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ZEITEN & ZEICHEN

Zeltspektakel in Winterbach: Hubert von Goisern reißt die Leute von den Sitzen

ZVW 26. Juli 2022 | Text: Thomas Milz | Foto: © Benjamin Büttner
Hubert von Goisern und Severin Trogbacher

Tag sieben des Zeltspektakels. Vorletztes Konzert. Die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kulturinitiative Rock sind so ziemlich am Ende ihrer Kräfte, gestand Steffen Claus bei der Begrüßung im seit langem ausverkauften und bestuhlten Zelt vor dem Konzert Hubert von Goiserns. Der wiederum und seine famose vierköpfige, junge Band waren ziemlich ausgeruht. Sie hatten einen Tag frei bei ihrer Zeiten & Zeichen-Tour, der ersten nach Corona. So waren sie schon einen Tag früher angereist und chillten im liebevoll eingerichteten Backstagebereich mit Blick auf Weinberg und Wald. Da sprühten sie denn vor ausgelassener Spielfreude bei ihrem mehr als zwei Stunden dauernden Konzert. Begeistert aufgenommen vom Publikum.

Die Haifisch-Mär mit ultra-nonchalantem Austria-Charme vorgetragen

Draußen der Biergarten war zuvor schon bestens besucht. Warm war's, aber es wehte eine angenehme Brise. Und dann also kam Goisern. "Griasts eich! Servus Winterbach!" Mit einem schrägen Walzer, er selbst am Akkordeon, dann einer treibenden Rocknummer mit energie-splitterndem Akkordeon-Gitarren-Duett, trieb die Band die Hitze mit einigen Nummern im Zelt um einiges nach oben.

Um dann aber mit zwei Songs die Temperaturen per Selbstsuggestion wieder ein bisschen runterzukühlen. So erzählte der dieses Jahr 70 werdende Künstler von seinen zahlreichen Grönlandbesuchen und gab danach die Moritat vom Eisbären auf Grönland im Karibik-Sound, gefolgt von der blubbernd herzzerreißenden Mär des Grönlandhais, tief unten im Meer, und seiner Suche nach einer Partnerin zum Besten. Illustriert durch ein sehnsuchtsvolles Balzschmachten am von Goisern gespielten Cornet. Wahrlich heißer Alpen-Schmäh zum Abkühlen, mit diesem gewissen ultra-nonchalanten Austria-Charme vorgetragen.

Und dann sind da die älteren Songs wie Heast as nit, (wie Zeit vergeht) oder Weit, weit weg mit waberndem Sehnsuchts-Bühnen-Nebel, geradezu verzehrend schön, als zwei der drei Zugaben, die sichtbar das Publikum bewegten.

Größte Begeisterung kam aber schon kurz zuvor mit dem letzten Stück des offiziellen Sets auf, einer entfesselten Alpen-Polka-Rock-Nummer, bei der es dann kein Halten mehr auf den Sitzen gab und in den schmalen Gängen verzückt getanzt wurde. Brenna tuats gut hieß der mitreißende Höllenfeuertanz und trieb die Temperaturen in schwindelnde Höhen.

Riesenlanger Applaus. Dankbares Publikum, und ein paar dankbar überwältigte Musiker, die das Zeltspektakel sichtlich genossen haben.

Hubert von Goisern live in Karlsruhe

Tollhaus Karslruhe 26. Juni 2022 | Foto: © Bernadette Fink
Hubert von Goisern in Karlsruhe

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Hubert von Goisern trifft mit seinem neuen Album den Nerv der Zeit

Rheinpfalz 27. Juni 2022 | Text: Birgit Möthrath

Es ist ein wilder Ritt auf Messers Schneide, wie man ihn sich von Konzerten des Alpenrockers Hubert von Goisern erhofft. An zwei Abenden spielt er vor ausverkauftem Tollhaus.

"Ihr seid die der ersten Stunde", sagt Hubert von Goisern ins Publikum. Schwer zu sagen, ob er darauf abhebt, dass seine Fans, die ihre Karten schon vor zwei Jahren gekauft hatten, etliche Verschiebungen über sich ergehen lassen mussten, um das neue Album endlich live zu hören. Oder ob der 69-Jährige die vielen ergrauten Mähnen in den Reihen vor sich meint. Es ist in der Tat selten, dass man sich mit Mitte 50 noch zu den Jüngsten unter den Zuhörern rechnen darf. Und es ist genauso selten, soignierte Damen und Herren so aus dem Häuschen zu erleben.

Sein neues Album Zeiten & Zeichen hat Goisern, der eigentlich Hubert Achleitner heißt, noch 2019 vor Corona, Krieg und Energiekrise produziert. Und man mag ihm beipflichten, dass die Lieder fast prophetisch jetzt, drei Jahre später, den Nerv der Zeit treffen. Vor allem sein Song Sünder: Aus Nina Simones berühmter Up-Tempo-Nummer Sinnerman hat Goisern einen Abgesang auf die gehetzte Orientierungslosigkeit unserer Tage gemacht, die uns alle in den Untergang zu treiben droht. "He sog amoi wohi wern ma rennen", heißt es da. Und: "Koana woaß wonn wieda oana durchdrahnt."

Verschattete, poetische Texte

Es sind knappe und prägnante Zeilen, mit denen Goisern den Sturm auf das Kapitol und Fridays for Future anreißt: "Sogor de Kinder zoagn schu auf de Sünder". Der Text kommt ganz ohne jenes schwer erträgliche Pathos mancher Weltverbesserer aus, das einer Identifikation mehr im Weg steht als sie zu befördern. Dazu lässt er es musikalisch ordentlich krachen mit frei treibenden Rockpassagen, in denen seine vorzügliche Band Raum bekommt zu zeigen, was in ihr steckt. In Sünder gibt vor allem Maria Moling Feuer am Xylofon, und Severin Trogbachers verzerrte Gitarre lässt Kriegslärm anklingen. Auch der Bandchef bedient als Multiinstrumentalist eine Fülle von Sounds inklusive einer schrägen Einlage auf einem Tierhorn im Lied Wildschütz-Rap über die Wilderei.

Bei aller Freude am Jodeln, am stimmungsvollen Harmoniegesang und am Schwung des Akkordeons: Es ist ein herbstlich wirkendes Album mit verschatteten, poetischen Texten. Die Novemberpferde, die vom Schnee träumen, scheinen die Grundstimmung vorzugeben. Selbst eine Ikone des unverwüstlichen Optimismus kriegt da einen Knacks weg: Freunde das Leben ist lebenswert aus Franz Lehárs Operette Giuditta, bei dem Opernsänger Andreas Schager vom Band eingespielt wird. Stark ist der Kontrast, wenn Goisern im Duktus von Falcos Rap Amadeus vom Schicksal des Librettisten Fritz Löhner erzählt, der – ohne dass sich Lehár für ihn eingesetzt hätte – als Jude aus Wien deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. Ins Herz trifft vor allem die letzte Zeile: "Der Mann, der in diesen schicksalhaften Jahren der Welt so schöne Lieder gab, hat nie erfahren, dass seine Töchter Eva und Lotti samt seiner Frau Helene schon zuvor himmelwärts geflogen sind, wie brennende Schwäne."

Selbst Fake News kann man in Noten packen

Ganz düster sind die Zeichen der Zeit auch in Goiserns Anti-Rechts-Song Brauner Reiter, in dem er mit rollendem R und emotionslos-dräuender Stimme in Rammstein-Manier krähenumkrächzt vom Gral raunt. Versöhnlicher, weil mit der Melancholie des Blues gewürzt, sind andere Songs. Ein Denkmal der Entschleunigung ist die spitzbübische Ballade Grönlandhai, gewidmet einem Tier, das über 500 Jahre alt wird, weil es nur mit einem Meter in der Sekunde durch dunkle Meerestiefen dümpelt und von einem Haiweibchen vor Hawaii träumt. Tierisch gut geht's auch dem Eisbären trotz der "ach so bedrohten Pfote", wenn er im karibisch swingenden Eiweiß seiner Lust auf Fleisch frönen kann. Und selbst Fake News kann man eingängig in Noten packen: "A Blau ist do koa Gelb und Rot nit Kräan" singt Goisern elegisch in Meiner Seel.

Schön sind die Geschichten, die Goisern zu jedem seiner Stücke erzählt. Etwa, dass er seinen Jodler für Willi seinem gestorbenen Schwager gewidmet hat, an dem er besonders sein streitbares Wesen geschätzt habe: dem Forscher Willi Foissner, der seinerseits einen Einzeller nach Goisern benannt hat. Oder wie es zu seiner Vertonung von Goethes Rastloser Liebe kam, die er Glück ohne Ruh nennt. Ein befreundeter Regisseur habe ihn dazu angestiftet, da dieser Schuberts Lied darüber nicht gemocht habe – aber Goiserns am Ende ebenso wenig.

Wenn die Quetschkommode Dampf macht

Bevor es nach satten zweieinhalb Stunden Konzert zu Ende geht, heizt die Band noch mal ordentlich mit flotten Nummern ein wie zuvor schon mit dem Technosong El Ektro, in dem Goisern mit verzerrter Computerstimme und anderen Kraftwerk-Anleihen postuliert "Ich will nicht tanzen" – dabei freilich das Gegenteil erreicht. Endgültig von den Sitzen reißt es das Publikum, als die Quetschkommode bei seinem vielleicht bekanntesten Songs Brenna tuats guat Dampf macht.

17 Titel sind auf Zeiten & Zeichen versammelt. Er habe die Speicherkapazität einer CD bis auf ein paar wenige Sekunden voll ausgeschöpft, erzählt Goisern. Insgesamt wirkt der Stilmix, der stete Wechsel der Klangwelten mit vielen gecoverten Anleihen ein wenig zusammengewürfelt. Doch in Erinnerung bleiben am Ende des Abends die starken Nummern und bei der Heimfahrt unter heftig zuckenden Blitzen der Nachhall einer Endzeitstimmung.

Hubert von Goisern live beim Tollwood Festival

Nachrichten München 26. Juni 2022 | Foto: © Mónica Garduño

Wie der Hai zur Trompete kam

Hessische Niedersächsische Allgemeine 23. Juni 2022 | Text: Bettina Fraschke

Hubert von Goisern begeisterte zum Auftakt des Festivals Sommer im Park

Vellmar - Willkommen im Dreivierteltakt der Melancholie. Ein Akkordeon kommt mit schleppendem Rhythmus zu Atem, stimmt einen Walzer an. Auf der blutroten Bühne gibt Hubert von Goisern zu Beginn seines Konzerts dem Tanzklassiker einen vertrackten Twist. Flankiert vom Brummbass schaukelt sich der plötzlich gar nicht mehr so vertraut wirkende Dreiertakt zu einer akustischen Bedrohung auf und entwickelt sich zu einem psychedelischen Klanggewitter. Das geht über die Besucher beim Festival Sommer im Park in Vellmar nieder wie eine Warnung, dass wir uns in unseren Gewissheiten und Traditionen nicht allzu sicher fühlen sollten.

Kraftvoller Beginn eines beeindruckenden, zweieinhalbstündigen Konzerts mit großartiger Band, das im fast vollbesetzten Vellmarer Festivalzelt zum Saisonauftakt euphorischen Applaus hervorrief. Der 69-jährige Österreicher, eigentlich Hubert Achleitner, wechselt beständig zwischen den Klangwelten und Instrumenten. Er zelebriert mal folkloristische Melodien, mal monotones Techno-Gestampfe, mal Sound-Bombast mit Extraportion Hall. Er kann lässig singen wie Balu der Bär, wenn der es mit Gemütlichkeit probiert, oder feierlich wie Rammstein-Frontmann Till Lindemann, und er kann seine Mundharmonika klingen lassen wie zersplitterndes Glas. Dann wieder stimmt Hubert von Goisern zarte Balladen an, lediglich von Piano oder Gitarre begleitet. Ein charismatischer Klangzauberer, der auch Geschichten zu erzählen weiß, etwa die vom geheimnisvollen Grönlandhai, der wegen seiner extremen Langsamkeit 500 Jahre alt werden kann. Haben sich unter sein Trompetensolo etwa Meeresklänge gemischt? Den Meeres-Methusalem hat er bei musikalischen Workshops in Grönland mit jungen Inuit kennengelernt. Botschaft: Nur wenn du deine Wurzeln kennst, kannst du herausfinden, wer du bist.

A propos: Hubert von Goisern hat auch die documenta besucht. Zu erleben, dass Menschen in aller Welt im Angesicht von Ausbeutung und Schicksalsschlägen Kunst erzeugen - wunderschön und voller Poesie - das habe ihn "zutiefst berührt".

Zu den Höhepunkten des Abends gehörte der großformatige Titel Freunde ... das Leben ist lebenswert, die das Schicksal des Autoren Fritz Löhner-Beda beleuchtet, der mit Operetten-Star Franz Léhar Werke wie Das Land des Lächelns schuf. Opportunistisch schwieg Léhar angesichts der judenfeindlichen Pogrome in Nazi-Österreich, sein Freund wurde im KZ Auschwitz erschlagen. "Als alles vorbei war beteuerte Franz nichts gewusst zu haben / Von seiner Freunde Todestanz".

Wenn Hubert von Goisern zwischendurch immer mal Jodler anstimmt, gelangt man zur Überzeugung, dass der traditionelle Signalruf bei ihm womöglich auch die Begrenzungen der irdischen Welt überwinden kann. Abschiedsgruß: "Passt's auf aufeinand."

Hubert von Goisern live in Koblenz

Klaus Manns 3. Juni 2022 | Foto: © Klaus Manns
Hubert von Goisern und Band

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Mit Hubert von Goisern mal alles vergessen

Main Post 21. Juni 2022: Text: Michi Bauer | Foto: © Patty Varasano

Der österreichische Liedermacher fasziniert 900 Fans auf Gut Wöllried mit rhythmischen Ausflügen und seinem ureigenen Humor. Und er berichtet, was passiert, wenn er auf seine Frau hört.

Hubert Achleitner soll gesagt haben: "Ich übersetze Musik in Worte." Man will ihn korrigieren: Er übersetzt Musik in Poesie. Gebannt hängen 900 Gäste auf Gut Wöllried an den Lippen des Künstlers, lauschen ihm willig beim Plausch zwischen den Liedern – und auch seinen hintergründigen Texten. Hubert von Goisern, wie sich der 69-Jährige aus dem Örtchen Goisern am Hallstädter See im Salzkammergut nennt, ist individuell, speziell und doch ein Liedermacher im klassischen Sinn. Einer, der etwas zu sagen hat.

Auch einer, der provoziert, wenn auch nicht mehr so aggressiv wie vor 30, 35 Jahren zur Zeit mit den Alpinkatzen. Nein, beinahe liebevoll. Auf die Idee muss man kommen, mit Donna-Summer-70er-Jahre-Beats (I feel Love) und dem Titel El Ektro zu starten. "Wer sich nicht vorbereitet hat auf das Konzert, wird a Weile brauchen", entschuldigt sich von Goisern beinahe für das hektische Gebumber von seiner aktuellen Platte Zeiten & Zeichen. Es gehört zu diesem vielseitigen Musiker, der sich auch vor Ethno-Rhythmen im alpinen Rock nicht scheut. Die Fans in Rottendorf erdet er postwendend mit solchem (Tag wie heut).

Widerhall stört den launigen Sommerabend nur ein bisschen

Es wird ein launiger Sommerabend in traumhafter Kulisse. Ein wenig schade, dass der hochwertige Auftritt der fünfköpfigen Begleitband weiter hinten ein bisschen vom Widerhall der rückwärtigen Gebäude beeinträchtigt wird; doch irgendwann fällt es kaum noch auf, weil dieser charismatische Mann da vorne es schafft, dass man für zwei Stunden alles um sich herum vergisst. Zwei Stunden – auch dafür entschuldigt sich von Goisern, der für gewöhnlich eine Stunde länger musiziert, auf seine Art: "Hättet ihr vielleicht besser woanders hingehen sollen".

Nein, nein, auf dem Gut sind die 900 bestens aufgehoben. Sie erfahren, dass bei Dunkelblau die Gattin den Text wunderbar gefunden habe, nur nicht die Musik. "Da habe ich auf sie gehört und den Text umgeschrieben." Sie erfahren auch, dass von Goisern düster rocken kann (Brauner Reiter) – einige im etwas betagteren Publikum zucken ein wenig. Und fühlen sich im jazzigen Schleicher Future Memories wieder daheim. Den Jodler für Willi hat der Österreicher für einen Freund geschrieben, mit dem er so herrlich streiten hat können – "bis er vor zwei Jahren tot umgefallen ist und nicht mehr aufgestanden".

Musikalisch und thematisch eine Achterbahnfahrt

Humor hier und gnadenlose Aufarbeitung von Geschichte und zeitgenössischem Übel da. Von Goisern erzählt vom Inuit, der die Erderwärmung flapsig kommentiert ("nun, wir warten"), und besingt in Freunde die Lebensgeschichte von Bedrich Löwy. Unter dem Künstlernamen Fritz Löhner-Beda wurde der jüdische Schriftsteller ein guter Freund des Komponisten Franz Lehár – der zum Liebling der Nazi-Machthaber avancierte und ihm nicht beistand, als er ins KZ Auschwitz deportiert und dort 1942 hingerichtet wurde.

Musikalisch wie thematisch ist das eine Achterbahnfahrt. Es wird gerappt, und zur Party-Nummer Brenna tuat's guat hemmungslos getanzt. Um in der Zugaben-Runde nochmal poetisch zu werden: Juchitzer – der progressivste Jodler der Volksmusik-Historie. So weit, weit weg – ein Streicheln der Seele. Heast as nit? – das Hohelied auf den Lauf der Zeit. Und dann widersetzt sich der Alpen-Rebell der Sperrstunde, hockt sich mit Klampfe an den Bühnenrand ("bitte erzählt es nicht weiter") und spielt mit Dunkelrot jene Version von Dunkelblau, bei der seiner Gattin die Musik nicht gefallen hatte – wunderschön.

Gipfelsturm und Abgrund

Weser Kurier 7. Juni 2022 | Text: Lars Fischer

Bremen. Hubert von Goisern ist ein Übersetzer. Mehr noch als Komponist, Texter, neuerdings auch Roman-Autor und Musiker sticht der Österreicher dadurch hervor, dass er Traditionen ins Gegenwärtige überträgt, frei von jeder Art der Tümelei und mit progressiver Radikalität. Mit seinem Alpinrock, mit dem er die Volksmusik seiner Heimat quasi auf links zog, wurde er vor gut drei Jahrzenten bekannt. Seitdem hat er sich immer wieder unterschiedlicher Einflüsse angenommen und ist doch seinen Wurzeln fest verbunden geblieben. Seine musikalische Weltreise hat ihn die Donau rauf und runter, nach Afrika und bis nach Grönland geführt – und jetzt ins Bremer Metropol Theater.

Um es vorwegzunehmen: Sein grandioser Auftritt hätte anderes verdient gehabt als das halb leer Auditorium. Eine gewisse Mitschuld liegt womöglich bei einem wenige Hundert Meter entfernt zeitgleich auftretenden Panikrocker von der Elbe, sicher aber auch bei der Zurückhaltung des pandemieverunsicherten Publikums. Den mittlerweile 69-jährigen Multiinstrumentalisten und Sänger und seine perfekt eingespielte Band ficht das nicht an. Sie spielen ein über zweieinhalbstündiges Programm, das im ersten Teil ausgiebig das aktuelle Album Zeiten & Zeichen vorstellt und im zweiten auf eine Vielzahl der beliebtesten, älteren Stücke zurückkommt, auch wenn dies angesichts des umfangreichen Gesamtwerks immer nur unvollständig bleiben kann.

Operette, Rap und Spiritual

Oft ist es so, dass die – sicher subjektiven – Höhepunkte eines Konzertes die Stücke sind, mit denen die Hörer über lange Zeit verbunden sind. Die Sentimentalität solcher Momente schwingt in Liedern Weit, weit weg oder Heast as nit ("Die Jungen san alt wordn, und die Altn san g'storbn") sowieso mit. Aber bei von Goisern führt die stete Neugier zu immer neuen Überraschungen. Und so bringt er mit Freunde, dem ersten Stück auf der neuen Platte, ein Werk mit, dass ein Crossover aus Klassik, Hip-Hop und Rock-Rezitativ ist. Gebaut um ein Sample der inbrünstigsten aller Operette-Melodien, Freunde, das Leben ist lebenswert aus Giuditta, erzählt das Stück die Geschichte von Fritz Löhner-Beda, der das Libretto zur Musik von Franz Lehár geschrieben hat. Geboren als Bedrich Löwy wurde er als Jude verfolgt und schließlich in Auschwitz ermordet, während Lehár das Werk Mussolini widmete und mit den deutschen NS-Größen verkehrte. Für sein Freund Fritz habe er sich dabei allerdings niemals eingesetzt, so die Überlieferung.

Hubert von Goisern lässt den in diesem Zusammenhang an Zynismus nicht zu überbietenden Refrain auf die Lebensgeschichte Löwys prallen und übernimmt live die Rap-Zeilen – die im Studio noch Dame beigesteuert hat – gleich mit. Ein eindrucksvolles Stück Geschichtsaufarbeitung, das einen von musikalischen Gipfeln in menschliche Abgründe blicken lässt ohne eine Spur von [Moralisierung. Ein] nicht weniger intensiver Moment führt in die Geschichte zurück, und erzählt diese ebenfalls entlang der Musik: Sünder ist die Bearbeitung des legendären Sinnerman, einem Spiritual, der vor allem in der zehnminütigen Version von Nina Simone aus dem Jahr 1965 berühmt wurde. Simone hat eine hypnotische Hymne der Emanzipation daraus gemacht, die später wiederum von Peter Tosh als Reggae oder von 16 Horsepower als düstere Country-Version weitergesponnen wurde. Bei von Goisern kommen dann wieder die bekannten volksmusikalischen Aspekte hinzu, sodass sich ein interkultureller Kreis über Kontinente hinweg schließt.

Gänsehaut-Momente

Diese Klammer steht über seinem Gesamtwerk, das wird dann auch in dem umfangreichen Zugabenteil deutlich, bei dem es zwischen Ausgelassenheit und Melancholie wild hin und her pendelt. Zu Brenna tuats guat tanzt die Band um den herausragenden Severin Trogbacher (Gitarre, Geige), bei den ruhigen Passagen spielt sie bestimmt zärtlich. Besonders Maria Moling, lange Zeit Teil des ladinischen Trios Ganes, glänzt als zweite Sängerin neben dem Bandleader. Dass beide sich auch als Jodler trefflich verstehen, sorgt für die einzigartigen Gänsehaut-Momente, die man von Hubert von Goisern seit Jahrzenten kennt. Tatsächlich ist es ihm zu verdanken, dass diese Tradition Einzug in die populäre Musik gehalten hat und dort keineswegs wie ein Fremdkörper wirkt. Auch an diesem Abend ist alles im Fluss, Kulturen verbinden sich wie selbstverständlich, und der Brückenbauer von Goisern lässt sie mit seinem kraftvollen Feingefühl strahlen.

Tag eins in Kaiserslauterns Kammgarn mit Alpenrock

Rheinpfalz 3. Juni 2022 | Text: Walter Falk | Foto: © VIEW

Drei Tage lang ist Weltmusik Trumpf in Kaiserslauterns Kulturzentrum Kammgarn. Der Österreicher Hubert von Goisern gestaltete den Eröffnungsabend – mit einigen Überraschungen.

Der Alpenrocker Hubert von Goisern demonstrierte am Donnerstagabend zum Festivalauftakt, dass er trotz seiner 69 Jahre nichts von seiner musikalischen Brillanz und seinen Ideen eingebüßt hat. Mit seinem aktuellen Album Zeiten & Zeichen im Gepäck überraschte und forderte der Österreicher mal wieder die weit über 700 Besucher zweieinhalb Stunden lang – ohne Pause.

Für einen langen Abend lang war die Kammgarn mal wieder musikalisches Zentrum des Landes. Autokennzeichen mit KUS, KIB, MZ, SüW, LU, PS, SP, SB oder KA waren auf dem Parkplatz zu sichten und belegten die Beliebtheit des Lauterer Kulturzentrums sowie die Popularität des Hubert von Goisern, der die traditionellen Heimatweisen mit Weltmusik, mit Rock, Reggae und gar mit experimenteller Musik vermischte. Auf der Bühne stand dieses gestandene Mannsbild mit dem markanten Gesicht und der noch markanteren Stimme – im Herbst wird er 70 – und genoss den frenetischen Beifall zur Begrüßung. Man spürte: Er ist hungrig nach der Liveatmosphäre. Was in 180 Minuten folgte, war schlichtweg überwältigend.

Bizarre Gitarren

Sein virtuoser Jodler aus dem Opener Kiasucher schien zunächst den Erwartungen einiger Alpen-Touristen entgegenzukommen. Auch der Song Gamstod schien ihre Hoffnungen zu erfüllen, begann er doch mit einem gemütlichen Dreiviertel-Takt. Diese Volksweise wurde aber rasch mit bizarr aufgekratzten Gitarrenriffs (Severin Trogbacher) und kathedralengroßen Schlagzeugwirbeln aufgebrochen, dass man den Eindruck abgeschossener Raketen und Fliegerbomben hatte. Gedanken an den Krieg in der Ukraine lagen da nicht fern. Um politische Aussagen war Hubert von Goisern auch in dem Lied Brauner Reiter nicht verlegen. Es handelte genau von dem, was man sofort mit dem Titel assoziiert: Das Unglück, in das sich eine Gesellschaft stürzt, wenn sie rechten Strömungen freien Lauf lässt.

Das alles verpackte der Meister in höllisches Tropengewitter mit harten Gitarrenriffs und stampfendem Schlagzeug-Rhythmus (Alex Pohn). Erschütternd auch der Titel Freunde, in der von Goisern die Biographie des Komponisten und Librettisten von Franz Lehàr, Fritz Löhner Beda, schildert, der von den Nazis 1938 in Dachau gefoltert und 1942 in Auschwitz ermordet wurde. "Es gibt Geschichten", so von Goisern, "die von Unfassbarkeiten und menschlichen Abgründen sind, die aber auch zur Geschichte der Menschheit gehören und ein Teil von uns sind." Mit ballerndem Schlagzeug, virtuoser Percussion sowie knallhartem Rock durchbrach die Band die Operettenseligkeit, während der Meister mit rauer Heldentenorstimme "Freunde, das Leben ist schön" rührte. Das schnürte einem beim Zuhören die Kehle zu.

Der vegane Eisbär

So lauerte im Wechselspiel zwischen Ballade und hartem Rock, zwischen Melancholie und Ironie so manches Überraschungsmoment. Der Musiker gab sich aber auch humorvoll. Beispiel: Eiweiß. In diesem Titel ging es um einen Eisbären, der so gern Veganer wäre. "Er wird amoi Tibeter, aber irgendwann später", heißt es in dem Lied. Doch bis dahin stehe er auf Fleisch und Blut, denn er brauche Eiweiß – "um jeden Preis". Verfremdungen an Gitarre und Keyboard (Alex Trebo) und elektronische Gimmicks machten klar, dass Volksmusik auch ohne Humptata-Humptata auskommen kann. 700 Zuhörer reckten dazu die Hände hoch und klatschten rhythmisch mit dem gar nicht so coolen "Eisbären".

Amüsieren konnten sich die Gäste auch mit dem Grönlandhai, der, 500 Jahre alt und der letzte seiner Art, vom Urlaub vor Hawaii und einer scharfen Haifischbraut träumt. Hierzu intonierte der Multiinstrumentalist nicht nur mit abgrundtiefer Stimme, sondern überraschte auch mit zartem Ton auf der gestopften Trompete. Erstaunlich, wie man mit minimalen Mitteln und vollkommen subtil swingender Band ganze Gefühlsberge versetzen konnte. Nicht zuletzt überzeugte der Alpenrocker mit Dunkelrot und Dunkelblau, zwei der schönsten Liebeslieder, die der Meister kühl und distanziert einerseits und mit glühender, wärmender Nähe andererseits zu Gehör brachte. Die aufwühlende E-Gitarre, von Goiserns virtuoses Mundharmonikaspiel sowie Marias sirenenhafte Stimme sowie ihr brillantes Percussion-Spiel stürzten die Songs in einen Soundozean.

Fast eine Stunde Zugaben

Die fantastische Band steigerte sich dazu in den Wahnsinn und agierte wie die Apokalyptischen Reiter. Seine Kern-Botschaft vermittelte der Künstler jedoch mit A Tag wie heut', einer unverblümten Rocknummer ohne viel Tamtam, aber mit scharfem Beat: "Egal welche Hautfarbe, welche Konfession oder politische Einstellung wir haben – letztlich sind wir alle gleich!" Eine Aussage, wie sie treffender und aktueller nicht sein könnte.

Ovationen der Begeisterung und fast eine ganze Stunde lang sieben Zugaben. Darunter Songs wie Weit weit weg oder Brenna tuats guat.

Hubert von Goisern live in Kaiserslautern

Kammgarn Kaiserslautern 3. Juni 2022 | Foto: © André Gmür
Hubert von Goisern und Band

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"Ich bin eigentlich überall, wo ich auftrete, sehr aufgeregt"

Tips 24. Mai 2022| Text: Daniela Toth

BAD ISCHL. Nach einer ungeplant langen Konzertpause kommt Hubert von Goisern mit seinem neuen Album "Zeiten & Zeichen" zu einem Open Air in den Ischler Kaiserpark. Tips hat mit dem Liedermacher und Weltmusiker gesprochen: Über den Zusammenhang von Heimat und Sprache, über sein neues Album und über das, was er persönlich aus der Corona-Zeit gelernt hat.

Sie waren zuletzt viel in Deutschland zu hören. Macht ein Konzert fast "dahoam" für Sie einen Unterschied?

Ich bin eigentlich überall, wo ich auftrete, sehr aufgeregt. Wenn ich in Mitteldeutschland spiele, etwa in Oldenburg, ist natürlich ein anderes Spielfeld für mich. Ich bin dort ein Exot, gewisse Ausdrucksweisen – nicht nur der Dialekt – sind dort anders, man hat eine andere Art, sich auszudrücken. Daher finde ich es sehr reizvoll, bei einem Auftritt auch im Dialekt reden zu können. Es fallen einem die volksmusikalischen Sachen mehr ein, wenn im Publikum viele Leute sitzen, die zum Beispiel auch Jodler kennen. Aber aufgeregt bin ich immer, hoffe, dass es gut geht. Ein bisschen anders ist es schon im Salzkammergut – da sind mehr Freunde im Publikum, Menschen die man kennt.

Sie haben ja seit 2016 "Bühnenpause" zum Schreiben gemacht, der Tourstart 2020 zum neuen Album fiel dann der Pandemie zum Opfer. Wie war es, nach so langer Zeit wieder auf der Bühne zu stehen?

Ich habe schon einmal siebenjährige Bühnenpause gehabt – vom Ende der Alpinkatzen bis 2001. Bei Bühnenpausen ist es eigentlich egal, wie lang sie dauern: Es ist ein Neustart, und es ist aufregend. Diesmal besonders: Wir sind zu sechst auf der Bühne – und vier der Musiker sind zu Tourbeginn nacheinander an Covid erkrankt, sodass wir beim ersten Konzert nur zu zweit waren. Dann kam noch ein externer Musiker dazu. Das war ein unglaublicher Stress: Wie kann man das, was man geplant hat, in total reduzierter Form über die Bühne bringen? Es war eine echte Feuertaufe.

Nach so einem Start kann einen wahrscheinlich nicht mehr viel überraschen.

Das war Stress pur, es geht nur ums Überleben. Es war aber auch ein Augenöffner – zu merken: Es geht. Das hat uns die Pandemie vielleicht auch gezwungen, zu akzeptieren: Dass nicht immer alles perfekt sein muss. Wie beim Kochen: Wenn man Spaghetti macht und man hat nicht alles zu Hause, was man normalerweise verwendet – dann kann man immer aus dem, was man hat, etwas machen. Demütig sein – auch das haben wir in der Pandemie gelernt. Und es hat auch einen anderen Reiz, etwas zu mobilisieren, von dem man nicht gewusst hat, dass man es hat.

Ihr aktuelles Album heißt Zeiten & Zeichen. Gleich zu Beginn findet sich mit Freunde, das Leben ist lebenswert ein Stück über den mit Bad Ischl eng verbundenen Fritz Löhner-Beda, der in der Nazizeit im KZ ermordet wurde. Was bedeutet das Lied für Sie – und wird es in Bad Ischl zu hören sein?

Ich habe es vor. Seit wir wieder komplett sind, habe ich es immer gespielt. Es ist nach wie vor ein unglaublicher Willensakt, eine Überwindung, diese Geschichte zu erzählen – es schnürt einem beim Singen und Rappen die Kehle zu. Bis jetzt ist es aber immer gelungen, und ich werde es auch in Bad Ischl singen. 

Allgemein ist ihr neues Album ausgesprochen vielfältig – vom Nachdenken über die menschliche Dummheit bis zum schwungvollen Lied über einen Eiweiß verschlingenden Eisbären mit Sombrero. Wie passt das alles zusammen?

Das ist sehr lebensnah. Wenn man nur einen einzigen Tag hernimmt: Wir erleben so viel verschiedene Sachen, wir treffen so viele unterschiedliche Leute, jeder Tag ist so vielfältig. Es hat mich gereizt, dies Vielfalt auch bei meinem Album zuzulassen, Ja zu sagen, zu den Dingen, die daher kommen. Ein zweiter Grund war sicher auch, dass ich das Album nach einer langen musikalischen Pause produziert habe – ich habe ja an meinem Roman gearbeitet. Ich war daher in keinem Musikstil drin und habe einfach auf einem weißen Papier meine Ideen skizziert. Und da kam nach der langen Zeit einfach sehr viel. Es waren an die 40 Ideen – von denen sind dann 15 übrig geblieben, zwei weitere sind dann noch später dazugekommen. 

Auf der Bühne werden wohl auch einige alte Hits zu hören sein – worauf können sich die Besucher freuen?

Das wechselt je nach Konzert. Wir spielen natürlich die Nummern vom neuen Album, das sind allein zwei Stunden – mit Moderation noch länger. Nach 2,5 Stunden sind die Leute meistens am Ende ihrer Aufmerksamkeitsspanne. Daher nehme ich meistens zwei oder drei Lieder raus, die ich nicht spiele. Und wir haben auch viele alte Sachen im Programm, von Brenna tuats guat bis zur Afrika Overtüre. Was wir genau spielen, ist bei jedem Konzert ein bisschen anders, das entscheide ich, wenn ich dort bin, nach Gespür.

HvG live in Bad Ischl: Sonntag, 31. Juli, 20 Uhr, Kaiserpark Bad Ischl | Karten bestellen
Tourplan der "Zeiten & Zeichen" Tour 2022

Hubert von Goisern in Künzelsau: Besuch aus der analogen Welt

Stimme 15. Mai 2022 | Text: Andreas Sommer | Foto: © Ralf Seidel

Hubert von Goisern und seine Band machen 1900 Fans im Carmen-Würth-Forum in Künzelsau glücklich

Seit fast sechs Jahren hat Hubert von Goisern kein Konzert mehr gegeben. Stattdessen hat er seinen Roman-Erstling flüchtig verfasst und an einem Album gearbeitet, in das er alles hineinpackte, was ihn jemals fasziniert hat. Zeiten & Zeichen ist ein überbordendes Werk von 75 Minuten Spieldauer geworden, ein Konzeptalbum also, was heute im Zeitalter des Streamings und der schnellen Bedürfnisbefriedigung ein aussterbendes Phänomen sein dürfte. Deshalb ist der Besuch eines Konzerts von Hubert von Goisern fast wie eine kleine Reise zurück in die analogen 90er, als er mit dem Album Aufgeigen statt niederschiassen den Durchbruch schaffte.

Frenetische Begrüßungsjubel für Hubert von Goisern

Auf der Bühne des Carmen-Würth-Forums steht dieses gestandene Mannsbild mit dem markanten Gesicht - im Herbst wird er 70 - und genießt den frenetischen Begrüßungsjubel der 1900 Besucher im ausverkauften Saal. Das Publikum, mit ihm gealtert, ist hungrig nach seiner Musik, Hubert von Goisern ist hungrig nach der Live-Atmosphäre. Er trägt ein T-Shirt mit der zweizeiligen Aufschrift "ANA LOG" und begrüßt seinerseits mit einem gepflegten Jodler an der Ziehharmonika.

Hubert von Goisern: ein Musiker, der weiß, was er will

Was in zweieinhalb Stunden folgt, ist schlichtweg überwältigend: Ein Konzert mit Hip Hop und Oper, Rap und Rammstein, Elektropop und Folklore, klassischem Rock und Goethe-Liedgut. Hubert von Goisern ist nach Koa Hiatamadl nicht stehengeblieben und hat sein Repertoire unbeirrt nach seinem Gusto erweitert. Ein Musiker, der weiß, was er will - und tut.

In Künzelsau spielt sich der 69-Jährige mit seiner exzellenten fünfköpfigen Band durch das im August 2020 erschienene Zeiten & Zeichen. Immer wieder sinniert er zwischen den Songs in seinem Salzkammergut-Zungenschlag über die Zeit, die Gleichzeitigkeit der Ereignisse und die Zwischenwelten, die er im künstlerischen Prozess erlebt. Alles sehr dezent, so wie das Bühnenbild, auf dem, wer mag, die ukrainischen Farben erkennen kann.

Fast wie Udo Jürgens

Auch gegen Impfschwurbler und Verschwörungstheoretiker erhebt er später seine Stimme, sachlich und ruhig, nicht plakativ und provokant. Mit Brauner Reiter stampft ein düsteres Stück im Rammstein-Gewand. Direkt danach der Kontrast: "Manchmal verbirgt sich mir die Zeit" singt er in Future Memories. Und da klingt von Goisern fast wie Udo Jürgens - mit Trompete.

In Glück ohne Ruh bearbeitet der Charismatiker Rastlose Liebe von Goethe und Franz Schubert. Das stellt er neben den Techno-Rhythmus von El Ektro mit Robotergesang und Zitaten der Techno-Pioniere Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF). Der Geradeaus-Rocker A Tag wie heut, der Solidarität über alle Grenzen hinaus beschwört, bildet die Flanke zu von Goiserns Grönland-Liebe. Während Eiweiß als humoristische Einlage durchgeht, ist der "Grönlandhai" sein Loblied auf die Entschleunigung. Mit dem Motto "Maul auf, Augen zu" erreicht das Tier ein biblisches Alter von bis zu 400 Jahren.

Keiner weiß, wann wieder einer durchdreht

Zu den Höhepunkten zählen Freunde, eine beklemmende, zwischen Rap und Operette angesiedelte Nummer mit Sprechgesang à la Falco über den von den Nazis ermordeten Lehár-Librettisten Fritz Löhner-Beda. Sünder, eine Bearbeitung des Gospel-Klassikers Sinnerman von Nina Simone, hat dagegen fast prophetische Qualitäten. Zu einem schwebenden Vibraphon, Jazz-Groove und sirrender Geige singt von Goisern "Koana woaß, wann wieder oana durchdrah't, koana woaß, wie lang's die Welt no geb'n wird." Gitarrist Severin Trogbacher glänzt hier mit einem opulenten Solo. Trogbacher, der auch Geige spielt, und Multiinstrumentalistin Maria Moling, die auch mal jodeln und singen darf, sind die auffälligsten Mitglieder der Band.

Nach all diesen großen Momenten folgt ein 45-minütiger Zugabenteil mit dem umjubelten größten Hit Brenna tuats guat und den 30 Jahre alten Sehnsuchtsliedern Weit, weit weg und Heast as nit?. Wunderschön.

Hubert von Goisern gastiert in der Bigbox Kempten

Allgäuer Zeitung 13. Mai 2022
Hubert von Goisern

Mehr Fotos auf www.allgaeuer-zeitung.de

Auf Tour mit "Zeiten & Zeichen"

19. April 2022 | Fotos: © Marcus Schlagenhaufer

Triumph für Hubert von Goisern in Wien

Die Presse 14. April 2022 | Text: Samir H. Köck                    

Er kann Urbanes und Rurales versöhnen:
Hubert von Goisern begeisterte im Konzerthaus mit seiner ganz eigenen Form von Weltmusik.

Nach sechs Jahren teils coronabedingter Pause stand Hubert von Goisern endlich wieder auf einer Wiener Bühne. Endlich, weil er die Abstinenz selbst kaum mehr ausgehalten hatte; und endlich, weil dieser sanfte Renegat etwas schafft, das nur wenige, etwa Sepp Forcher, schafften: nämlich die Kluft zwischen urbanen und ländlichen Denkweisen und Gemütszuständen zu versöhnen, ohne falsche Kompromisse einzugehen.

So begann er gleich mit einem sehr nuanciert ausgeführten Jodler namens Kiasucher, dem er behutsam mit Trompetenklängen nachsann. Hört der Städter mal ein Hollarädulliö, dann folgt ja in der Regel ein Abwehrreflex. Dabei wird solcher Lautsilbengesang auch in Afrika, Melanesien und Sibirien gepflogen. Und Von Goisern war immer ein Internationalist. Mit neugierigen Augen bereiste er Donau und Tibet, Afrika und Grönland. Und brachte aus der Ferne frische Melodien und Einsichten mit. Aus der Tiefe der Arktis war an diesem Abend der Grönlandhai zu Gast, vom Fuße der Berge trabten die Novemberpferde herbei.

Die musikalischen Texturen sind bei Goisern nicht restlos ausformuliert, so kann live immer improvisiert werden. Daraus ergibt sich eine verführerische Luftigkeit der Musik, die die Konzentration stark auf die doppelbödigen Texte lenkt, etwa im leicht dadaistischen Anti-Eskapismussong El Ektro. Beinah seherische Qualitäten hat das 2020 veröffentlichte Sünder. "Koana woaß wia long's die Welt nu gebn wird", sang er da und verwies auf Staatenlenker, bei denen man nicht weiß, wann sie durchdrehen.

Ein ganz besonderes Lied war Freunde, wo Goisern pointiert die tragische Vita des Fritz Löhner-Beda in einer unorthodoxen Form von Sprechgesang erzählte. Löhner-Beda, der u. a. Schlagertexte wie In der Bar zum Krokodil und Benjamin, ich hab nichts anzuziehn dichtete, war auch Operettenlibrettist. Mit Franz Lehár arbeitete er für Land des Lächelns und Giuditta zusammen. Aus letzterer zitierte Goisern in bitterer Ironie das von Löhner-Beda getextete Freunde, das Leben ist lebenswert. Löhner-Bedas Leben endete bekanntlich im KZ, wo er sein letztes Lied mit dem gleichfalls einsitzenden, aber überlebenden Hermann Leopoldi schrieb: das Buchenwaldlied.

Aus der klugen Mixtur aus Jodlern, Rock und Weltmusik ragten sanft pulsierende Nachdenklichkeiten wie Future Memories und Meiner Seel heraus. Das war echter Soul. Vollste Andacht herrschte auch beim Klassiker Heast as nit: Salzkammergutsehnsuchtsmusik vom Feinsten.

Ein bunter Strauß an Geschichten: Hubert von Goisern im Konzerthaus

APA 14. April 2022

Der Musiker präsentierte sein aktuelles Album "Zeiten & Zeichen"

Was hat dieser Mann nicht alles zu sagen: Steht Hubert von Goisern auf der Bühne, muss man auf alles gefasst sein. Etwa, dass er in Kleinstbesetzung Konzerte bestreitet, wie zuletzt zum Tourneeauftakt aufgrund mehrere Coronafälle in der Band. Oder, dass er von harten Rocksounds bis gefühlvollem Jodler alles in seine Auftritte packt. Dieser Erzähler vieler Geschichten bewegt sich - immer noch - mit unbändiger Neugier durch die Stile, so auch am Mittwoch im Wiener Konzerthaus.

Die gute Nachricht vorweg: "Se sand olle wieder do!" Das durfte der im Herbst 70 werdende Sänger, Multiinstrumentalist, Komponist und seit zwei Jahren auch Romanautor (flüchtig) gleich zu Beginn des über zweieinhalbstündigen Abends verkünden. Vor knapp zwei Wochen war das noch anders, als just zum Tourauftakt vier seiner fünf Bandmitglieder von Corona erwischt wurden. An eine Absage habe er aber nie gedacht. "Meine Frau sagt immer: Du bist so stur! Aber in solchen Fällen hilft das schon", schmunzelte er.

Nun geht aber ohnehin alles wieder seine geregelten Bahnen. Soll heißen: Mit einer äußerst spielfreudigen Truppe durfte sich der Goiserer durch sein 2020 erschienenes, immer noch aktuelles Album Zeiten & Zeichen spielen. Und dafür zog er wirklich alle Register: Vom bluesig-stampfenden Dunkelblau (Königin der Nacht) über die mit ordentlich Krach versehene Sinnerman-Adaptierung Sünder bis zu der für ihn typischen Dekonstruierung traditionellen Liedguts beim Gamstod war alles dabei, was man erwarten und erhoffen durfte.

Dass sich Von Goisern für diese Platte durchaus aus dem Fenster gelehnt hat, bezeugten das an Rammstein gemahnende Brauner Reiter oder Freunde, diese überbordende, zwischen Rap und Operette angesiedelte Nummer, die er über den von den Nazis ermordeten Librettisten Fritz Löhner-Beda geschrieben hat. Harter Tobak, der aber sogleich gebrochen wurde von humoristischen Einlagen wie Eiweiß oder Grönlandhai. Nicht nur da kokettierte Von Goisern mit schlageresken Tönen, die er aber stets in der für ihn so typischen Art in ein offenes Klanguniversum einbettet. In diesem durften kantige Sounds ebenfalls nicht fehlen, als El Ektro mit Beats und Stimmeffekten das Konzerthaus zur Disco machte.

Zugute kam ihm bei all diesen stilistischen Volten natürlich eine Band, auf die er sich voll verlassen konnte und die dem Meister, der vielfach mit geschlossenen Augen ganz tief in seine Musik versunken war, blind folgte. Da half es natürlich auch, dass der zu Beginn noch etwas unausgewogen abgemischte Sound von Nummer zu Nummer an Druck und Transparenz gewann, wodurch auch Sängerin und Multiinstrumentalistin Maria Moling mehr in Erscheinung treten konnte. Es war letztlich ein wahres Miteinander zu erleben, spielten sich Von Goisern und seine Kollegen die Bälle zu, wurden Phrasen und Melodien aufgegriffen, fortgeführt, umgedeutet, um das Mehr des Liveerlebnisses auch deutlich zu machen.

Und natürlich: die Geschichten. Immer wieder gab es Einblicke in die Entstehung der Lieder, erzählte Von Goisern von Titeln und Texten, die sich im Nachhinein als geradezu prophetisch offenbarten oder gab den Naturkundler angesichts der (kaum vorhandenen) Flora und (mitunter bedrohlichen) Fauna Grönlands. Politisch wurde es natürlich auch, wenngleich dieser Künstler kein Freund des erhobenen Zeigefingers oder der plakativen Worte ist. Für den Vielgereisten ist jedenfalls klar: Alle Menschen, egal wo auf der Erde, "haben dieselben Träume, Wünsche und Bedürfnisse".

Am Ende gab es großen Jubel und Standing Ovations für ein intensives Set, das den Besuchern durchaus einiges abverlangte, mit großen Stücken wie Weit, weit weg und Heast as net aber auch nachvollziehbare Erwartungen erfüllte. Selbst 30 Jahren, nachdem er mit dem Album Aufgeigen stått niederschiassen seinen Durchbruch feierte, bleibt Hubert von Goisern ein Künstler, der sich stets Neuem zuwendet und den Blick nach vorne gerichtet hat. Diesem wachen Geist zu folgen, mag für Fans manchmal eine Herausforderung sein - lohnend und kurzweilig ist es allemal.

Goisern setzte ein Live-Zeichen in Moll

Kleine Zeitung 13. April 2022 | Text: Bernd Melichar

An zwei Konzertabenden demonstrierte Hubert von Goisern die ganze Weite seiner musikalischen Welt.

"Olle do!", konnte Hubert von Goisern zu Beginn des Konzertes erleichtert verkünden. Und das war nicht selbstverständlich. Ausgerechnet zum Start der Tour waren seine Musiker nach der Reihe an Corona erkrankt. Doch am Montag im ausverkauften Grazer Stefaniensaal – am Dienstag stand ein weiteres Konzert auf dem Programm – war die Band wieder komplett.

Im Mittelpunkt des stimmigen, heftig beklatschten, vom Musikverein veranstalteten Konzertabends stand das aktuelle Album Zeiten und Zeichen. Der heuer 70-jährige Weltmusiker zeigte sich in bester Spiellaune, wurde begleitet von einer jungen, feurigen Band, dennoch war die Stimmung eher in Moll gehalten. Das aktuelle Album und die kompakte, leidenschaftliche Live-Präsentation dieses sehr diversen Liederbogens zeigt die ganze Bandbreite dieses Ausnahmekünstlers, der an diesem Abend zu den verschiedensten Instrumenten griff: E-Gitarre, Akustikgitarre, Trompete, Flöte – und natürlich durfte die Ziehharmonika nicht fehlen. Doch die Ausflüge ins Traditionelle haben bei diesem Weltbürger nie den verpickten Beigeschmack des Heimatkitsches.

Wutlieder, Liebeslieder, Nachdenklieder, Jodler, einem Genre lässt sich das nicht mehr zuordnen – und das ist gut so; Goisernlieder eben, eine eigene Kategorie. Starke Momente gab es viele an diesem Abend, doch Sünder, eine Adaption des Gospel-Klassikers Sinnerman, zählte zweifelsohne zu den Höhepunkten. Ebenso wie Freunde, eine gewaltige Rap-Arie über den im KZ ermordeten Lehár-Librettisten Fritz Löhner-Beda.

Mit dem zarten Dunkelrot verabschiedete sich Hubert von Goisern. "Ich weiß nicht, woher ich komme. Ich weiß nicht, wohin ich geh'. Ich habe viele Tausend Namen. Und weiß nicht, wofür sie steh'n", heißt es im Text. Wofür der Name Goisern steht, ist indessen klar: Für einen Künstler, der sich in und mit seiner Musik ständig verändert, sich aber trotzdem stets treu bleibt.

Hubert von Goisern in Graz

Congress Graz  10. April 2022 | © Foto: MCG, Wiesner