Reiter die gescheiterten Ewiggestrigen auf, endlich ihre müden Pferde abzusatteln und denkt in Meiner Seel' über all die wirren Weltverdreher nach, die vor allem dank Social Media ihre "Blödheit als ein Privileg" modernen Wohlstands ausleben; musikalisch übrigens eine wohlige Ballade im Streichergewand, was wiederum für neue Verschwörungstheorien Raum bieten sollte.

"Wer lebt, sieht viel, wer reist, sieht viel mehr", sagt ein Sprichwort. Gemeint ist damit weniger das jährliche Zwischenlagern von Touristen in Strandburgen, sondern das, was Hubert von Goisern macht: Er öffnet sich Kulturen, sucht das Verbindende, leugnet das Trennende nicht. So findet sich seine steirische Ziehharmonika diesmal in einem flotten Mariachi geprägten Stück, zusammen mit einer orientalisch angehauchten Melodie in einer stampfenden Elektro-Clubsound-Satire oder mit Quick quick slow in einer ironisch-instrumentellen Tanzstunde wieder. Neu ist weniger die Fusion der vielen musikalischen Quellen, neu ist, dass Hubert von Goisern diesmal ungewohnt deutlich artikuliert singt, sodass selbst jene Piefkes alles verstehen müssten, die mit des Musikers Kritik gemeint sind. Neu sind "gedachte, nicht gesungene Strophen". Und neu ist sein ganzer Tiergarten.

Ein Instrumentalstück, einen Abschiedsjodler, widmet Hubert von Goisern noch dem Zoologen Wilhelm Foissner, der sich zu Lebzeiten mit Einzellern beschäftigte. Hubert von Goisern bespielt aber zudem größere Tiere, etwa in Gamstod. Er singt über den Grönlandhai (wohl ein alter Kumpel von Mackie Messer), über Novemberpferde, die von einer anderen Welt träumen, oder über erotische Lustwandler unter Buckelwalen und Skorpionen; nicht zuletzt diese Tierische Polka oder der Eisbär in Eiweiß, der sich irgendwie nicht zum Veganer umerziehen lassen will, zeigen ihn dabei als strengen, aber humorvollen Mahner und Beobachter allzu menschlicher Fehlschläge.

Fast 74 Minuten Musik hat Hubert von Goisern aufgenommen. Das kennt man von Kollegen in seiner Altersklasse heute auch anders, die gut 30 Minuten schon als Riesensache verkaufen. Ein Radiohit findet sich auf dem neuen Album eher nicht. Aber es hat ein durchgehend hohes Niveau, das nur ein Ausnahmekünstler schaffen kann, der Jahrzehnte Training im Durchlüften von Kulturen hat.

Neue Musik aus Österreich: die Besten Releases im Sommer 2020

Helden der Freizeit 17. August 2020

Nicht nur unter die Literaten ist er gegangen. Hubert von Goisern bringt auch endlich wieder ein neues Album heraus. Bei seiner neuesten CD hat er eine Fülle an Gastmusikern im Talon, die die gewohnte musikalische Klasse noch auf ein höheres Level heben lässt. Textlich gibt es sowohl subtil gestreute Sozialkritik als auch besonnenere Passagen. Die vorab veröffentlichten Nummern Brauner Reiter und A Tag wie heut lassen die Vorfreude ordentlich steigern.

Hubert von Goisern in Willkommen Österreich

ORF 24. Juni 2020

Des Weg des geringsten Widerstands

Combo 02 2020 | Text: Inez Ardelt (Editiert) | Foto: © Konrad Fersterer

Hubert von Goisern ist der Vertreter der Neuen Volksmusik und ein Superstar des Alpenrock. Diesen Sommer erscheint das 13. Album des Weltmusikers aus Bad Goisern – "Zeiten & Zeichen. Combo traf ihn zum Interview im Homeoffice.

Kurz nach dem Roman [flüchtig] erscheint auch ein neues Album: Zeiten & Zeichen. Darauf geht es mitunter sehr kritisch zu. Vor allem die Nummer Freunde fühlt der Kollektivschuld ordentlich auf den Zahn. Es geht um den Operettenlibrettist Fritz Löhner-Beda, der von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde, und um Operetten-König Lehár, einen Lieblingskomponisten Hitlers, der nichts tat, um seinen Freund zu retten. Wie kam es zu diesem Lied?

Das ist einer zufälligen Begegnung mit Wagner-Tenor Andreas Schager geschuldet. Ich war vorigen Sommer bei der Generalprobe von Parsifal in Bayreuth. Zu späterer Stunde im Gastgarten ist Andreas auf mich zugekommen und hat gefragt, ob ich der Hubert von Goisern bin und was ich hier in Bayreuth mache. Er war ganz erstaunt, dass ich mich für Wagner interessiere. Er hat gesagt, dass er mit meiner Musik aufgewachsen ist, und dann so en passant gemeint: Machen wir mal was gemeinsam? Ich bin da langsam, bei mir dauert das alles, bis es gärt und zu Formen kommt. Ein paar Wochen später habe ich ihn angerufen und gesagt: Andreas, hast du das ernst gemeint? Wenn ja, dann lass uns treffen. Ich mach dir ein paar Vorschläge. Wir haben uns auf dieses Lied geeinigt. Ich hatte von Anfang an die Idee, diese Hookline "Freunde, das Leben ist lebenswert" als Refrain zu verwenden. Und zwischen den Refrains Strophen in einer Art HipHop. So wie es jetzt klingt, war es auch geplant. Nur der Inhalt dieser Strophen war ursprünglich ein ganz anderer. Ich wollte eigentlich über die Großartigkeit des Lebens singen. Darüber, dass die Leute bei uns die ganze Zeit jammern, was alles nicht passt. Dass sie sich dauernd über etwas aufregen – egal was. Darüber wollte ich singen. So nach dem Motto: Hey, Leute, das Leben ist lebenswert, trotz alledem. Ich wusste, das Lehár über 70 Jahre tot ist und dadurch die Melodie frei ist. Weil ich auch diese Textzeile verwenden wollte, musste ich schauen, ob der Librettist, der das geschrieben hatte, auch schon 70 Jahre unter der Erde ist. Beim Googeln habe ich gesehen: Todesjahr 1942 und mir gedacht: Scheiße. Das ist ein Jahr, in dem die wenigsten Leute eines natürlichen Todes gestorben sind ... Bei der Recherche bin ich dann auf diese ganze Geschichte gestoßen und wusste, ich konnte das Lied nicht mehr so schreiben, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte. Ich musste diese Geschichte erzählen! Im letzten Interview, das Lehár vor seinem Tod gegeben hat, wurde er am Ende gefragt, wie das mit seinen jüdischen Freunden war, mit Fritz Löhner-Beda und den anderen. Kurz herrschte Grabesstille und schließlich hat man ihn weinen gehört und er hat nur mehr geschluchzt. Jetzt weiß man natürlich, dass es unmöglich war, nichts zu wissen. Darum ist mir der Satz in diesem Lied auch ganz wichtig, "es werfe den ersten Stein, der oder die ohne Schwächen". Ich möchte ihn deshalb nicht verurteilen. Ich halt ihn für einen großartigen Komponisten und er war ein Künstler, wie die meisten Künstler, die einfach ihre Kunst ausüben und mit Politik nichts zu tun haben wollen. Seine Frau war Jüdin, eine sogenannte Ehrenarierin. Es gab scheinbar auch versuchte Übergriffe der Nazis, seine Frau deportieren zu lassen, was er abwenden konnte. Sein Freund, der Tenor Richard Tauber hat versucht, ihn schon 1938 zur Emigration zu bewegen. Er meinte aber, er könnte nicht Englisch, was solle er da in Amerika oder England? Er würde vor Gram und Orientierungslosigkeit sterben. Er hat versucht durchzutauchen, was ihm auch gelungen ist, aber eben zu einem sehr hohen Preis. Ich habe das Lied nicht geschrieben, um Lehár zu polemisieren, auch wenn ich ihn im Text einen Hosenscheißer nenne. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich mir nicht auch in die Hosen geschissen hätte. Wie die meisten von uns.

Muss man als MusikerIn politisch sein und das in seiner Kunst verarbeiten? Sie haben das ja eigentlich von Anfang an getan.

Ich war gezwungen, mich damit auseinanderzusetzen, durch meine "Integration" der Volksmusik, die ja Tradition ist. Wer sich damit beschäftigt und wer da etwas ändert und sagt, es ist nicht alles gut, nur weil es Tradition ist, der sticht in ein Wespennest. Da wirst du automatisch politischer. Ich habe das aber nicht extra gesucht. Ich glaube, dass jeder Künstler politisch ist. Wir setzen unsere Duftmarken und sind Vorbilder. Wir werden von vielen Leuten idolisiert und müssen uns dessen bewusst sein, was wir sagen und was wir singen.

Von Thema "Was wir singen" kommen wir zum "Wie". Warum rappen Sie bei Freunde?

Es wurde ein Rap, weil ich wusste, dass ich für das Lied viele Worte brauche, um diese Geschichte zu erzählen. Wenn man singt, tritt die Geschichte sehr oft hinter die Musik zurück.

Das Jodeln haben Sie von Sabine Kapfinger gelernt. Hat Ihnen für den Sprechgesang auch jemand Tipps gegeben?

Ein paar Leute haben gemeint, dass kannst du nicht wirklich, du solltest dich schon einmal beraten lassen von jemandem, der das kann. Ich hab dann gesagt: "Ok, wenn ihr das glaubt." Ich hatte zuvor über den Salzburger Rapper Michael Zöttl alias Dame etwas gelesen und hab mir gedacht, den frage ich. Also habe ich ihn angerufen und Michael hat sich das angehört und dann gesagt: Passt eh, was willst du denn haben? Ich wollte wissen, wie er die Gewichtung der rhythmischen Punkte machen würde. Im Endeffekt wollte ich aber nicht ihn und diese moderne Art zu rappen nachmachen. Ich hab ihn dann gefragt, ob er gewisse Passagen übernehmen könnte und wir uns ablösen, was ja auch ein Mittel im HipHop ist. Er hat das gerne gemacht.

Sie haben kürzlich den "Hubert von Goisern Kulturpreis" vergeben und aufgrund der belastenden Situation, in der die Kulturszene gerade steckt, das Preisgeld und die Anzahl der Preisträger verdoppelt! Zum Umgang der Regierung mit den Kulturagenden in der Krise finden Sie klare Worte auf Ihrer Website. Da schreiben Sie, dass Sie enttäuscht sind ...

Ja, ich war enttäuscht und bin es jetzt nicht mehr, weil wir mit Andrea Mayer eine großartige Nachfolgerin für Frau Lunacek bekommen haben. Ich habe allerdings nicht für ihren Rücktritt plädiert. Wofür ich plädiert habe und worauf ich aufmerksam machen wollte, ist, dass um eine Perspektive gekämpft werden muss. Ich finde nicht, dass es an uns Künstlern ist, zu sagen, dass der Lockdown aufgehoben werden muss und die Leute sich begegnen und Konzerte und Großveranstaltungen möglich sein sollten. Ich wünsche mir, dass wir, sobald es geht, wieder dorthin kommen. Aber da gibt es andere Leute, die sich besser auskennen und die Entscheidungen treffen müssen, was möglich ist und was nicht. Die Wirte haben eine Lobby, die Hotellerie hat eine Lobby, der Tourismus, die Wirtschaft haben eine und die Staatssekretärin für Kultur zuckt mit den Achseln und sagt: Was soll man machen. Das ist zu wenig! Man muss brennen, man muss darüber nachdenken und etwas in Aussicht stellen. Sicher gab es das eine oder andere Hilfsangebot, aber das war sehr unbeholfen. Es geht ja nicht darum, jetzt irgendwie über die Runden zu kommen, sondern darum, wie es langfristig weitergeht. Das muss man Hoffnung geben können, da muss man Stärke zeigen.

Bis 2024 ist hoffentlich alles wieder gut. Denn dann wird Bad Ischl mit 20 anderen Gemeinden des Salzkammerguts Kulturhauptstadt Europas. Sie sind ja Kulturhauptstadt-erfahren. Juckt es Sie da in den Fingern, ein Projekt zu machen? Noch dazu in Ihrer Heimat?

Es gibt noch keine Gespräche, die wurden durch die Corona-Krise unmöglich. Wir hätten uns Mitte Mai getroffen, ein paar Leute aus Goisern und Ischl. Ich bringe mich da gerne ein, auch wenn ich vorerst selbst noch keine Visionen dazu habe. Nach Buch und Album habe ich jetzt aber wieder freie Kapazitäten und kann etwas dazu beitragen, dass es ein tolles Jahr wird.