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ZEITEN & ZEICHEN

Ein Konzert der anderen Art

OÖN 4. April 2022 | Text: Lukas Luger | Foto: © Reinhard Winkler

Von Corona lässt sich ein Goiserer nicht aufhalten

Es war ein außergewöhnlicher Auftritt, mit dem Hubert von Goisern am Freitagabend seine Zeiten und Zeichen-Tournee im ausverkauften Linzer Brucknerhaus einläutete. Seine Begleitband hatte sich in den Tagen zuvor coronabedingt reihum krankgemeldet, am Schluss blieb nur Maria Moling übrig. Gemeinsam mit der Südtiroler Multiinstrumentalistin und dem kurz fristig rekrutierten Schlagwerk-Star Christoph Sietzen – der eigentlich nur eine Karte für das Konzert schnorren wollte – lieferte der 69-Jährige eine wunderbare intime und charmante Show ab, die sich mehr auf Emotion als auf Energie verließ.

"So leise wird's nie wieder" witzelte der Goiserer, der sich als mit trockenem Schmäh gesegneter Anekdotenerzähler entpuppte, an einer Stelle. Das mag stimmen. Hubert an der Quetsch'n beziehungsweise der Akustikgitarre, Moling hinter den Drums, der tapfere Sietzen wahlweise an der Marimba oder am Keyboard – derart minimalistisch spielte sich das zusammengewürfelte Trio zweieinhalb Stunden lang durch einen Mix aus primär neuen Stücken und einigen Klassikern, gespickt mit Volksliedern und Jodlern. Trotz der widrigen Umstände und der fehlenden Probezeiten gerieten introspektive Versionen von Future Memories, Meiner Seel, Novemberpferde und Grönlandhai grandios. Lediglich bei Sünder, einer epischen Bearbeitung des Nina-Simone-Klassikers Sinnerman, zogen Tempo und Lautstärke so richtig an. Die Texte von Liedern, die "eh z'laut" gewesen wären, las Goisern spontan einfach vor. Mit Goisern und Weit, weit weg fanden auch zwei Alpinkatzen-Hadern den Weg ins Programm, die so eindringlich und frisch klangen wie lange nicht.

Fazit: Ein Konzert, dass weder Fans noch Künstler je vergessen werden.

Hubert von Goisern trotzte Corona in St. Pölten

APA 3. April 2022

Zeiten und Zeichen heißt das - gar nicht mehr so - neue Album von Hubert von Goisern, und mit den Zeichen der Zeit muss er derzeit mehr als zurechtkommen. Bereits der Tourauftakt am Freitag im Linzer Brucknerhaus war schwer gefährdet, ging aber mit einer gehörigen Portion Mut zum Risiko über die Bühne, so auch gestern, Samstag, im Festspielhaus St. Pölten. Vier von fünf Bandmitgliedern waren coronabedingt ausgefallen - schwierige Situation, mit Bravour gemeistert.

Noch am vergangenen Sonntag - fünf Tage vor dem Auftaktkonzert - fanden die Abschlussproben statt, am Montag dann der Anruf vom am Boden zerstörten Keyboarder: "Ich bin positiv." "Macht nix", gab Von Goisern zur Antwort, sie kämen auch ohne ihn zurecht. "I hoff, er hat sich gfreit über den Zuspruch." In den folgenden Tagen meldeten sich auch Bassist, Schlagzeuger und Gitarrist krank, übrig blieben Von Goisern - ein Genesener - und Maria Moling, ehemalige Mitstreiterin und ein Drittel des ladinischen Frauenpower-Trios Ganes. Am Donnerstag ein weiterer Anruf, ein befreundeter Musiker hätte gerne irgendwie noch eine Karte fürs Brucknerhaus. Huberts Gegenvorschlag: "Bring dein Instrument mit, dann darfst mitspielen."

Christoph Sietzen heißt der tapfere Mann, erster Träger des "Hubert von Goisern-Kulturpreises", der nach nur einer Stunde Probenzeit imstande war, auf Marimba, Schlagwerk und Keyboard einen Teil des Abends mitzutragen und dabei zu brillieren - nicht zuletzt mit einem atemberaubenden Solostück von Iannis Xenakis. "Ohne Corona hättet's das jetzt nicht ghört", gab Von Goisern dem Publikum zu bedenken.

Nur ganz vereinzelt verließen Zuschauer den Raum, nachdem klar wurde, dass der Abend anders als erwartet verlaufen wird. Seine Band in voller Stärke und ohne Infektion kann erfahrungsgemäß ganz schön druckvoll werden, in Notbesetzung spielt's das freilich nicht. Nur einmal schepperte das Interieur, als für Sünder E-Gitarre und alle vorhandenen Trommeln zum Einsatz kamen. Es wurde gejodelt, viel gejodelt, da konnte es schon passieren, dass der Chef selbst einen falschen Jodler anstimmte: Stresstest für den Ersatzmann. Es wurde ausgiebig, sehr ausgiebig erzählt von krankhaftem Lampenfieber, kurz entflammter Tanzleidenschaft und von Grönländern, die auf den Klimawandel warten, von dem alle reden.

Gut strecken lässt sich ein Konzertabend, wenn man Liedtexte von Songs vorliest, die nicht gespielt werden können. Da seien Sachen dabei, "die wär'n euch eh viel z'laut gwesen". Und da hat er wohl recht, denn der Abend war getragen von leisen Tönen (Wenn i durchgeh durch's Tal, Weit, weit weg) und humorigen, sinnlichen Erzählungen und Anekdoten. Und von zwei unterstützenden Musikerpersönlichkeiten, die mehrmals Sonderapplaus erhielten. Und von einem Hubert von Goisern, der sich unter diesen Umständen einen fast zweieinhalbstündigen, intensiven Abend zugetraut hat. Heute, Sonntag, gibt's ein Da-Capo in St. Pölten, nächste Woche findet die Tour in Deutschland ihre Fortsetzung.

Ein Konzert in noch minimalerer Besetzung geht nicht. Geht nicht? Mitnichten! - Auf der Donauschiff-Konzertreise 2008 erkrankte der Meister selbst, dennoch gab's ein Hubert von Goisern-Konzert, halt ohne Hubert von Goisern.

Hubert von Goisern gastiert im Festspielhaus St. Pölten

NÖN 3. April 2022 | Text: Alexander Kortan

Nach sechs Jahren Pause kehrt der Oberösterreicher zurück auf die Bühne.
Beim Tourstart trat er mit besonderer Besetzung auf und begeisterte das Publikum.

Sechs Jahre später, aber immer noch in alter Frische. So kann man das Comeback von Hubert von Goisern auf seiner Zeiten und Zeichen-Tour beschreiben. Im Oktober 2016 verschwand Goisern zunächst von den Bühnen und zog sich zurück, einen Roman und ein Studioalbum später kehrt er nun ins Rampenlicht zurück. Nach seinem Auftritt in Linz brachte Goisern ein ausverkauftes Festspielhaus in St. Pölten zum Toben. "Wir lieben dich Hubert", ließ ein Zuhörer den Künstler während der Zugabe wissen. "Ich euch auch meine Freunde", so Goisern zurück. Dabei stand das Konzert auf der Kippe. Fast die gesamte Band infizierte sich wenige Tage vor dem Auftritt mit Corona und verpasste das Konzert. Nur Hubert selbst sowie die Sängerin und Schlagzeugerin Maria Moling blieben verschont. Also musste ein abgewandeltes Programm her. Spontan holte man noch den Marimbaspieler Christoph Sietzen mit an Bord. Mit einigen Jodlern, flotten Nummern auf Gitarre und Ziehharmonika sowie einem Solostück von Sietzen wusste das Trio den Saal zu beeindrucken. Nebenbei erzählte Hubert von Goisern viele Geschichten und Hintergründe aus seinem Leben. Der Applaus zum Ende hin war so groß, dass es den Künstler zwei Mal für eine Zugabe zurück auf die Bühne trieb.

Hubert von Goisern im Austropodcast

Austropodcast 24. März 2022

"Liedermacher" steht bei Hubert von Goisern als Beruf in der Vita und nichts könnte den Mann besser beschreiben! Er macht Lieder mit seinen Händen und seinem Kopf. Sie entstehen wie große Kunstwerke in Phasen der Kreativität. Im Austropodcast erzählt der gebürtige Bad Goiserer über seine Anfänge als Musiker, über starrköpfige Kapellmeister, seinen Beruf als Chemielaborant und auch seinen Freiheitsdrang in die weite Welt. Er nimmt uns mit nach Kanada, Südafrika, in den nahen Osten und auf die Donau! Wir reden über leere Kühlschränke, leere Säle und wie es sich anfühlt einen Hit zu landen. Die nächste Tournee (Start am 01.04) ist ein Thema und das nie vergehende Lampenfieber. Er stellt uns seine Lieblingsmenschen vor und serviert dazu Bier ... Hubert von Goisern, viel mehr als ein Liedermacher ... ein Musiker von Welt und ein Mann, dem man ewig zuhören könnte!

Hubert von Goisern: "Sogar die Kinder zeigen auf die Klimasünder"

Mannheimer Morgen 28. Dezember 2020 | Text: Jörg-Peter Klotz (jpk)

Herr von Goisern, Ihr Album Zeiten & Zeichen bringt nicht nur viele Aspekte des Jahres 2020 auf den Punkt. Es vereint so ziemlich alle westlichen Musikstile, die einem einfallen - von Andreas Schagers Operngesang bis Rap. Ist diese postmoderne Fülle auch ein Zeichen der Zeit, als Demonstration von Offenheit?

Wir leben auf jeden Fall in einer Zeit, in der sehr Vieles gleichzeitig passiert durch die Vernetzung, in der wir leben. Ich hatte einfach das Gefühl: Ich mag mich da jetzt nicht einengen lassen. Denn nichts ist mehr so, wie es mal war - auch in der Musikbranche. Das Albumformat an sich ist ja schon fast etwas Überholtes. Es wird fast nur mehr ins Netz gestellt und dann lädt man sich halt einzelne Songs runter. Aber so einen Bogen, der sich durchzieht, so etwas wie ein Konzeptalbum - das gibt es eigentlich so gut wie gar nicht mehr. Es gibt zwar schon noch Leute, die das machen, aber das sind Nischengeschichten. Insofern schlägt sich diese Art, wie Musik vertrieben wird, auch nieder. Trotzdem ist es noch ein Album geworden.

Das erste Stück Freunde ist eine Art Moritat - über das tragische Ende von Fritz Löhner-Beda, des jüdischen Librettisten Franz Lehars, 1942 in Auschwitz. Sehr eindrucksvoll und eindringlich erzählt. War Ihnen diese Geschichte so wichtig, dass Sie das Lied an den Anfang des Albums stellen mussten?

Ich habe bei der Zusammenstellung einfach keinen Platz gefunden, wo es reinpasst. Und ich wollte auch nicht damit aufhören. Deshalb habe ich den Stier bei den Hörnern gepackt und es an den Anfang gestellt. Inzwischen hab ich schon das Gefühl, dass es nicht nur am Anfang so losgeht, sondern dass die ersten drei Stücke alle so ein Gewicht haben, das mir ganz schön fordernd vorkommt. Wo man wirklich durch muss, bis man ans Licht kommt.

Nichts passt wohl besser zum zähen Corona-Jahr. Brauner Reiter setzt als drittes Lied ein klares Zeichen gegen Nationalismus. Sie verwenden dabei typische Rammstein-Elemente und evozieren ähnliche Bilder im Kopf wie deren Deutschland-Video. Ist das eher Parodie oder mehr Hommage?

Weder noch. Ich kenne das Deutschland-Video nicht. Ich habe den Rammstein-Sound zwar im Ohr, aber ich kenne jetzt kein einzelnes Stück. Mir war schon wichtig für diese Art von Inhalt so eine düstere Musik zu haben. Dann kommt da so was raus. Ich habe dabei nicht an Rammstein gedacht, aber den Vergleich habe ich inzwischen oft gehört. Schon in der Produktionsphase sagten die Leute: "Rammstein, Rammstein …" Das war dann ganz lustig: Als das Ding dann aufgenommen war, habe ich Christoph Schneider, den Schlagzeuger von Rammstein, beim Skifahren getroffen (lacht). Ich habe ihm aber nicht gesagt, dass ich gerade etwas aufgenommen hatte, von dem alle Leute sagen, es klinge wie Rammstein.

Im zweiten Lied Sünder, Ihrer Adaption von Sinnerman, brennt es wieder wie in Ihrem Klassiker Brenna tuat's guat. Zu einem schwebenden Vibraphon, Jazz-Groove und sirrender Geige zeichnen Sie ein dystopisches Bild der Gegenwart. Statt Klassenkampf verbeugen Sie sich vor der Klimasschutzbewegung - sind Sie froh, dass viele junge Menschen kämpferischer werden?

Ich habe durch einen Zufall im neuseeländischen Film Hunt For The Wilderpeople (deutscher Titel Wo die wilden Menschen jagen) die Sinnerman-Version von Nina Simone das erste Mal gehört. Das war nur ein Ausschnitt, aber diese treibende Kraft darin fand ich Wahnsinn. Dann habe ich recherchiert, bin auf Nina Simone gekommen und habe die Geschichte dieses Gospels zurückverfolgt. Was da drinnen ist, hat mich sehr berührt. Dieses Schweben zwischen Anklage und Erlösung. Das ist halt so ein richtiges Gospelteil, in dem es um Himmel oder Hölle geht. Natürlich beschäftigt mich auch die "Fridays for Future"-Bewegung. Ich war ja auch mit Greta Thunberg vor einem Jahr in Wien auf der Bühne und habe diese Dringlichkeit erlebt, die ihre Botschaft hat. Und - ich habe selber Kinder. Diese Verantwortungslosigkeit der Altvorderen was die Zukunft des Planeten angeht, da brauchen wir jetzt gar nicht von Erderwärmung reden, einfach der Ressourcenmissbrauch - das passiert seit zig, ach was seit hundert Jahren. Und die Informationen sind da, dass sich das alles nicht mehr ausgeht, wenn wir so weitermachen. Deshalb ist das Lied meine Hommage an Greta Thunberg mit der Zeile "Sogar die Kinder zeigen auf die Sünder an jedem freien Tag" - damit ist der Freitag gemeint.

Nach diesem Stahlbad aus drei Songs kommt mit der anfangs zart getasteten, nachdenklichen Ballade Future Memories der totale Kontrast. Als die Streicher einsetzen, fühlt man sich ähnlich wie später bei Novemberpferde ins Great American Songbook versetzt. Ungeahnte Töne für eine Alpinkatze, das gab es ja länger nicht bei Ihnen?

Es ist auch ein Zeichen von - das soll jetzt nicht überheblich klingen - Reife, dass man sich an diese Art von Tonalität und Arrangement herantraut. Natürlich gab's das auch schon mal früher, die Studioproduktion von zum Beispiel Heast as net auf Wia die Zeit vergeht … 1995 war ja auch mit Synthie-Streichern. Aber mit richtigen Streichern zu arbeiten, hat mich immer schon gereizt. Das letzte Mal, das war 1998 auf der Inexil mit Tibet und im selben Jahr auf der Gombe. Jetzt hat sich mit dem Musikerzugang von Alessandro Trebo, der ein toller Keyboarder und Arrangeur ist, die Möglichkeit ergeben, ein paar Sachen auszuleben, die vorher nicht oder nur schwer denkbar waren.

Ihr gestiegenes Interesse an Amerika ist etwas antizyklisch. Seit George W. Bushs Präsidentschaft, spätestens wegen Donald Trump haben sich viele von den USA irritiert abgewendet. Sie nicht?

Also, auf die Idee wäre ich jetzt nicht gekommen, dass die Platte so nach Americana klingt.

Naja, es gibt Rap und Ihre Version von Sinnerman, dann die Streicherballaden, später folgt ein Bluesrocker…

Okay, wenn ich diesen Gedanken nicht von mir weise, würde ich sagen: Das, was da noch vorkommt, ist das Tolle an Amerika. Wenn wir schauen, was jetzt in den USA passiert, auch auf das, was da jetzt produziert wird an Musik - das ist ja alles sehr, sehr schwach und seicht gegenüber dem, was vor ein paar Jahrzehnten noch zu hören war. Und natürlich hat dieses Amerika der 1950er, 60er, 70er und auch 80er Jahre einen großen Einfluss auf mich gehabt. Das sind ganz tolle Bands und ganz großartige Musiker. Die haben ganz tolle Sachen produziert, was mir jetzt irgendwie schon fehlt. Ich gehe davon aus, dass es die Leute immer noch gibt, aber dass sie drüben genauso wenig Raum finden in den Medien wie hier.

Mit Dunkelrot folgt ein sehr poetisches Liebeslied, dessen Sprechgesang fast lupenrein auf Hochdeutsch gehalten ist. Eigentlich ein ungewöhnlicher Zugang für ein so intimes Thema und einen altgedienten Dialektinterpreten wie Sie. Die Mundart ist ja gemeinhin näher am Herzen, oder?

Ja das stimmt. Ich glaube, es gibt auf dem Album nur drei Lieder, die in Mundart gesungen werden. Alles andere ist Hochdeutsch, mit ab und zu kleinen Einsprengseln, in denen Umgangssprache durchkommt. Ich möchte eigentlich schon seit zehn Jahren gern mehr Hochdeutsch singen. Es hat nie geklappt. Es gab immer so einen Reflex, dass es in der Kehle zugemacht hat, wenn es zu Deutsch war. Aber dieses Mal ist es ganz von selber passiert.

War es jetzt einfacher, nachdem Sie einen Roman in Schriftdeutsch verfasst haben?

Ja, ich glaube, es hängt viel mit dem Schreiben des Romans zusammen, dass ich jetzt auch so singen kann. Nachdem ich jetzt zwei Jahre in der Schriftsprache zu Hause war und mir das zu einer zweiten Natur geworden ist.

Das macht es den deutschen Chören leichter, die seit Jahren Lieder wie Ihre Ballade Weit, weit weg gern singen, mit dem Oberösterreichischen aber zu kämpfen haben…

Das ist mir bewusst (lacht). Es freut mich, wenn die Leute Freude daran haben und sich sprachlich nun leichter tun.

Dunkelrot korrespondiert mit dem bluesigen Dunkelblau - ist das eine Yin- und Yang-Korrespondenz?

Das ist ein gutes Bild. Das Lied hat eine interessante Entstehungsgeschichte. Ich hatte für Dunkelblau die Musik fertig und einen Pilottext einfach draufgesungen. Ich wusste genau, was ich singen möchte, eben so ein Liebeslied. Aber ich hatte es nicht ausformuliert. Ich hab es nur irgendwie draufgesungen. Und dann hab ich mich zurückgezogen und den Text geschrieben. Als ich dann aus meiner Klausur herauskam, fragte meine Frau: "Und wie ist es Dir ergangen?" Ich fand es ganz toll und hab's ihr vorgelesen. Sie war hin und weg und hat gesagt: "Wahnsinn, so schön. Wie geht da die Melodie?" Dann habe ich das Playback aufgelegt und dazu gesungen. Und sie war danach ganz traurig und fand es total schade, dass der schöne Text mit einer so traurigen, bluesigen Melodie zusammenkommt. Normalerweise gibt sie keine Kommentare zu meiner Arbeit ab, das war eigentlich das erste Mal. Das hat mich dann so beschäftigt, dass ich stundenlang spazieren gegangen bin und mich gefragt habe: "Ja, vielleicht hat sie Recht? Ich setz mich jetzt mal hin und schau, ob mir eine andere Melodie einfällt." Das hat vielleicht zwei Stunden gedauert und das Lied war fertig, so wie es jetzt ist. Nur hatte ich dann für Dunkelblau keinen Text mehr. Und dann ist mir die Idee gekommen, es umzudrehen. Ich nehme den Text und drehe ihn um, so dass er diese bluesige Farbe reflektiert - das ist so wie die helle und die dunkle Seite des Mondes, Yin und Yang. Ein Freund von mir hat gesagt, Dunkelblau ist das männliche Bild, Dunkelrot die weibliche Seite.

Die Ballade Meiner Seel klingt zunächst tief romantisch. Man kann es aber auch als Plädoyer gegen "verschwor'ne Narren" verstehen, die Gelb zu Blau erklären und in Fantastilliarden-Stärke durch Berlin oder Leipzig marschieren.

Ja, genau, so ist das gemeint. Ich bin fassungslos darüber, dass es so viele Leute gibt, die eins und eins nicht zusammenzählen können. Wenn Sie das Albumcover genau anschauen, gibt es darauf ein Graffito für jedes Lied. Für Meiner Seel ist es "Eins und eins ist nicht elf" (lacht).

Der Mannheimer Soulsänger Xavier Naidoo zählt zu den prominentesten Querdenkern. Sie haben mit ihm schon gearbeitet, er hat sie 2008 auf Ihrer Schiffstournee teilweise begleitet, einmal in Mainz sogar vertreten. Was sagen Sie zu seinem aktuellen Verhalten?

Ich kann das eigentlich gar nicht beurteilen. Ich bin nur fassungslos darüber, was ich da immer wieder höre. Keine Ahnung, ob das Ausreißer sind oder ob er auch anders reflektiert. Mein Gedanke ist, ob ihm Leute etwas reinbröseln, was nicht gut ist (lacht). Aber im Ernst: Das tut mir echt total leid. Der Mann hat so ein Charisma, so eine Bühnenpräsenz und kann die Leute so berühren, wie kaum einer, den ich kenne. Umso bedauerlicher finde ich es, wenn er so abdriftet. Aber das machen gerade ziemlich viele Leute.

Der nächste große Kontrapunkt auf der Platte ist Eiweiß mit bestens gelaunten Mariachi-Bläsern und einem fast satirischen Text. Beneiden Sie Dieter Nuhr um seine regelmäßigen Proteststürme, oder warum spötteln Sie über die "ach so bedrohte Pfote" des Eisbären und Veganer? Beim Schreiben kommt Ihnen die Schere im Kopf offensichtlich nicht in die Quere.

Nein. Ich reflektiere natürlich schon und denke darüber nach, was passieren kann, wenn das rausgeht. Kann das jemand in die falsche Kehle bekommen? Vor kompletten Fehlinterpretationen ist man ohnehin nie gefeit. Bei der Geschichte habe ich überhaupt kein schlechtes Gefühl. Leute, die sich vegan ernähren, haben meine große Bewunderung. Tierhaltung und Massentiertransporte sind eine unglaubliche Schande für die Menschheit. Jeder, der weniger Fleisch isst, rennt bei mir offene Türen ein. Ob man auch auf Milch oder Eier verzichtet, ist ja auch jedem selbst überlassen. Aber unser Umgang mit tierischem Eiweiß hat auch viel mit Klimawandel zu tun. Deshalb auch die Mariachi-Klänge, mit denen quasi die Hitze nach Grönland kommt, wo der Eisbär lebt. Auch diesem Lied liegt eine interessante Begebenheit zugrunde.

Erzählen Sie…

Vor vier, fünf Jahren war ich in Grönland und habe dort auch ein Konzert gespielt. Ein guter Freund hat mich begleitet und geholfen, das umzusetzen. Ein sehr einfühlsamer Mensch. Nach drei, vier Tagen wurde ich Zeuge eines Gesprächs, das er mit einem Einheimischen geführt hat, dem er sagte: "Ich würde so gern mal einen Eisbären sehen." Dieser Grönländer hat ihn fassungslos angeschaut und geantwortet: "Diese Scheiß-Eisbären! Die sind allgegenwärtig, du kannst nicht ohne Knarre aus dem Dorf rausgehen. Sie sind einfach eine Bedrohung hier." Es kommt immer drauf an, von wo man die Dinge betrachtet. Wir sehen das bedrohte Tier, die Einheimischen fürchten es - und freuen sich womöglich über die Erderwärmung. Wir machen es uns zu leicht in solchen Dingen. Etwa, wenn wir glauben, die Welt zu retten, indem wir unsere Hunde und Katzen auch vegetarisch ernähren. Das ist Tierquälerei, darauf ist das Lied vom menschenfressenden Eisbären durchaus als Seitenhieb zu verstehen. Das sind nun mal keine Kuscheltiere. Ansonsten finde ich toll, was Vegetarier und Veganer machen.

Elektro hält dann, was der Name verspricht - der funkigste Von Goisern bisher?

Ja. Auf Inexil hatte ich schon mal einen tibetanischen Operngesang mit solchen stampfenden Rhythmen unterlegt. Aber das liegt lange zurück. Seitdem habe ich das so konsequent nicht mehr gemacht.

Gegen Ende geht es viel und teilweise sehr verspielt um Tiere - in Grönlandhai, Novemberpferde und zum Schluss Tierische Polka?

Das ist einfach so passiert. Ich bin oft draußen in der Natur und habe riesigen Respekt vor Lebewesen, die nicht im geschützten Rahmen überleben können. Wie die da draußen über die Runden kommen, gerade in den Bergen. Was da an Getier ist, seien es Vögel, Gämsen, Hirsche, Rehe, Hasen… Ich freue mich immer, wenn ich die Gelegenheit habe, sie in freier Natur zu beobachten. Und darüber, dass es für diese Tierwelt noch Raum gibt, den der Mensch noch nicht erobert hat.

In Glück ohne Ruh vertonen sie Goethes frühes Liebesgedicht Rastlose Liebe. Sind Sie mit 68 Jahren noch ein Stürmer und Dränger?

Das mag ich jetzt nicht beantworten (lacht). Die Entstehungsgeschichte dieses Liedes liegt auch lange zurück: 1988 ist ein Regisseur an mich herangetreten und wollte das Gedicht Rastlose Liebe gern als Teil der Filmmusik haben, die ich für ihn geschrieben habe. Ich fand das eigentlich daneben. Das ist natürlich ein Supertext, aber die Art und Weise, wie es Schubert umgesetzt hatte, gefiel mir nicht. Ich hätte es anders gemacht und auch den Text a bissel umgeschrieben. Das Ergebnis hat ihm nicht gefallen. Seither hatte ich das in meinem Kopf. Nichts gegen Schubert - ein großartiger Komponist und Liedschreiber. Aber Goethe hat die Rastlose Liebe mit Anfang 20 geschrieben, Schubert war etwa gleich alt, als er das Gedicht vertont hat. Für mich war das viel zu aufgewühlt, auch damals schon.

Aber was darf, ja muss aufwühlend sein, wenn nicht Liebe?

Für mich war Liebe auch als junger Mann immer etwas Romantisches. Wenn man von Leid spricht, wie es in dem Gedicht steht, ist es für mich etwas schwermütig Leidendes und kein stechender Schmerz. Eher etwas Dunkles und kein helles Blutrot. Darum habe ich das jetzt so gemacht. Auch weil ich mit Alessandro Trebo einen Superpianisten an meiner Seite hatte, funktioniert es.

Es gibt ansonsten auf der Platte eine Art Cajun-Polka, einen Trauer-Jodel, ein explodierendes Akkordeon-Instrumental, dazwischen einen lakonischen Geradeaus-Rocker wie A Tag wie heut. Was außer Ihrer Person ist das Bindeglied zwischen all dem? Die Welt, die auf Sie einströmt?

Zwischen allen 17 Songs gibt es außer mir kein Bindeglied. Aber eine Vielzahl der Lieder sind im Grundstock von denselben Musikern eingespielt. Das zieht sich auch durch. Da musste sich auch keiner musikalisch verrenken, die wurden alle in diesen Klangräumen sozialisiert. Aber im Grunde genommen ist es so: Ich bin der Wanderer durch diese musikalischen Landschaften. Und wenn man mir folgt, kommt man am Ende auch wieder raus (lacht).

Können Sie das alles live umsetzen, auch die Streicher-Arrangements?

Das wird spannend, ich denke aber schon. Aber sicher nicht eins zu eins, denn wir werden sicher kein Streichorchester mit auf Tour nehmen. Aber wir haben großartige Musiker zur Verfügung, die eine enorme Bandbreite an Instrumenten spielen können. Mal schauen, was herauskommt, wenn wir es auf das Sextett reduzieren, mit dem wir unterwegs sein werden. Ich habe aber schon den Traum, dass es die eine oder andere Aufführung geben wird, zu der wir Gäste einladen können, die auf dem Album mitgespielt haben. So dass es immer wieder auch mal eine Überraschung gibt, wenn wir auf der Bühne sind. Vielleicht schaffen wir's einmal, dass alle dabei sind. Mal schauen.

Was ist Ihr Gefühl: Können Sie wie geplant am 28. Mai 2021 im normalerweise ausverkauften Mannheimer Rosengarten auftreten?

Ich hoffe es. Aber wir leben in einer Zeit, in der wir zwar planen müssen, uns aber auch vor Augen halten, dass alles möglicherweise wieder umgestoßen werden muss. Wir hatten eine toll durchgeplante Herbsttournee, jetzt beginnen wir im April. Ich bin eigentlich ganz guter Dinge, dass es klappt. Aber mit Sicherheit kann ich es nicht sagen. Zur Not verschieben wir nochmal. Aber es ist schon jetzt ein riesengroßes Chaos, denn die vielen verschobenen Konzerte ballen sich natürlich jetzt schon zusammen mit denen, die eh für den Zeitraum geplant waren. Wenn man das alles nochmal verlegt…

So energisch wie Sie auftreten, ist es vermutlich keine Option, zweimal pro Abend zu spielen und das Publikum aufzuteilen, so dass Abstand möglich ist?

Für mich wäre das vom Stimmlichen her nicht denkbar.

In Deutschland klagt die Kultur über das Quasi-Berufsverbot seit März, die großzügig angekündigten Staatshilfen fließen je nach Bundesland unterschiedlich zäh. Wie geht es freischaffenden Musikern in Österreich?

Ich kann nur über meine Kollegen sprechen. Denen versuche ich mit Vorschüssen zu helfen, bis es wieder richtig weitergehen kann. Aber die Lage ist nicht schönzureden. Man muss irgendwie lernen, damit umzugehen. Ich erinnere mich an die Frühzeit meiner Karriere, in der ich auch monatelang kein Engagement hatte und substanziell kaum etwas reingekommen ist. Da lebte ich von der Hand in den Mund oder bekam Zuwendungen von Freunden, bei denen ich zum Beispiel eine Weile leben konnte, ohne Miete zahlen zu müssen. Das Kreative kann sich auf alle möglichen Arten durchschlagen. Aber es wird auch so sein, dass manche Künstler aufhören, weil sie den Leidensdruck nicht aushalten. Das ist nicht leicht, da gehört auch immer a bissel Glück dazu. Aber ich glaube, die guten Leute werden sich durchsetzen.

Seit der letzten Tour zu Federn haben Sie ihren ersten Roman geschrieben: Der ist interessant gebaut, Sie verwenden mehrere Perspektiven, auch weibliche. Ist das der Vorteil von Prosa gegenüber Songs?

Ich glaube schon, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die in einem Song in eine andere Rolle schlüpfen können und nicht immer nur aus der eigenen Perspektive schreiben. Das ist eine Bereicherung, vielleicht denke ich darüber nach. Aber in Eiweiß singe ich ja auch aus der Perspektive des Eisbären und verlasse mein eigenes Ich.

Zum Licht

Süddeutsche Zeitung 28./29. November 2020 | Text: Michael Zirnstein

Eine Zeit lang hatte Hubert von Goisern einen Vogel. Eine freifliegende Amsel auf der Nachbarantenne, mit der er pfeifend flirtete in den Pausen während der Album-Aufnahmen in Salzburg. Es war ja auf einmal ruhig in Welt, keine Flugzeuge, wenig Autos, Corona sei Dank, da hörte der Musiker in der Stadt wieder die Natur zwitschern. So könnte man sich erklären, dass sich auf der Platte allerlei Viecher tummeln: Buckelwale, eine Gämse, ein Grönlandhai, eine Novemberpferdeherde und ein Eisbär, der in einem karibischen Klangkleid nach tierischem Eiweiß lechzt, obwohl er lieber die Fauna schützen würde: "Er wär' so gern Veganer und lutschert nur Stana..." Da Album sollte mal Tierisches Eiweiß heißen und bietet genug Albernheiten für eine Kinderlieder-Doppel-LP. Ist aber nicht geworden. Es ist nur so, dass von Goisern ("Ich bin Teilzeit-Vegetarier. Ich bin auf jeden Fall auf der Seite der Tiere. Aber bevor irgendwer verhungert, bin ich auf der Seite der Menschen.") nicht mehr alles und sich selbst so wichtig macht wie vor 30, 40 Jahren, als er die alpenländische Volksmusik weltmusikalisch zu überholen begann. "Jetzt denke ich, es muss im Ernstnehmen auch eine Freude und ein Witz drin sein."

Aber am Anfang ist erst mal Schluss mit lustig auf dem Album, das wieder beim Label Blanko Musik seines Münchner Managers und Problemlösers Hage Hein erschienen ist. Diese erste Platte seit fünf Jahren, noch im Windschatten seines erst im Frühjahr erschienen Debütromans Flüchtig, heißt nun wuchtig Zeiten und Zeichen und stößt einem mit den ersten drei Stücken heftig in den Wanst. Da rechnet der Bad Goiserer als Neu-Deutsche-Härte-Heino in Brauner Reiter grollend mit dem Nazi-Übel an sich ab: "Der Traum vom Urgermanen und vom auserwählten Volke ist gescheitert / erwache und lache ... Lass uns lieber neue Lieder singen". Oder da fragt er sich in Sünder, wie lange wir und pars pro toto "der G'scherte" in Amerika eigentlich noch so Schindluder treiben dürfen mit unseresgleichen und dem Planeten; immerhin lässt er die breite Frage "He sog amoi, wohi wer'n ma renna, am letzten Tog" 7.26 Minute mitreißend vor sich hin galoppieren – dies war ein erster und einziger Jam-Versuch vor dem Lockdown mit seinen aufgedrehten Musikern nach einer Vorlage von Nina Simone, später per Daten-Transfer ergänzt um ein paar Gitarren, Geige, Cello und Marimba.

Und eben zu aller Zeiten und Zeichen Anfang dieses Freunde ... (das Leben ist lebenswert)! Eine Minioperette mit dem Heldentenor Andreas Schager, dem Hip-Hopper Dame und einem Wort-Wasserfall von Goisern über die verratene Freundschaft zwischen Franz Lehár und dem im KZ ermordeten Librettisten Fritz Löhner-Beda, die 1934 zusammen Giuditta verfasst hatten aus dem die berühmte "Freunde!"-Zeile stammt. Schon die Entstehung dieses Album-Auftakts hat biblische Züge, wie Goisern und Schager am Palmsonntag über pandemieleere Autobahnen quer durch Österreich zur Aufnahme in einem Wald in Simmering brausten, in einer "geilen Endzeitstimmung wie in Marlen Haushofers Buch Die Wand beschrieben". Inhaltlich markiert das Stück einen Wandel. Zuvor wollte von Goisern die Musik, die größer sei als Politik und Religion, "nicht von Botschaften vergewaltigen" lassen. Mit Freunde aber wurde er zum Liedermacher-Aktivisten. Er kenne die Musik von Lehár in- und auswendig, stieß bei einer Recherche nach dem Freiwerden von dessen Urheberrechten auf dessen Texter Löhner-Beda, er las mehr, erkannte, dass hinter dem Todesjahr 1942 ein Schicksal stecken musste, und hatte Recht: Lehár, der sich wohl von den Nazis für Galas einspannen ließ und Hitler kannte, hätte für seine Freunde wie eben den jüdischen Fritz "wohl etwas zurückfordern können", tat dies aber nicht. Im detailreichen Stück reimt der von Goisern: "Doch wurde Franz, der große Meister / Plötzlich zum Hosenscheißer". Fritz fuhr mit dem sogenannten Prominententransport in Buchenwald ein. Immerhin litt Lehár unter dem Verrat, wie von Goisern aus dessen letztem Interview am Flügel sitzend heraushörte. "Es ist eine persönliche, tragische Geschichte, anhand derer man den Wahnsinn erfassen kann, darum habe ich es gemacht, nicht um dem Lehár ein auszuwischen."

Der Hörer möchte danach erst mal ausschalten. Doch für von Goisern ist der Anfang der einzig richtige Platz für das Stück und die zwei folgenden: "Egal, wo die auftauchen, da kommt immer diese dunkle Wolke. So kam es dazu, dass die Titel gleich am Anfang stehen, wo du durchmusst: durch die Dunkelheit zum Licht." Ja, es wird heller, zumindest Dunkelblau in einem herzwärmenden Liebeslied, das nach André Heller klingt, und sehr versöhnlich nach HvG.

Alles ist hier sehr unterschiedlich. Nicht weil die 17 Stücke kein temporäres Lebensgefühl vereint, sondern weil sie über Jahre, teils schon 1987, teils zur Ablenkung vom Romanschreiben skizzenhaft entstanden. Gemeinsam ist ihnen eine selbst für von Goiserns Verhältnisse überwältigende Musikalität, auch wegen großartigen Gästen wie der Münchnerin Maria Moling (Ganes) am Theremin. Oder – eine lang ersehnte Premiere für von Goisern – dem Südtiroler Ziehharmonika-Guru Herbert Pixner in der Tanzschul-Parodie Quick, Quick Slow; im nach Icecream, Icecream erinnernden Eiweiß erlaubt man sich den Luxus, dass Pixner "nur" am Saxofon den Eisbären tanzen lässt.

Jedes Tier hat seinen eigenen Trott. Etwa der Einzeller Rigidotrix Goiseri, der Huberts Namen trägt, weil dessen Schwager, der Biologe Wilhelm Foissner, ihn so taufte. "Ich bin manchmal mit ihm vor dem Mikroskop gesessen. Da ist ein Fressen und Gefressenwerden in einem Wassertropfen, gemessen daran ist die Welt friedlich", sagt der Sänger. Nach dem Tot des Schwagers revanchierte sich und widmete ihm den Wilhelm-Jodler.

Oder das einsamste Wesen der Arktis. So riet Goiserns Tochter ihrem Vater nach einem gemeinsamen Grönland-Trip, dem dort durch die kalte Schwärze wie in einem riesigen Meditationstank schwebenden Hai, der erst im Alter von 200 Jahren geschlechtsreif wird, ein Lied zu widmen. Ein Loblied der Entschleunigung, vielleicht das erstaunlichste Rollenspiel der Pop-Geschichte: "Er war der letzte seiner Art / Schon gut fünfhundert Jahr' / Es wurde Zeit, dass er paart / Das war ihm nun auch klar". Hubert von Goisern weiß solche Ruhe zu schätzen, wie sie auch aus seiner Goethe-Vertonung Glück ohne Ruh' strömt. Einerseits. Andererseits will er jetzt schon auch wieder laut werden, alles teilen, was er aus der Stille schöpfte. Gerade wäre er auf Tour, die will er sobald wie möglich nachholen. Weiter denkt er, der vor einer Woche 68. Geburtstag feierte, noch nicht: "Ich weiß nicht, ob es den Wunsch noch gibt, was Neues zu machen. Zuhören ist auch was Schönes. Man muss nicht selber musizieren." 

Hannes Heide im Gespräch mit Hubert von Goisern

STV1 12. November 2020

Hannes Heide spricht mit Hubert Achleitner alias Hubert von Goisern über sein neues Album, seinen Debütroman, Europapolitik und wie ihn das Salzkammergut geprägt und inspiriert hat ...

Album Check: Hubert Von Goisern - Zeiten & Zeichen

Südtirol1 29. September 2020

Dieser Musiker hat sich noch nie damit begnügt einfach nur Musik zu machen. Hubert von Goisern hat immer schon Musik erschaffen. Das Ergebnis seines letzten Schaffens hören wir gerade im neuen Album Zeiten & Zeichen.

Mit seinen Jodlern und Songs wie Koa Hiatamadl und Heast as net erschaffte sich Hubert von Goisern vor knapp 30 Jahren seine eigene, völlig neue musikalische Nische. Aus dem Ziachorgl-Pop von damals ist längst eine eigene Musikrichtung gewachsen - und Hubert von Goisern ist seit seinen Anfängen doch immer wieder nochmal einen Schritt voraus.

Mit Zeiten & Zeichen hat der Österreicher vor wenigen Wochen sein 15. Studioalbum veröffentlicht. Und wer den Musiker und seine Leidenschaft für musikalische Experimente und Vielfältigkeit kennt, der weiß genau, dass auch dieses Album ein Feuerwerk an Kreativität abschießt. Die Musik ist absolut neu, uneinordenbar, teilweise schwierig, dann wieder einfach nur schön und durch die Bank nie einfach nur da um da zu sein. Jeder Ton sitzt an der für ihn gedachten Stelle, jede Zeile spricht für sich und jeder Jodler klingt so, als wäre er für genau diese Songs erfunden worden.

Hubert von Goisern: "Ich suche Ausnahmezustände"

Münchner Merkur 19. September 2020 | Text: Michael Schleicher | Foto: © Oliver Blodmer

In diesen Tagen wäre seine Tournee gestartet, nach vier Jahren Pause wollte Hubert von Goisern wieder auf die Bühne. Corona hat das verhindert, vorerst. "Es ist jetzt ausgefallen, aber das heißt nicht, dass es nicht stattfindet", sagt der 67-Jährige. "Corona ist wie das Wetter. Es hat keinen Sinn, sich darüber zu echauffieren, dass es gerade nicht aufhört zu regnen."

Doch auch ohne Konzertzirkus ist im Leben des Österreichers viel geschehen. Im Frühjahr erschien sein Debütroman: Flüchtig wurde von Publikum und Kritik begeistert gelesen. Mit Zeiten & Zeichen hat Hubert von Goisern zudem gerade sein erstes Studioalbum seit fünf Jahren vorgelegt. Corona hin, Tour-Verschiebung her: Zeit für ein Gespräch.

Hubert von GoisernIm neuen Album steht, dass es Sie bereits im Herbst 2019 "vor dem Jahr 2020 gegraust" hat.

Das war ein Gefühl, das ich nicht benennen konnte. Ich habe es darauf zurückgeführt, dass ich mit Flüchtig meinen ersten Roman rausbrachte – und nicht wusste, ob ich zerrissen werde.

Was nicht geschehen ist.

Stimmt. Aber ich wusste eben nicht, wie die Reaktionen ausfallen, wenn ein Musiker zum Schriftsteller wird. Außerdem habe ich am Album gearbeitet und war unsicher, was herauskommen wird. Und wir wollten auf Tour gehen.

Sie hatten Sorge, dass es zu viel werden könnte?

Ja, dass ich den Arbeiten in ihrer Größe und Dichtheit nicht gewachsen sein könnte. Ich habe mich in den letzten vier Jahren zurückgezogen und mich in dem kreativen Alleinsein sehr wohlgefühlt.

Die Ausgangsbeschränkung während Corona war da für Sie leicht zu ertragen?

Ja. Ja, das ist der Normalzustand für mich. Plötzlich hat er für alle gegolten. (Lacht.)

Viele Menschen sagen, sie hätten in dieser Zeit bewusster gelebt. Sie auch?

Für mich war das – wie für alle anderen auch – ein wirklicher Ausnahmezustand. Mir ist das entgegengekommen, denn ich suche Zustände und Empfindungen, die neu sind, die mich an meine Grenzen bringen, sodass ich kreativ werden muss, um damit zurechtzukommen. Das war insofern ein Geschenk.

Wenn Sie bei der Arbeit am Roman eine Pause brauchten, haben Sie Zuflucht in der Musik gefunden. Klingt das neue Album deshalb so abwechslungsreich?

Ja. Eigentlich habe ich während der ersten Schreibphase nicht am Album gearbeitet. Aber ich habe mich immer wieder am Instrument gefunden und gedacht: "Ach, das ist aber lässig. Was mach' ich da eigentlich? WAS MACH' ICH DA EIGENTLICH?! Ich sollte doch schreiben!" Aber ich habe die Dinge notiert, die mir gefallen haben. So sind sehr viele musikalische Einfälle zu denen gekommen, die schon da waren. Eine Nummer, die urlange in meinem Kopf war, ist die Goethe-Vertonung Glück ohne Ruh. Die stammt von '87. Die anderen basieren auf Ideen, die über vier Jahre daherkamen. Dadurch sind in der Musik so viele verschiedene Lebensgefühle drin, die man eben im Lauf der Zeit hat.

Was wäre hinzugekommen, wenn es Corona schon gegeben hätte, während Sie an der Platte gearbeitet haben?

Das kann ich nicht sagen. Obwohl sehr viel Ernsthaftigkeit, Düsternis, auch Abgründiges drinnen ist, gerade in den ersten drei Titeln, hat das Album dennoch eine Leichtigkeit. Ich weiß nicht, ob ich diese Leichtigkeit hineingebracht hätte, wenn es in der Corona-Zeit geschrieben worden wäre.

Sie haben die ersten drei Titel erwähnt. Ich würde gern über den ersten Song, Freunde, sprechen: eine berührende Verneigung vor dem im KZ ermordeten Librettisten Fritz Löhner-Beda.

Der Tenor Andreas Schager und ich wollten was gemeinsam machen – und haben uns auf dieses Lied geeinigt. Als ich schaute, ob die Bearbeitungsrechte frei sind, bin ich auf den Namen Löhner-Beda gestoßen. Ich kenne die Musik von Franz Lehár, für den er viel geschrieben hat, in- und auswendig, habe mich aber nie ums Kleingedruckte gekümmert. Als ich gesehen habe, dass Löhner-Beda 1942 gestorben ist, war klar, dass sich dahinter ein schlimmes Schicksal verbergen muss. Ich habe sein Leben recherchiert, danach wusste ich, dass ich die Nummer nicht so machen konnte, wie ich es vorhatte. Entweder erzähle ich seine Geschichte – oder ich lass es ganz. Ich habe mich für Ersteres entschieden, aber es war eine schlimme Zeit, das zu durchdringen in all seiner Tragik und dem Wahnsinn.

Inwiefern?

Ich habe um die nationalsozialistische Zeit immer einen Bogen gemacht. Ich weiß, dass es sie gab – aber ich suche die Themen nicht, weil mich das runterzieht. Jetzt hat sich diese Geschichte vor mir auf den Boden gelegt, und ich habe sie aufgehoben und mich mit ihr beschäftigt.

Im Lied geht es um die Freundschaft zwischen Löhner-Beda und Lehár – und wie sie zerbricht. Was bedeutet Ihnen Freundschaft?

Freundschaft ist etwas ganz, ganz Wichtiges. Und das Wichtigste an ihr ist das Moment des Korrektivs. Mindestens so wichtig wie ein positives Feedback von seinen Freunden zu bekommen, ist, dass man ein Feedback bekommt, wenn man nicht auf dem richtigen Weg ist. Ohne den Anspruch zu haben, dass man erhört wird. Aber es gibt Situationen, in denen man eine Aussprache oder einen Halt nötig hat – dafür braucht man Freunde.

Stichwort: Halt geben. Müssten wir uns heute stärker füreinander einsetzen?

Ich glaube, wir müssen uns als Gesellschaft engagieren für die Schwachen und jene, denen es nicht gut geht. Ich bin fassungslos, wenn ich Berichte sehe über Leute, die zu den Tafeln gehen müssen, um Lebensmittel geschenkt zu bekommen. Es ist unglaublich, dass es auf einem reichen Kontinent wie Europa Armut gibt! Da müssen wir alle solidarisch sein, teilen, unterstützen. Nur weil wir jetzt wegen Corona zwei Monate die Produktion zurückgefahren haben, heißt das nicht, dass wir arm geworden sind. Das Geld verschimmelt doch auf irgendwelchen Islands.

So politisch wie in den ersten drei Liedern des neuen Albums waren Sie noch nie, oder?

(Denkt nach, dann zögerlich.) Ja.

Sie zögern?

Ich mag eigentlich keine Singer-Songwriter, die politische Lieder schreiben – oder auch christliche. Ich finde es wahnsinnig mühsam, wenn jemand Musik mit einer Botschaft vergewaltigt. Musik ist viel größer als Politik und auch als Religion. Aber mit zunehmendem Alter setzt man sich in zunehmendem Maße mit der Gesellschaft auseinander und merkt, dass man nicht nur Beobachter ist, sondern auch Akteur. Ich habe schon das Gefühl, dass ich auf die Dinge, die mich beschäftigen, reagiere und sie zum Klingen bringe.

Was ist dann zuerst da? Musik oder Text?

Die Musik. Sie erzählt mir die Geschichte.

Ihre bislang letzte Tour liegt vier Jahre zurück. Was gibt es Ihnen, sich immer wieder solche Auszeiten zu gönnen?

Ich mache Dinge immer zu 100 Prozent – wenn ich zum Beispiel auf Tour bin, bleibt der Rest des Lebens stehen. Ich habe keine Zeit für Freunde, fürs Skifahren oder um in die Berge zu gehen. Das ist okay – solange ich mir irgendwann die Zeit nehme, das nachzuholen. Ich schaffe es nicht, mich dünn aufs Brot zu streichen und nur ein paar Konzerte zu spielen, um zwischendurch anderes zu machen. Da bin ich ein Trennkostler. (Lacht.)

Als wir uns das letzte Mal gesprochen haben, erzählten Sie von zwei Ihrer Träume: einen Roman zu schreiben und eine Oper zu komponieren. Der Roman ist da – kommt jetzt die Oper?

Ich weiß es nicht. Als Nächstes kommt die Tour. Und wenn die vorbei ist, überlege ich mir, was ich dann mache.

Reizt Sie die Oper als Kunstform noch?

Es erschreckt mich die Arbeit, die dafür notwendig ist. Das überwältigt mich, und ich denke: Das kriege ich nicht hin. Solange ich mir das denke, werde ich mich nicht hinsetzen und damit beginnen. Dafür muss ich schon das Gefühl haben, dass es sich ausgehen wird.

Hubert von Goisern: "Wir müssen solidarischer werden"

Abendzeitung 14. September 2020 | Text: Volker Isfort

Musiker und Autor Hubert von Goisern hat nach fünf Jahren Pause mit "Zeichen & Zeiten" wieder ein Studioalbum veröffentlicht.

Herr von Goisern, wann war Ihr letztes Konzert?

Das weiß ich ganz genau: 26. Oktober 2016 - am österreichischen Nationalfeiertag.

Vermissen Sie das Publikum?

Nein. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich fiebre wahnsinnig auf die Tournee hin, die wir jetzt ins kommende Jahr verschieben mussten. Aber der Applaus ist wie eine Droge: Wenn man sie dauernd nimmt, vermisst man sie sofort, aber wenn man so wie ich immer wieder eine Zäsur hat, dann ist - nach der Abgewöhnungsphase - das Leben ohne Publikum und Konzerte auch ein sehr schönes.

Freunde, das erste Stück des Albums, in dem auch Heldentenor Andreas Schager auftritt, thematisiert das Schicksal von Nazi-Günstling Franz Lehár und seinem Librettisten Fritz Löhner-Beda, der in Auschwitz starb. Das ist mal ein Auftakt für ein Album!

Ja, das Stück fällt über einen her wie ein Unwetter. Ich wollte die Nummer so, wie sie nun ist, musikalisch umsetzen, mit Rap und Operette, und hatte schon eine Textidee: dass wir in einer unglaublich opulenten Welt leben, und alles haben für ein schönes und lebenswertes Leben. Und trotzdem wird die ganze Zeit gesudert. Und dann musste ich schauen, wie das mit den Rechten für den Refrain ist. Ich bin dann beim Namen des Librettisten, den ich gar nicht kannte, auf das Sterbedatum 1942 gestoßen. Da läuten natürlich schon die Glocken. Bald wusste ich auch, dass ich das Lied nicht mehr so machen konnte wie ursprünglich gedacht. Ich musste Löhner-Bedas Geschichte erzählen.

Damit ist noch nicht geklärt, wie der Rapper Dame ins Spiel kam.

Mein Manager Hage meinte, als er mich gehört hat, ich solle einen Rap-Kurs nehmen. Ich finde das nach wie vor eine vermessene Ansage! Ich habe dann in der Zeitung einen Artikel über einen Salzburger Rapper gelesen und ihn kontaktiert. Er kam vorbei und hat gesagt "Passt eh. So wie Du rappst, hat man das vor zwanzig Jahren gemacht." Es interessiert mich aber nicht, so fast militärisch-zackig immer auf dem Beat drauf zu sein. Ich breite lieber meine Flügel aus und fliege dazwischen. Den Groove, den mein Gesang hat, finde ich nicht schlechter, er ist nur anders. Und so rappen wir nun halt beide auf dem Song.

Es gibt Novemberpferde, Eisbären, Grönlandhaie und andere Tiere auf Ihrem Album. Steckt eine Art Arche-Gedanke dahinter?

Nein, das ist einfach so passiert. Aber ich lebe am Puls der Natur. Ich teile Jane Goodalls Ansicht, die immer sagt, die Trennlinie zwischen Mensch und Tier ist keine scharfe, sondern eine sehr verwischte, die sich zudem immer ändert. Und wenn man selber auch Haustiere hat und viele Tiere in der Natur beobachtet, dann spürt man schon sehr viele Gemeinsamkeiten.

Sie schreiben die Texte immer erst, wenn die Musik schon da ist, warum?

Die Musik kommt einfach daher, die erzählt mir auch die Geschichten, die in diesen Melodien drinnen sind. Es ist eigentlich leichter, Texte zu vertonen, als Musik zu vertexten. Aber mein Weg ist halt anders.

Das Album hat ein gewaltiges Spektrum an verschiedenen Musikstilen.

Die Vielfalt trage ich eigentlich immer in mir. Und dann entscheide ich halt, welchen Teil des Feldes ich bestellen will. Das hat sich dieses Mal bedingt durch das Schreiben des Romans. Anfangs habe ich bei Schreibblockaden immer wieder zu Musikinstrumenten gegriffen, dann kamen musikalische Ideen, die ich aber nicht vertiefen konnte, weil ich den Roman fertigschreiben wollte. Ich habe dann die Idee festgehalten, das Instrument weggesperrt und bin wieder zurück an den Schreibtisch. Auf diese Ideen konnte ich dann zurückgreifen, als ich den Roman beendet hatte.

Obwohl das Album so viele Spektren abdeckt, kann ich keinen Wiesnhit 2021 darauf erkennen. Eine bewusste Entscheidung?

Ich habe gar nichts dagegen, wenn meine Lieder auf der Wiesn gespielt werden. Ich glaube auch nicht, dass die Botschaft dadurch verdreht oder missbraucht wird. Wenn ich singe, dass man den Weizen gefälligst essen und nicht zu Treibstoff verarbeiten soll, dann ist es doch genau das, was auf der Wiesn geschieht: Der Weizen wird getrunken.

Es gibt neben den schweren, politischen Songs auch viele kauzige Nummern auf dem Album.

Ich kann auch lustig sein, auch wenn das manche Menschen nicht wahrhaben wollen. Das ist so ein Running Gag in der Familie: Der Papa glaubt immer, er sei so lustig. Ich finde es ganz, ganz wichtig, dass man sich auch den Humor bewahrt.

Kaum eine Bevölkerungsgruppe ist durch Corona so in ihrer Arbeit behindert wie die freischaffenden Künstler. Haben Sie gespürt, dass die Laune unter Ihren Kollegen schlechter wird und manche in Verschwörungstheorien abdriften?

Es sind nicht unbedingt die gebeutelten Künstler, die in Verschwörungstheorien abdriften. Mir fällt da jetzt eigentlich nur einer ein, und der ist so erfolgreich, dass der Lockdown für ihn keine Krise bedeuten kann. Es ist nicht nur für die Künstler hart, sondern für die ganze Veranstaltungsbranche, die Techniker und was so alles dranhängt. Es ist eine unheimlich zähe Zeit und es wird sicherlich einiges an Verlusten geben.

Hubert von Goisern im Corsogespräch

Corso 12. September 2020

"Wenn wir nicht die Weichen stellen, tut es das Schicksal"

Tennengauer Nachrichten 3. September 2020 | Text: Matthias Petry | Foto: © SW/Petry

Anlässlich seines neuen Albums spricht Hubert von Goisern über seinen Umgang mit der Corona-Zeit. Was können wir Positives daraus mitnehmen, wie wichtig ist Kultur gerade jetzt und wie erlebt er diese Zeit persönlich?

Am 28. August veröffentlichte "der Goiserer" sein neuestes Album – ein 75-minütiges Opus, stilistisch vielseitig wie selten zuvor. Anfang August vergab er in Hallein den von ihm gestifteten Hubert-von-Goisern-Kulturpreis – aufgrund der besonderen Umstände an doppelt so viele Künstler wie bisher.

Hubert von GoisernGrade für die Kulturschaffenden sind es harte Zeiten. Wie wichtig ist da ein Zeichen wie dieser Kulturpreis?

Ich habe mich für jeden Preisträger mitgefreut. Diese Buntheit, die man an diesem Abend erleben konnte, ist etwas Inspirierendes, und noch viel mehr, wenn man sich die 171 Einreichungen durchgelesen hat. Da siehst du, wie groß das Pouvoir an kreativen Leuten in dieser Welt ist.

In Zeiten wie diesen, was kann Kultur da bringen?

Wir sind mehr auf uns selbst zurückgeworfen, und da steckt auch eine Chance drinnen, ein paar Dinge zu hinterfragen. Wir leben in einer Welt, die sehr spe zialisiert geworden ist. Auf der einen Seite gibt es die Leute, die professionell auf der Bühne stehen, und es gibt professionelle Zuhörer. Das finde ich eigentlich schade, das muss durchlässiger werden. Es wäre schön, wenn die Menschen selbst wieder mehr singen und musizieren. Dasselbe gilt für den Sport. Da sind wir professionelle Zuschauer geworden, aber bewegen tut sich nur noch ein ganz kleiner Teil. Das lehrt uns jetzt diese Zeit, wir haben die Möglichkeit, uns zu hinterfragen, und wenn das kulturelle Angebot nicht da ist, selbst die Stimme erklingen zu lassen.

Wie haben Sie den Corona-Lockdown erlebt, mitten in der heißen Phase der Album-Produktion?

Ich war in Arbeitsquarantäne mit meinem Produzenten, Toningenieur und Co-Produzenten Wolfgang Spannberger. Wir hatten alles im Kasten, es gab nur ganz wenige Aufnahmen, um die wir kämpfen mussten: Christoph Sietzen (Percussionist, Anm.) haben wir in einem riesengroßen Rittersaal im Schloss Steyregg aufgenommen, weil drei Leute auf 150 m2, da kann nichts passieren. Und den Tenor Andreas Schager haben wir in einem Wald am Semmering aufgenommen. Aber diesen Teil der Produktion hätten wir sowieso zu zweit gemacht. Und es war auch irgendwie schön, ungestört arbeiten zu können. Normalerweise schneit es immer mal wen rein ins Studio, hallo, wie geht's, wollte nur mal reinhören usw. Das war jetzt alles nicht, und das war auch schön.

Die Corona-Maßnahmen der Regierung wurden heiß diskutiert. Wie haben Sie das empfunden, wurde das gut gehandhabt?

Ich finde schon. Vielleicht sind wir ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen, aber lieber so als zu wenig. Man hat ja gesehen, was passiert, wenn das schlampig gehandhabt wird. Und ich denke mir, unsere Gesellschaft ist so reich, wir haben so viele Reserven. Die sind jetzt nicht gut verteilt, keine Frage, aber sie sind da, und diese Umverteilung muss einfach stattfinden. Wir können uns das leisten, dass wir einmal zwei Monate nichts produzieren. Wo samma denn?

Hat sie das überrascht, wie die Gesellschaft reagiert hat? Anfangs der Zusammenhalt, jetzt Verschwörungstheorien, Maskendiskussionen etc.?

Na ja, die Verschwörungstheorien gab's ja schon ganz am Anfang. In meinem Bekanntenkreis waren auch ein paar dabei, ich hab die dann irgendwann geblockt, weil mir das einfach auf den Nerv ging. Es ist ja nichts, was einen nur selbst betrifft, wenn man schlampigen Umgang hat, sondern man gefährdet ja auch andere. Wir müssen jetzt einfach lernen, uns die eigenen Grenzen zu setzen. Nicht einfach nur an die Regeln halten, sondern sagen, was finde ich gescheit, was ist für mich notwendig und wo ist ein Risiko dabei, aber das gehe ich jetzt ein, weil das Leben muss trotzdem weitergehen. Wir können uns ja nicht in eine Zelle einsperren und da warten, bis alles vorbei ist.

Kann man aus so einer Krise auch etwas Positives mitnehmen? Gerade in der Kultur, wo es speziell schwierig ist?

Ja, wir müssen, es liegt an uns, etwas Positives mitzunehmen. Künstler zu sein und für die Musik zu leben, das ist wie ein Glaubensbekenntnis, a bissl wie eine Religion. Du lebst dann für die Musik und nicht von der Musik. Wenn sich beides ausgeht, super. Aber es gab auch eine Zeit, als ich von meiner Kunst nicht leben konnte, da hab ich halt den Fremdenführer gemacht, Ski verkauft etc. Ich kann nicht sagen, ich will, dass die Gesellschaft oder die Zeit, in der ich lebe, meinen Traum ermöglicht. Das muss ich schon selbst machen.

Es gab ja die Hoffnung, dass auch die Gesellschaft an sich etwas Positives aus der Krise mitnimmt. Teilen Sie diese Hoffnung oder ist das Träumerei?

(lacht) Ich habe diese Hoffnung. Wie viel davon Träumerei ist, weiß ich nicht. Wir müssen uns da einfach zusammenschließen und diese Forderungen gemeinsam stellen. Weil ich glaube, die Mehrheit der Leute weiß, wo es langgeht. Zum Beispiel, dass Kerosin nicht besteuert wird, wo samma denn? Das Fliegen muss den Preis haben, den es haben muss. Genauso die Schifffahrt – Schiffsdiesel ist auch steuerfrei. Das kann es alles nicht mehr sein. Es kann auch nicht sein, dass Milliarden und Billionen auf irgend welchen Inseln gebunkert werden und vor sich hin schimmeln, und wenn jemand produktiv ist, dann kann er davon nicht leben. Und wenn er Geld anlegt, schon. Da muss was passieren. Wenn wir die Weichen selbst nicht stellen, dann wird das Schicksal diese Weichen stellen.

Sie greifen in ihren Liedern oft gesellschaftliche Themen auf. Sprudeln bei einem kreativen Menschen in so einer Zeit nicht automatisch die Ideen?

Nein, bei mir nicht (lacht). Bei manchen vielleicht schon, das kann ich mir schon vorstellen. Aber ich habe jetzt grade ein Album fertig produziert und freue mich auf die Umsetzung, auch wenn's noch ein bisschen dauern wird, bis wir auf Tour gehen können. Ich habe jetzt zwei Jahre extreme Produktivität hinter mir und freue mich, jetzt wieder Sachen in mich aufzunehmen und nicht selbst produzieren zu müssen.

"Zeiten & Zeichen" – Hubert von Goisern deutet sie auf seinem neuen Album!

münchen.tv 15. September 2020

Goiserns Wundertüte

Landsberger Tagblatt 4. September 2020

Hubert von Goisern: Zeiten & Zeichen

Was für ein unfassbar trauriger Beginn für ein Album aus dem weitläufigen Pop-Universum! Hubert von Goisern erzählt im trippigen Eröffnungssong Freunde... die Geschichte von Fritz Löhner-Beda, der für den Operettenkönig Franz Lehàr die Texte schrieb – und als Jude von den Nazis in Auschwitz erschlagen wurde. Nach diesem harten Stoff öffnet sich eine wahre Goisern-Wundertüte. Der hat in die 74 Minuten einen Streifzug durch sein bisheriges, abenteuerfreudiges Schaffen hineingepackt. Er hüpft von Stil zu Stil, von Landler zu schwerem Hardrock, von Balladeskem zu Elektrobeats, von Mariachi-Klängen zum Jodler, zur Polka – und das ist jetzt nur ein grober Überblick. Offenbar hat Hubert von Goisern die Corona-Zeit genutzt, um mal alles rauszulassen, was in ihm drin steckt – und das ist nicht nur Melancholie und Ernsthaftigkeit, sondern auch viel Spaß. So vielfältig hat Goisern noch nie musiziert.

"Die Zeichen stehen auf Sturm!"

BR kulturWelt 28. August 2020 | Text: Barbara Knopf | Foto: © Stefan Wascher

Der österreichische Liedermacher und Sänger Hubert von Goisern hat selten Risiken gescheut. Erst rockte er mit den Alpinkatzen und brachte das Jodeln zurück in den Pop, jetzt hat er ein neues Album am Start: über das (Über-)Leben in Krisenzeiten.

Hubert von Goisern, benannt nach seinem Heimatort Bad Goisern am Hallstätter See, galt lange Zeit als Markenzeichen einer neuen Volksmusik, des krachenden, wuchtigen Alpenrocks. Aber da ist er nicht stehen geblieben, weder musikalisch noch inhaltlich. Er tourte durch Afrika, reiste nach Grönland und Tibet, traf den Dalai Lama und die Forscherin Jane Goodall oder brach auf zur Tour quer durch das östliche Europa auf der Donau bis zum Schwarzen Meer. Unter seinem bürgerlichen Namen Hubert Achleitner hat einen Roman geschrieben, der vor einigen Monaten erschienen ist. Flüchtig heißt er, und so flüchtig Hubert von Goisern erkundend durch die Welt streift, scheint er doch so etwas zu sein wie ein verwurzelter Weltbürger. Barbara Knopf hat mit Hubert von Goisern über sein neues Album Zeiten und Zeichen gesprochen.

Zeiten und Zeichen ist der Titel Ihres neuen Albums. Wie deuten Sie denn die Zeichen in diesen Zeiten?

Naja, sie stehen auf Sturm. Wir sind an einem Wendepunkt angelangt, denke ich. Die alte Ordnung zerbröselt und funktioniert eigentlich nicht mehr so richtig, und eine neue gibt es noch nicht. Wenn, wie in Amerika, nur mehr 50 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gehen und von denen wählt nicht einmal die Hälfte einen Präsidenten, dann hat die Demokratie eine Achillesferse. Wenn sich, überspitzt ausgedrückt, die Narren zusammenschließen – sagen wir mal 25 Prozent – und die restlichen 75 Prozent sind sich nicht einig, weil sie Individualisten sind, dann werden uns diese 25 Prozent beherrschen. Und das ist einfach nicht gut. Ich glaube, wir müssen drüber nachdenken, wie wir zu einer Ordnung kommen, die wirklich allen gerecht ist.

Der Narr in Form des amerikanischen Präsidenten Donald Trump kommt auch in dem Song Sünder vor. Da nennen Sie ihn den "G'scherten". Gleichzeitig geht es um die Fridays for Future-Bewegung mit dem Satz "Die Kinder zeigen schon auf die Sünder". Sie sehen uns und unsere Gesellschaft als Sünder. Das ist ja schon eine sehr biblische Etikettierung?

Ja, das ist auch ein Gospel. Es ist ein altes Gospellied Sinnerman – es gibt eine ganz tolle Interpretation von Nina Simone. Diese Interpretation stand auch Pate für meine Umsetzung. Darum kommt dieses christliche Himmel-und-Hölle-Bild vor. Ja, es hat etwas Archaisches, auch die Bilder, die da beschworen werden von brennenden Wäldern und Landschaften und Untergang und Wahnsinn. Ich glaube, dass wir viel Mist gebaut haben in den letzten hundert Jahren. Es hat eine Ausbeutung dieser Erde stattgefunden, die uns letztendlich auch Wohlstand beschert hat. Aber sie hat auf dem Rücken von vielen Menschen und nicht nur Menschen, auch Kreaturen und Landschaften und der Natur, stattgefunden. Es muss jetzt ein Umdenken geben!

Man hört, dass Sie Ihr Album auch als eine Botschaft begreifen.

Naja, da gibt es diesen Spruch, ich glaube, er ist von Goethe: "Man merkt die Absicht und ist verstimmt." Wenn ich mich auf die Bühne stelle oder etwas veröffentliche, dann möchte ich schon, dass es nicht missbraucht werden kann. Da muss ich eindeutig meine Lebenshaltung darin widergespiegelt sehen. Das ist mein einziger Anspruch, dass ich nicht etwas sage und etwas Anderes tue.

Sie haben vorhin die Liedzeile von den "brennenden Wäldern" in dem Song Sünder erwähnt. Ich habe in der Pressemitteilung gelesen, dass Songs auch im Wald aufgenommen wurden. Stimmt das?

Ja, eine Passage oder zwei Passagen, und zwar von dem Tenor Andreas Schager in dem Lied Freunde. Das war während der Hoch-Zeit des Corona-Lockdowns. Den haben wir dann im Wald aufgenommen.

Freunde ist ein sehr ungewöhnlicher Song für ein Popalbum, finde ich. Mit dem Tenor Andreas Schager und auch mit dem österreichischen Rapper DAME. Spricht man den eigentlich englisch aus?

(Lacht) Ich weiß es nicht! Ich sag immer Mike zu ihm, weil er Michael Zöttl heißt. Immer nehme ich mir vor ihn zu fragen ...

Der Song ist jedenfalls ungewöhnlich. Es ist die Geschichte des Operettenkomponisten und Nazi-Günstlings Franz Lehàr, der seinen jüdischen Librettisten Fritz Löhner-Beda nicht vor der Deportation und damit nicht vor dem Tod gerettet hat. Warum wollten Sie diese Geschichte erzählen?

Ich wollte diese Geschichte nicht erzählen. Die Geschichte kam zu mir, und ich wollte sie nicht verschweigen. Mein ursprünglicher Gedanke war, das Lied so zu machen, wie es jetzt ist – nur mit einem anderen Inhalt. Aber eben mit diesem Groove und dem Refrain "Freunde, das Leben ist lebenswert". Weil ich wirklich finde: Corona hin oder her oder was sonst alles an Katastrophen passiert und der Menschheit immer widerfahren wird – das Leben ist lebenswert! So einen positiven Song wollte ich machen. Und dann habe ich gesehen, wer das Libretto geschrieben hat und habe angefangen mich einzulesen. Und hab' gemerkt, oje, oje, oje, das kann ich nicht mehr machen, nachdem ich weiß, was da passiert ist. Ich habe überlegt, ob ich es überhaupt machen soll, und dann doch Mut gefasst, okay, erzähl diese Geschichte. Denn sie steht ja stellvertretend für unglaubliche Abgründe der Menschheit, die wir nach wie vor in uns tragen. Nur weil wir nicht darüber reden oder weil wir diese Geschichten nicht erzählen, gehen sie nicht weg. Wir tragen das in uns.

Das Album hat eine sehr deutliche politische Haltung, aber man muss auch sagen, es sind ganz viele andere Facetten drauf. Es gibt zum Beispiel den Song Eiweiß, ein lustiges oder fast blödelndes Lied über Eisbären, in dem sozusagen die Polarstimmung auf mexikanische Mariachi-Trompeten trifft. Wie passt das in so ein Album?

Nun ja, das ist ein Bild, das im Grunde genommen mit dem Klimawandel zu tun hat. Die Karibik wandert immer weiter nach Norden, und der Eisbär, der einfach ein anderes Milieu braucht, um überleben zu können, gerät immer mehr unter Bedrängnis und findet nicht das, was es ihm möglich macht, weiterzuleben. Ich habe großen Respekt vor jedem Lebewesen, das außerhalb der Zivilisation oder eines Käfigs überlebt. Und ich finde es einfach schön, dass es das noch gibt. Und wir sollten uns wirklich bemühen, dass das erhalten bleibt, dass nicht nur der Mensch erhaltenswert ist.

Es gibt auch noch einen Themenkomplex, die Fantasie, die Poesie und natürlich auch die Liebe. Darauf verzichten Sie nicht?

Nein, nein, möchte ich auch nicht. Und rate ich auch niemanden.

Zum Beispiel dieses Lied Dunkelrot und Dunkelblau: Wenn ich mich richtig erinnere, ist es wie eine Spiegelung: es geht vom Ich zum Du, aber der Text ist ganz ähnlich.

Ja, das stimmt. Das ist wie Yin und Yang, wie die dunkle und helle Seite des Mondes oder auch der Liebe. Das eine schließt ja das andere nicht aus. Der Text für Dunkelrot war ursprünglich gedacht für die Musik zu Dunkelblau. Dann kam ein Hinweis meiner Frau, die sich sonst nie einmischt, nie etwas kommentiert! Sie hat gesagt: "Schade, so ein schöner Text und so eine düstere oder dunkle Melodie". Dieser Text hätte eine andere Melodie verdient. Und weil sie das eben in all den Jahren nie gemacht hat, hat mir das keine Ruhe gelassen, und ich habe mich damit auseinandergesetzt. Ich habe dann für den Text eine neue Melodie geschrieben. So kam Dunkelrot heraus. Und dann war Dunkelblau wieder ohne Text, und ich hab' mir dann gedacht, jetzt dreh ich das einfach: Die blaue Seite stelle ich der warmen gegenüber. Und so sind diese Zwillinge entstanden.