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FLÜCHTIG

Erster Roman, neues Album und Hubert von Goisern sagt: "Aufhören? Das kann ich mir schon vorstellen"

Salzburger Nachrichten 23. Mai 2020 | Text: Bernhard Flieher | Foto: © Stefan Wascher

Erster Roman. Neues Album. Und Corona.
Hubert von Goisern schwankt zwischen lässiger Freiheit und Ärger über die Politik des Landes.

Hubert von GoisernDrei Jahre hat Hubert von Goisern nichts von sich hören lassen. Also: ein Rückkehrinterview in seinem Studio, wegen der Coronakrise gleich in doppelter Hinsicht. Und dann wurde es auch ein Gespräch über die Möglichkeit des Aufhörens.

Politisch sympathisieren Sie mit den Grünen. Wie beurteilen Sie die Performance der Regierung?

Ich bin begeistert, dass Andrea Mayer Kulturstaatssekretärin ist, und schau lieber nach vorn. Leicht hat es jetzt eh niemand. Das galt auch für Ulrike Lunacek.

Waren Sie enttäuscht?

Man braucht auf dem Posten der Kulturstaatssekretärin sicher kein Knallbonbon. Aber es war kein Engagement zu spüren. Es war wie bei einem Musiker, der ein Konzert nur runterspielt. Das reicht nicht. Lunacek entwickelte keinen Kampfgeist.

Liegt das Problem nur an der Person oder reicht es tiefer?

In dieser Krise war vielleicht nicht mehr möglich, als zu schauen, dass man überlebt und wenige krank werden. Dazu leisteten auch wir Künstler unseren Beitrag. Mit der Öffnung wurde aber klar, dass wir kein Sprachrohr haben. Hoteliers, Gastwirte, sogar Badewascheln - für die alle gibt es welche, die sich reinhauen, damit alles zu brummen beginnt.

Warum ist das bei der Kunst nicht so?

Es gibt kein Kulturministerium - und zwar schon so lang, dass man sich an den letzten Minister gar nicht mehr erinnern kann. Eine Kulturnation - und ich zweifele nicht daran, dass wir das sind - braucht so ein Ministerium. Kunst und Kultur können nicht irgendwo als Anhängsel angesiedelt sein.

Wie ist das passiert?

Dass Kultur in der Politik so eine Nebensache wurde?

Ja.

Dass unter einer schwarz-blauen Regierung die Kultur zur Nebensache verkommt, ist kein Wunder. Kultur und Künstler sind da Feindbild - und umgekehrt auch. Mit der neuen Konstellation hätte ich mir das anders gewünscht.

Wie haben Sie persönlich die vergangenen Wochen erlebt?

Ich hatte das Glück, so gut wie alles fürs neue Album aufgenommen zu haben vor dem Lockdown. Ein paar Musiker schafften es, in letzter Minute noch über die Grenze nach Hause zu kommen.

Ein Album muss aber auch gemischt und abgestimmt werden.

Dafür war die Situation perfekt. Ich war mit Tonmeister Wolfgang Spannberger in Klausur. Niemand störte. Keiner hatte das Gefühl, etwas anderes erledigen zu müssen. Alles stand, nur im Studio hat es gebrummt.

Das Album wird Zeiten & Zeichen heißen. Wann soll es erscheinen?

Ohne Corona hätte das Ende Juni sein sollen. Jetzt verschiebt sich alles. Wir werden auch die Herbsttour im Frühjahr nachholen. Daher kann es sein, dass das Album erst im September herauskommt. Wir werden aber zwei, drei Nummern herauspicken und über den Sommer veröffentlichen.

Sie haben sich drei Jahre nicht anschauen lassen. Nun kommt vor dem Album Ihr zweites Buch nach Stromlinien. Warum wurde es ein Roman?

Der Gedanke keimte während der Arbeit an Stromlinien, das ja das Logbuch der Linz-Donau-Tour war. Da war ich immer der Wahrheit verpflichtet, musste allen gerecht werden. Das hat mich auch zerrissen, wenn du nicht schreiben kannst, dass einer ein Trottel ist. Ich wollte schreiben, was ich fühlte. Ich schwor, wenn ich je wieder ein Buch schreibe, wird's ein Roman.

Und das war dann leichter?

Nun, ich begann - und eine Woche später dachte ich, wie schön es wäre, ein Sachbuch zu schreiben, bei dem man sich an Fakten anhalten kann. Angefangen habe ich mit dem Buch ja irgendwie schon 2003. Aus diesem Jahr fand ich eine Notiz, auf der steht: "Eine Geschichte schreiben, worüber? Über eine Frau, die aus der Haustür geht und nicht mehr zurückkommt."

Warum eine Frau?

Das ist die Umkehrung des Üblichen. Normalerweise sagt man, der Mann geht, kauft Tschick und kommt nicht mehr. Es war auch wichtig, das aus Sicht einer Frau zu schreiben, denn wenn ich aus Sicht eines Mannes schreibe, dann wäre das immer nur ich. Die Sicht der Frau macht es mir leichter, aus meiner Haut zu schlüpfen.

Wie ist das Buchschreiben im Vergleich zur Musik?

Es ist einsam. In der Musik kann man es auch allein machen, aber dennoch geht es um Strukturen, bei denen ich andere einbinde. Ich habe während des Schreibens auch niemanden etwas lesen lassen.

Der Roman heißt flüchtig. Welche Bedeutung hat denn für Sie Flüchtigkeit?

Es gibt ja nichts Flüchtigeres als die Musik, als einen Ton. Erst im Zusammenhang einer Melodie wird dieser flüchtige Moment bedeutend. Eine Melodie funktioniert ja nur, weil man sich erinnern kann, welche Töne davor waren, sodass sich dadurch ein Weg ergibt. Dass Musik macht, was sie macht, dass sie berühren kann, passiert nur, weil dieser flüchtige Jetztmoment nicht allein dasteht, weil das Vergangene mitschwingt und eine Zukunft erwarten lässt. Und auch das Leben ist voll dieser Momente. Vielleicht hat diesbezüglich Corona ja was ausgelöst.

Was sollte das auslösen?

Ich hoffe doch, dass sich die Menschen in so einer Situation der Flüchtigkeit unseres Daseins bewusst werden.

Da spricht aber Zweifel mit, dass Corona gar nichts verändern wird.

Es ist wohl besser, man zweifelt an der Gesellschaft, als dass man ihr blind vertraut. Die Hoffnung hab ich schon, dass sich etwas verbessert. Es wird sicher nicht so leicht sein, weiterzutun wie vorher.

Auch jene Songs des Albums, die Sie mir bisher vorspielten, machen den Eindruck, dass Sie nicht einfach weitertun wie bisher. Da kommt eine ganze Menge verschiedener Stile daher.

Viele dieser Ideen entstanden in den letzten drei, vier Jahren - die meisten aber 2018 während des Schreibens am Roman. Wenn mir nichts einfiel, nahm ich ein Instrument, ohne Intention, und hab manche Sachen aufgeschrieben oder aufgenommen. In einem halben Jahr kamen da zwanzig Ideen zusammen. Mit den älteren waren's vierzig.

Klingt, als wäre das für Sie ein ungewöhnlicher Weg zu einem Album.

Meist setze ich mich hin und fang bewusst an zu komponieren. Ich habe früher auch Ideen nicht so konsequent aufgezeichnet und ausgearbeitet. Es war dieses Mal alles viel akribischer. Zum ersten Mal habe ich auch nicht darüber nachgedacht, ob oder wie man das live auf einer Bühne spielen kann. Es wird spannend, aber dafür haben wir jetzt ja mehr Zeit zu proben. Es gab früh Leute, die sagten: Das kannst du nicht machen, das ist ja alles Kraut und Rüben. Aber ich habe einst schon bei Inexil etwaige Erwartungshaltungen gebrochen. Ich bin 67, wann sollte ich es denn tun, wenn nicht jetzt?

Gab es in der Pause die Überlegung, es ganz zu lassen?

Ja, das war das. Es war klar, dass ich das Buch schreiben wollte, sonst war nichts klar.

Dann ergab sich das Album also, weil Sie während des Schreibens Musikideen hatten.

Es ist tatsächlich fast alles von selbst entstanden. Und wenn das jetzt fertig ist, kann ich mir vorstellen aufzuhören.

Das haben Sie mir in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren schon öfter gesagt.

Ja, aber es ist beruhigend, dass man so denken kann.

Sie sind nicht mehr Getriebener Ihres Tuns.

So sehe ich das. Es hängt freilich auch mit dem Erfolg zusammen, der mir beschieden war. Das lässt die Freiheit wachsen. Man sieht das bei Skifahrern, denen es schwerfällt aufzuhören, wenn es schlecht läuft, weil sie noch einmal gewinnen möchten.

"Aufhören" hieße bei Ihnen halt, keine Alben, keine Tour. Oder greifen Sie dann nie mehr ein Instrument an?

Vorstellen kann ich mir das schon. Gerade jetzt. Ich bin übersättigt und durchdrungen von Musik. Da freue ich mich, wenn das weg ist und ich wieder mit einem anderen Mind in die Welt schauen kann.

Das Album wird bald fertig. Dann könnte ein kulturell recht leerer Sommer bevorstehen.

Das geht mir alles überhaupt nicht ab.

Nichts, das Ihnen fehlen wird?

Nein. Da ist so viel da in dieser Stadt. Da muss nicht unbedingt was dazugegeben werden, um es schön zu finden. Der Konsumwahn, den wir anprangern, der betrifft auch Kultur und Sport. Ich bin froh, dass ich nicht im Kalender schauen muss, wann ein Champions-League-Spiel ist oder eine Oper. Ich fühle mich freier als sonst - und begegne vielen, denen es genauso geht.

Was sollen wir mitnehmen aus dieser seltsamen Zeit?

Eine Erkenntnis ist und bleibt: Small is beautiful. Wir konnten feststellen, dass man nicht dauernd eine Hose kaufen muss und ein T-Shirt und plötzlich fliegen keine Flugzeuge und das Leben geht doch weiter. Es ist bestimmt für sehr viele Leute zach und wird es auch noch bleiben - aber die Welt ist nicht zusammengebrochen, nur weil wir einmal ein, zwei Monate nicht produktiv waren und nicht einkaufen gingen. Und jetzt dürfen wir den Hechlern halt nicht wieder nachrennen, die uns sagen, wie wichtig es sei, zu konsumieren.

Aber es gibt doch auch viele Sorgen und Nöte.

Die will ich nicht kleinreden. Die Politik hat sich jetzt darum zu kümmern, dass man das lindert. Und sie hat auch die Möglichkeit. Zum Beispiel fordere ich, dass endlich eine Transaktionssteuer beschlossen wird, denn Corona wird noch sehr viel kosten. Es liegt genug Geld auf Inseln und wird von Riesenkonzernen an der Steuer vorbeigeschleust. Und die Politik schaut zu, weil sie fürchtet, dass Amazon und Google und alle anderen dann drohen, woanders hinzugehen. Sollen sie doch!

Hubert von Goisern legt seinen ersten Roman vor

Merkur.de 25. Mai 2020 | Text: Michael Schleicher

Hier ist jeder auf der Flucht. Maria natürlich, die alles hinschmeißt, um wortlos aus ihrem Alltag und ihrer bleiernen Ehe mit Herwig zu verschwinden. Er, den seine Bekannten nur "Wig" nennen, haut zu diesem Zeitpunkt längst schon regelmäßig ab in Noras Bett. Die wiederum entzieht sich ihrem Geliebten mitunter geschickt, indem sie mit ihrem offiziellen Freund zusammenzieht. Dann ist da noch Lisa, die eh ständig unterwegs durch Europa ist – auf der Suche nach einem guten Leben, nach Erfüllung. Lisa erzählt diese Geschichte, die Hubert Achleitner in Flüchtig aufgeschrieben hat.

Der Roman, der heute in die Buchläden kommt, ist das literarische Debüt des Österreichers. Als Musiker nennt sich der Künstler nach jenem Ort, an dem er 1952 geboren wurde: Hubert von Goisern, der einst den sogenannten Alpenrock erfunden hat, ist längst einer der wichtigsten, kreativsten Vertreter der "Neuen Volksmusik" – obendrein ein Klangforscher und Grenzgänger. Das macht sein Schaffen so schillernd, spannend, vielseitig. Knapp zehn Jahre ist es her, da erzählte er im Gespräch mit unserer Zeitung von seiner Sehnsucht, eines Tages einen Roman zu schreiben: "Es muss Träume und Wünsche geben", sagte er. "Wunschlos zu sein, geht für den Augenblick. Aber auf Dauer ist Wunschlosigkeit lebensfeindlich."

In der Rückschau wirkt es, als habe er bereits damals ein Leitmotiv von Flüchtig formuliert. Denn egal, ob Haupt- oder Nebenfigur – sie alle sind getrieben von ihren Wünschen, den Träumen, die sie für ihr Leben haben. Und dabei ist es vollkommen wurscht, ob die nun profan oder hehr sind.

So wie der Musiker Goisern keine (Genre-)Grenzen kennt, so schickt auch der Autor Achleitner seine Protagonisten quer durch Europa bis nach Griechenland: Flüchtig funktioniert tatsächlich wie ein Roadmovie, ohne jedoch in den Klischees vom Unterwegssein festzustecken. Achleitner erzählt zügig und unterhaltsam, sein Stil ist angenehm schnörkellos. Zwar tendiert er dazu, manch hingetupfte Andeutung im Fortgang doch noch zu erläutern (etwa den Vornamen seiner Hauptfigur, die auf Eva Maria Magdalena getauft ist). Das mag aber auch daran liegen, dass der Debütant unsicher ob der Wirkung seiner Sätze ist. Dabei sind seine Bilder unangestrengt, schön und mitunter von herrlich lakonischer Prägnanz: "Es war Vögeln so, wie es sich der Papst vorstellte, lustloser Befruchtungsvollzug", bringt er etwa den faden Sex von Maria und Wig auf den Punkt, der sich einschlich, nachdem das Paar sein erstes Kind in der Schwangerschaft verloren hatte. Jenes Unglück markiert den Auftakt der Entfremdung in einer einst zarten, faszinierenden Liebe.

Es ist Marias Begleiterin und Freundin Lisa, die davon berichtet. Sie gebe die "Dinge so wieder, wie sie geschehen oder, da, wo ich nicht dabei war, wie sie mir berichtet worden sind", verspricht sie gleich auf der ersten Seite. Dennoch scheint Achleitner auch ihr nicht völlig zu trauen. Als Lisa, trampend am Straßenrand, bei Maria in den Wagen steigt, wechselt er sicherheitshalber in die auktoriale Perspektive.

Fortan folgen wir den Frauen bei ihren herrlich geschilderten Zufallsbegegnungen: "Die schönsten Flüsse sind doch jene, die mäandern, nicht die regulierten Kanäle", wie Lisa richtig bemerkt. Und wir erleben, wie Wig ("ein geborener Optimist") zuhause in Österreich zwischen Schuldbewusstsein, Sorgen und neu gewonnener Freiheit das Verschwinden seiner Frau ergründen will. Achleitner gelingt es dabei, alle Figuren plastisch, ihr Handeln und ihre Gefühle nachvollziehbar zu gestalten.

Trotz des Themas verliert seine Geschichte nie ihren leichten, unterhaltsamen Ton. Das liegt auch daran, dass Flüchtig von einer leisen Religiosität durchwirkt ist, die weitab von Institutionen die Seele der Menschen zu berühren vermag – und Hoffnung spendet. Denn manchmal führt eine Flucht die Fliehenden derart weit voneinander weg, dass sie einander am Ende wieder begegnen.

NEWS im Gespräch mit Hubert von Goisern

NEWS 21/2020 | Text: David Pesendorfer | Foto: Ricardo Herrgott

Hubert von Goisern hat sich neu erfunden: Unter seinem bürgerlichen Namen Hubert Achleitner hat der Mann mit der Ziehharmonika nun seinen ersten Roman veröffentlicht. Er behandelt nichts weniger als den Sinn des Lebens, des Leids und der Liebe – auch in Bezug auf die eigene Person.

Hubert von GoisernDa Hubert von Goisern und die große Bühne der Populärmusik, dort Hubert Achleitner und die abgeschiedenen Kammerln der Literatur – der aus Oberösterreich stammende Weltenbummler wurde nun zum Pendler zwischen zwei Kunstwelten: Soeben hat er unter dem Titel Flüchtig seinen ersten Roman, eine komplexe Beziehungsgeschichte, fertiggestellt, die dieser Tage in den Handel kommt. Nun tüftelt er am Feinschliff seines neuen Studioalbums Zeiten & Zeichen. Der Longplayer mit 17 Songs soll irgendwann im Sommer veröffentlicht werden. Wann genau, weiß AchleitnerGoisern selbst noch nicht. "Es ist fertig, wenn es fertig ist", antwortet er auf Fragen nach dem Erscheinungstermin lapidar.

Lust und Angst

Knapp vier Jahre war der Künstler weitgehend von der öffentlichen Bildfläche verschwunden, nun, mit 67 Jahren, startet er wieder voll durch. Nach außen hin gibt sich Achleitner locker und zurückgelehnt, zum Interview empfängt er in Filzschlapfen in seinem vollgerammelten Arbeitskammerl. Doch innerlich brennt er: Als Schriftsteller wagte er sich an die großen Themen Liebe, Glauben und Lebenssinn heran, als Musiker geht er einmal mehr experimentelle Wege. Eine der neuen Nummern ist ein Rap mit schwerem Thema und volksmusikalischen Einsprengseln, eine andere gemahnt, obwohl immer noch typisch Goisern, an den Sound von Rammstein, eine weitere könnte zum klassischen Sommer-Mitsing-Hit werden ...

Im News-Gespräch lässt der Comeback-Star tief blicken: Um messbare Erfolge geht es ihm nicht mehr – sondern darum, lustvoll gegen all die Versagensängste anzukämpfen.

Als Musiker sind Sie Hubert von Goisern, als Schriftsteller Hubert Achleitner, und dann gibt es Sie ja auch noch als Privatperson: Kippt man da nicht zwangsläufig in eine gewisse Schizophrenie?

Die extrovertierte Bühnenfigur schreibt jetzt halt auch ein Buch – aber so wollte ich das nicht, wenn auf dem Buch "Hubert von Goisern" stünde, würde man es anders lesen. Ich sehe Literatur nicht als Bühne. Schriftsteller zu sein, ist etwas sehr Introvertiertes. Ich hatte ja nicht den Anspruch, aus Lust und Laune einfach nur irgendwas Flockiges daherzuschreiben.

Aber den Schriftsteller Hubert Achleitner kennt doch keiner.

Das ist mir ehrlich gesagt wurscht. Ich habe lange überlegt, das Buch überhaupt unter einem Pseudonym rauszubringen, weil ich Angst hatte, dass es ein Verlag einfach nur deswegen nehmen könnte, weil ich es geschrieben habe – frei nach dem Motto: Das ist eine g'mahte Wiesen, der hat ja eh viele Fans, da kann man nichts falsch machen, also zugreifen, auch wenn's vielleicht ein Schaß ist. Der Verlag wollte das Buch mit einem Pickerl versehen: "Erstes Buch von Hubert von Goisern." Da habe ich in aller Freundschaft gesagt: "Ja habt ihr sie nicht alle?"

Sind Sie denn ein Feind Ihres eigenen Geldes?

Nein, es geht nicht gegen das Geldverdienen, aber auch nie ums Geldverdienen. Ich habe nichts gegen Erfolg – aber für den Erfolg mache ich es nicht, ich will meine künstlerische Kreativität ausleben. Ich mache das ja nicht gleichzeitig mit der Musik oder schnell zwischendurch: Beim Schreiben gehe ich in meine innersten Räume, kommuniziere mit niemandem. Ich habe vier Jahre Pause gemacht, um dieses Buch zu schreiben. Ein Jahr lang habe ich darüber nachgedacht, dann habe ich mit der Arbeit begonnen, effektiv geschrieben habe ich dann zwei Jahre.

Worum ging es Ihnen denn primär? Darum, zu zeigen, dass Sie das können oder darum, eine bestimmte Botschaft loszuwerden?

Primär ging es darum, mir selbst zu zeigen, dass ich das besser kann, als ich es zuvor in vielen anderen Büchern las. "Das kann ich auch!" – Darum ging es. Das habe ich aber niemandem gesagt, nur mir selbst, vielleicht meiner Frau oder meiner Familie. Denn ich habe großen Respekt vor allem, was andere Leute kreieren – aber ich habe aus vielen schlechten Büchern auch viel gelernt. Ja, ich habe schon das Gefühl, dass das mit dem Schreiben inflationärer geworden ist, ein jeder, der Zeit hat, fühlt sich heute bemüßigt, ein Buch zu schreiben.

In Ihrem Roman geht es um ein alterndes, ungewollt kinderloses, in quälender Routine verhaftetes Ehepaar, das auseinanderdriftet. Liegt dem vielleicht der Selbstzweifel des knapp Siebzigjährigen zugrunde, der sich selbst fragt: "War das alles?"

Nein, über mein Alter habe ich nicht nachgedacht. Es geht darum, in einer Beziehung, die wie ein Geschäftsmodell funktioniert, den Mut zu haben, zu sagen: "Eigentlich passen wir überhaupt nicht zusammen." Ich habe jetzt nicht grundsätzlich was gegen Geschäftsmodelle, aber mein Weg wäre es nicht: Ich muss es wirklich spüren, alles, auch das, was schmerzt! Zur Lust gehört bis zu einem gewissen Grad eben auch die Leidensbereitschaft. Es ist nicht immer alles schön: So lustvoll etwa das Buchschreiben war, so zäh war es manchmal auch. Es gab da auch diese Panikattacken, diese Angst, dass sich das womöglich alles nicht ausgeht. Und zwar nicht am Anfang, nach zwei Wochen könntest du ja ganz locker sagen: "Ich kann das nicht." Aber wenn du dir nach einem Jahr eingestehen musst, dass du dich komplett übernommen hast ... – Doch diese Selbstzweifel habe ich auch bei jeder Platte. Dass ich mir denke: "Ich bringe jetzt nichts mehr zusammen, ich habe jetzt schon alles gesagt, ich werde mich, wenn ich mich jetzt hinsetze, nur noch wiederholen." Ich habe diesen euphorischen Impetus, in ein Projekt hineinzugehen, aber diese Grundangst, zu scheitern, ist von Anfang an immer da.

Klingt ja beunruhigend. Worin besteht denn nun Ihr Luxus?

Darin, dass ich es mir, wie eben jetzt, leisten kann, eine Platte mit 17 Liedern zu machen, wo jedes komplett anders klingt und viele zuvor sagten: "Das kann ja nicht funktionieren, du brauchst eine Linie." Mein Luxus ist Unabhängigkeit. Aber den leiste ich mir seit dem Moment, in dem ich als Dreißigjähriger beschloss, Musiker zu werden. Ich habe nie, nie Musik gemacht, die ich nicht machen wollte. Jon Hiseman, der verstorbene Drummer der Jazzrockband Colosseum, hat mir einmal gesagt: "Wenn du es als Musiker schaffen willst, gibt es nur zwei Regeln. Die erste: Was immer passiert, gib nicht auf. Die zweite: Spiele nie auf Partys." Beides habe ich eingehalten. Denn ich finde es bis heute echt madig, auf Partys zu spielen. Es ist nicht gut für dein künstlerisches Selbstbewusstsein, wenn du dich daran gewöhnst, dass deine Musik nur der Hintergrund ist. Mit der Musik ist es wie in einer Beziehung, es geht darum durchzuhalten, in guten und in schlechten Zeiten.

Ihre Romanprotagonistin schreibt in einem Brief über ihre weitaus jüngere Reisebegleiterin: "Ich habe sie um ihre Naivität beneidet, sie war getragen von einem unerschütterlichen Glauben an die Welt." Worin besteht denn dieser Glaube an die Welt bei Ihnen selbst?

Darin, dass mich diese Erde trägt. Seit ich darüber nachdenken kann, fühle ich mich geborgen in dieser Welt. In Kanada etwa bin ich alleine durch den Wald gehirscht, obwohl alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben: "Da gibt es gefährliche Bären und Elche, die noch gefährlicher sind!" Aber ich dachte mir: "Warum sollen mir die was tun?"

Weil das in der Natur wilder Tiere liegt?

Ja, es gibt Zeiten, wo die Bären im Frühjahr aufwachen und hungrig sind, da geht man besser nicht in den Wald. Wenn man sich in der Welt geborgen fühlen will, braucht man natürlich auch ein Gespür für sie. Ich spüre sie, und sie spürt mich. Glauben ist – Vertrauen in die Welt, ins Leben. Und so glaube ich, dass der Bär an mir vorbeistreichen wird, weil er mir nichts Böses will – und ich womöglich zu verseucht bin, um ihm gut zu schmecken.

 Wenn man Vertrauen in die Welt hat, hat man keine Angst vor dem Tod, oder?

Ich war schon zwei, drei Mal in Situationen, wo ich mir dachte, jetzt ist es aus. In diesen Momenten wurde ich dann ganz ruhig und dachte mir: "Okay ..."

Und die spätere Erkenntnis war nicht "Poah, Glück gehabt!", sondern "Die Welt hat mich gerne!"?

Die Erkenntnis war: Loslassen! Festhalten ist schon auch wichtig, Festhalten ist ja auch Beständigkeit – aber es gibt Situationen, wo du auslassen musst, weil sonst passiert irgendwas wirklich Schlimmes.

Mit dem lieben Gott können Sie nichts anfangen?

Ich glaube – aber bei Gott bin ich mir nicht ganz sicher, nicht zuletzt, weil der so maskulin konnotiert ist. Das macht es mir richtig schwer. Ich glaube an etwas, das keinen Namen hat. Etwas, das ich zulasse, obwohl es über meine Vorstellungskraft hinausgeht. Ach, der liebe Gott, der liebe Gott – der ist gar nicht lieb, sonst gäbe es auf der Welt nicht so viel Wahnsinn. Das ist nur ein Wort für einen großen, zusammenhängenden Plan. Meine Großmutter war sehr gläubig, da bin ich halt auch mit in die Kirche und habe mein Kreuzzeichen gemacht und mich niedergekniet und die Gebete mitgesprochen. Das ist so wie Hypnose.

Woher wissen Sie das?

Ich ließ mich bereits hypnotisieren und bemerkte: Du bist während dieses gesamten Prozesses noch immer da und bei dir, du tust nichts, was du nicht tun willst – aber vielleicht war ich bei einem schlechten Hypnotiseur, vielleicht gibt es ja welche, die dich noch viel weiter wegbeamen. Dabei wollte ich wirklich hypnotisiert werden, so, wie du vom Glauben hypnotisiert werden willst.

Sie schreiben über Ihren männlichen Protagonisten: "Wenn es etwas gab, was er am Älterwerden nicht leiden konnte, dann war das der Verlust an Naivität". Wie holt man sich die denn zurück?

Als Künstler habe ich das Privileg, meine Träume ausleben zu können, auch wenn sie naiv sind. In meinen Liedern kann ich alles zulassen.

Wäre die Sexualität denn nicht auch eine Möglichkeit, sich das Staunen zu bewahren, eine Möglichkeit, alles zuzulassen?

Die Naivität ist in allen Lagen ein toller Bewusstseinszustand, natürlich auch in der Sexualität.

Und dennoch schreiben Sie: "Was soll sich da auch ändern? Mann und Frau, Testosteron und Östrogen, Haut auf Haut, Phallus und Vulva, füreinander geschaffen." Das klingt, als ginge es da nicht um etwas Magisches, sondern nur um Chemie und Mechanik.

Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass das ein Absatz in einem 300 Seiten langen Buch ist. Natürlich ist Sexualität auch Staunen und Naivität, aber eben nicht nur. Du wirst immer wieder in eine Welt zurückgeworfen, die dieses Staunen nicht mit dir teilen will, weil sie Sexualität anders definiert.

Als Hochleistungssport?

Kann man so sagen. Dabei wird ab dem Moment des Verliebtseins alles zur Blüte und Blume, alles ist naiv und schön. Vielleicht ist es dieser Zustand der Verliebtheit, der uns phasenweise abgeht. Ich habe mich ein paar Mal verliebt, ganz heftig verliebt, und diese Beziehungen dann auch gelebt. Es war jedes Mal wie neu. Natürlich verändert sich das mit dem Älterwerden, klarerweise hast du einen anderen Hormonfluss als mit 17 oder 18. Ich kann mich nun auch auf anderes fokussieren und Sex nicht als das einzig Erfüllende sehen. Es ist, wenn man jung ist, schon oft ein sehr animalisches Dahinleben, aber irgendwann kannst du dann schon auseinanderhalten: Wo ist nur die Lust, und wo fängt die Liebe an?

Wie hat denn ein ausgewiesener Weltenbummler wie Sie den Shutdown erlebt?

Geil, keine Flugzeuge, keine Mopeds, die Amseln haben wieder Mut, laut zu singen – und ich habe Arbeit ohne Ende. Diese Zeit war fast wie ein Geschenk. Und Weltenbummler? Ich kann in den Wald rein, auf den Berg rauf, ich gehe aus dem Haus raus, und kann gehen, wohin ich will, es erschießt mich ja keiner.

Und die Nichtbereisbarkeit der Welt ist Ihnen wurscht?

Das ist für mich kein Problem, auch die letzten zwei Jahre verlebte ich bis auf eine Grönlandreise stationär.

Also alles gut?

Bis auf den Umstand, dass unsere Tochter in London lebt und wir uns seit Jahresbeginn nicht mehr sehen konnten – ja.

Sie glauben also, dass die Corona-Krise spurlos an uns vorübergeht?

Ganz und gar nicht, auch in unserer Gesellschaft muss was passieren: All diese unterbezahlten Jobs, die uns plötzlich so wichtig erscheinen, wie sie tatsächlich sind – da muss endlich eine Umverteilung stattfinden, sonst beginnen irgendwann die Kugeln zu fliegen, und es kommt zu gesellschaftlichen Unruhen, davon bin ich fest überzeugt. Den Menschen muss die existenzielle Angst genommen werden, nicht mehr zu wissen, wie sie ihre Miete bezahlen können. Wenn sie sich des Nötigsten nicht mehr sicher sein können, müssen sie es sich ja von irgendwoher nehmen, denn draufgehen will keiner. Ich finde es toll, dass jetzt Rettungsschirme aufgespannt werden und so viel Geld ausgeschüttet wird. Ich bin auch absolut für ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Aber die Kohle, die jetzt ausgeschüttet wird, muss ja auch irgendwo herkommen.

Und zwar?

Man muss die Steuern dort einheben, wo sie nicht gezahlt werden. Wenn ich mir denke, wie viel Geld auf den Cayman Islands oder den Bahamas oder in Liechtenstein und der Schweiz verschimmelt – da muss man zugreifen! Die Kohle muss von dort kommen, wo sie ist, nämlich von ganz oben. Ich gehöre ja selber zu den reicheren Leuten, aber ich habe kein Problem damit, viel Steuern zu zahlen. Wenn es notwendig ist, zahle ich auch mehr. Aber wenn man sich die ganz Großen als Maßstab nimmt, gehöre ich nur zu den kleinen Zwergen.

Den dauerkiffenden Freund Ihres Romanhelden lassen Sie über Kanzler Sebastian Kurz sagen: "Er erinnert mich ein wenig an Alfred E. Neumann, nachdem er beim Friseur und beim Zahnarzt war. Ein Titelbild-Musterknabe, der es faustdick hinter den Ohren hat. Er hat ein untrügliches Gespür dafür, was die Leute hören wollen (...) Was mich wirklich stört, ist der Umstand, dass er keine Ideale haben zu scheint." Keine Ideale – das ist schon ein ziemlich schweres Geschütz.

Ja, darum habe ich es auch einen Kiffer sagen lassen. Aber ich finde, das hat etwas von dem Bild, dass er vermittelt. Wenn er keine Ideale hat, so heißt das ja nicht, dass er nicht jung und lernfähig wäre. Und so sehe ich ihn auch: als einen, der jetzt in den Job hineinwachsen muss. Wobei: Mit so richtigen Idealisten, die immer ganz genau zu wissen glauben, wie die Dinge sein müssen, habe ich auch ein Problem.

Aber was unterscheidet Kurz aus Ihrer Sicht nun von einem Haider oder einem Strache?

Die sind moralisch ganz sicher auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt: Ich traue dem Kurz nicht zu, dass er irgendeiner Russin irgendwelche Zugeständnisse macht, um seine Macht zu vergrößern. Auch das verantwortungslose Dahinpoltern eines Kickl ist nicht Seines, da hat er schon mehr Schliff. Was ich gut finde: Kurz schaut dich an, wenn er mit dir redet und gibt dir so im wahrsten Sinne des Wortes Ansehen. Wir müssen ja froh sein, dass wir ihn haben, denn die Roten liegen komplett am Bauch.

Und Sie haben gar keine Angst, dass aus dem Nicht-Idealisten Kurz ein sogenannter starker Mann wird?

Starker Mann ist er jetzt schon, das muss er nicht werden. Meinen ersten Clash mit ihm hatte ich kurz, nachdem er die australische Flüchtlingspolitik als unglaublich vorbildlich darstellte. Dabei lassen die ihre Flüchtlinge seit drei Generationen auf irgendwelchen Inseln verrotten. Ich sagte ihm: "Entschuldige, aber das war ein unnötiger Sager." Ich sagte du zu ihm, ich glaube, mittlerweile sagt er zu mir auch du. Jedenfalls antwortete er: "Ich glaube, da hast du mich falsch verstanden, das muss ich dir einmal erklären." Dann hat er am Absatz kehrt gemacht und ist gegangen. Seither haben wir uns zweimal getroffen, aber erklärt hat er es mir immer noch nicht. Dennoch hatte ich das Gefühl: Er nimmt Korrektive wahr, sie sind ihm nicht wurscht. Und ich glaube, dass auch ich mit dem Älterwerden dazugelernt habe – das hoffe ich zumindest. Warum soll das bei ihm nicht so sein?

Die Künstler haben soeben ihre Kunststaatssekretärin abgeschossen – ist die Macht der Künstler nicht irgendwie auch bedrohlich?

Die Kunst hat sie nicht auf den Mond geschickt, sie hat sich selber auf den Mond geschickt, indem sie nur dastand und nichts getan hat. Für uns Künstler war nicht erkenntlich, dass sie sich ins Zeug gehaut hätte, um uns eine Perspektive zu geben. Sie ist ja eh sympathisch, aber das reicht halt nicht. Sie brannte nicht für das, was sie machte – vielleicht glühte sie nur im Stillen.

Sie schreiben: "Aber anständig sein, was hieß das schon? Es bedeutete anzustehen, an irgendwelchen Grenzen, moralischen, sittlichen, vernünftigen. Weiß der Geier, die Unanständigen leben freier." War es unanständig von Ihnen, musizierend die Welten zu entdecken, während Ihre Frau daheim Ihr bürgerliches Refugium in Schuss hielt?

Ja, vielleicht. Es gibt diese Freiheit, die über das Konformistische hinausgeht. Aber bei uns war das ein Give and Take: Binnen kurzer Zeit waren wir finanziell unabhängig, so konnte sie zurück auf die Uni und hat eine universitäre Karriere gemacht. Die hätte sie sonst wohl nicht machen können, sondern wäre Lehrerin geblieben. So hatte auch sie eine gewisse Freiheit für ihre Vorstellungen. Aber eines stimmt schon: Wenn sie damals nicht auf die Familie geschaut hätte, so hätte ich heute keine – oder ich hätte ein anderes Leben leben müssen. Der Plan war ja: Sobald ihre Karenz zu Ende ist, werde ich zum Hausmann. Und ich habe mich darauf gefreut. Doch dann ist mir der Erfolg dazwischengekommen.

Flüchtig

musikexpress 14. Mai 2020 | Text: Jochen Overbeck

Spätes, aber umso beeindruckenderes Debüt des österreichischen Nicht-nur-Volks-Musikers.

Nein, dass Hubert Achleitner ursprünglich Musiker ist - die meisten werden seine unter dem Namen Hubert von Goisern aufgenommenen Lieder wie Koa Hiatamadl oder Brenna Tuat's Guat kennen -verheimlicht er in diesem Buch nie. Das Buch hat einen Klang, er setzt sich aus der Brandung des Meeres an Griechenlands Küsten und den Liebesliedern von André Heller, aus "Jodlerschleifen westafrikanischer Pygmäen", der Zauberflöte und einem Joik zusammen, das ist die Melodie, die jedes Sami-Kind zu seiner Geburt quasi geschenkt bekommt. Nur Volksmusik kommt nicht vor, so wie Achleitner in seinem Debütroman, für den er 67 Jahre alt werden musste, ohnehin auf jede Heimattümelei verzichtet. Das ist interessant, weil Heimat trotzdem etwas ist, über das er schreibt: Achleitner erzählt die Geschichte von Maria. Geboren in einer Winternacht in der Kabine einer Bergseilbahn. Früh heiratet sie Wig. Bald wird sie schwanger, doch sie verliert das Kind. Aus der Ehe wird eine schwierige Angelegenheit, die sich durch die Dekaden schleppt. Maria flüchtet sich in den Sport. Wig kifft zu viel und beginnt eine Affäre mit der erheblich jüngeren Nora. Als die schwanger ist, haut Maria ab. Für Wig beginnen Monate des Zweifelns und eine Suche, die ihn vom örtlichen Polizeirevier bis in die Berge der griechischen Mönchsrepublik führt. Das Weglaufen. Das Ankommen in einer wie auch immer gearteten Heimat. Die Suche nach so etwas wie einem guten Leben und einer inneren Ruhe. Und, der Titel deutet's ja an, die Flucht aus der westlichen Wohlstandsgesellschaft: Das sind große Themen, Achleitner verpackt sie in ein Buch, das immer in Bewegung bleibt, in dem die Perspektiven ebenso wechseln wie die Schauplätze. Zusammengehalten wird all das inhaltlich von einer Erzählfigur, die -nun, nicht am Rande steht, aber doch eher eine Nebenrolle spielt. Sprachlich ist Achleitners lakonischer Alltagssound die Klammer, der ebenso kompatibel mit kleinen Anekdoten wie mit großen Gedanken ist, bei dem man als Leser gerne dranbleibt.

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Hubert von Goisern in "Frühstück bei mir"

oe3hitradio 23. Mai 2020
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Hubert von Goisern frühstückt ☕ am Sonntag, einen Tag vor dem Erscheinen seines ersten Buches, mit @claudia_stoeckl1 über ebendieses. 📕 "Flüchtig" heißt es. Mittlerweile steckt der Sänger mitten in den Arbeiten zu seinem nächsten Album 🎶. Auch das wird Thema in "Frühstück bei mir" sein - am Sonntag von 9-11 Uhr. #einschalten #ö3 #frühstückbeimir #persönlichkeitenganzpersönlich

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5 Fragen an … Hubert Achleitner

Maria und Herwig sind die beiden wichtigsten Protagonisten Ihres Romans Flüchtig, wann und wie ist das Paar bei Ihnen aufgetaucht?

Die erste Idee hatte ich vor etwa fünfzehn Jahren. Im Mittelpunkt sollte eine Frau stehen, die ihren Mann verlässt – ohne Erklärung bei der Tür hinausgeht und nicht mehr wiederkommt. Sowie ein Mann, der sich auf die Suche nach ihr und nach dem Grund ihres rätselhaften Verschwindens begibt. Sie sollten beide eine Reise machen und Grenzen überschreiten müssen.

Reisen, fremde Welten, andere Perspektiven und verschiedene Glaubensrichtungen verändern sowohl Maria als auch Herwig und die Menschen rund um sie herum. Gibt es Punkte im Leben, an denen man sich umsehen muss?

Der überwiegende Teil unseres Lebens läuft, entsprechend dem Bild, das wir von uns und der Welt mit herumtragen, auf den Schienen äußerer Notwendigkeiten. Es gibt jedoch immer wieder Wendepunkte, Wegkreuzungen, Weichenstellungen … Ob man diese ergreift oder ignoriert, hängt von der Bereitschaft ab, seiner Intuition zu folgen und sich dem Risiko des Unbekannten auszusetzen.

Ihr Roman ist zu großen Teilen aus der weiblichen Perspektive erzählt. Wie kam es dazu?

Ich fand es einerseits die größere Herausforderung und es hat mir auch geholfen, mich in eine andere Person hineinzuversetzen.

Wie sind Sie vom Komponieren und Musizieren zum Schreiben gekommen?

Den Wunsch, mich an Belletristik zu versuchen, hatte ich schon lange. Dass es so lange gedauert hat, ist allein der Musik geschuldet. Immer wieder haben sich musikalische Abenteuer hinein- und vorgedrängt. Bis ich vor zwei Jahren alle Musikinstrumente weggeräumt und aus meinem Blickfeld verbannt habe.

Wie fühlt sich so ein Debüt als Schriftsteller für jemanden an, der schon einen so langen und künstlerisch sehr erfolgreichen Weg gegangen ist wie Sie?

Es fühlt sich immer gut an, wenn es einem gelungen ist, etwas, das man sich vorgenommen hat, umzusetzen. 2010 ist mein erstes Buch Stromlinien erschienen, das Logbuch meiner Reise mit einem zur Bühne umgebauten Frachtkahn quer durch Europa. Während ich Stromlinien geschrieben habe, habe ich oft damit gehadert, immer bei den Tatsachen bleiben zu müssen. Fiktion wäre viel einfacher, so dachte ich jedenfalls. Die Arbeit an diesem Roman hat mich eines Besseren belehrt. Lustvoller war sie aber auf jeden Fall.

"Weitergehen!"

Die Furche 23. Oktober 2019 | Text: Doris Helmberger-Fleckl und Brigitte Quint

Hubert Achleitner alias von Goisern über das Reisen, die Zeit, die es braucht
– und warum das Fremde oft näher liegt, als man denkt.

Gerade hat Liedermacher Hubert von Goisern seinen ersten Roman flüchtig zu Ende geschrieben (erscheint im April 2020). Über den Inhalt verrät er nur so viel: Es geht um das Reisen, vor allem zu sich selbst. Zu Beginn des Interviews zieht er seinen schwarzen Anorak an und verlegt das Gespräch nach draußen - auf die Terrasse eines Linzer Hotels mit direktem Blick auf die Donau. Hubert Achleitner, so der Geburtsname des Künstlers, fühlt sich gestört von der Hintergrundmusik im Frühstücksraum. Die Dauerbeschallung, sagt er, hindere ihn am Nachdenken.

Südafrika, Philippinen, Nepal, Senegal, Grönland – Sie sind viel herumgekommen in der Welt. Nicht nur als ordinärer Tourist. Oft haben Sie sich für Monate oder Jahre niedergelassen. Warum sind Sie immer wieder weggegangen von daheim?

Um mich neu zu finden und zu erfinden. Das ist ganz schwer in einer Umgebung, in der einen alle kennen. Denn die Leut' projizieren etwas in dich hinein. Und zwar das, was sie in einem sehen wollen. Dagegen kann man sich an einem Ort, an dem einen keiner kennt, häuten.

Warum wollten Sie denn unbedingt ein anderer werden?

Ich will nicht als der sterben, als der ich geboren wurde. Ich finde mich jedenfalls verbesserungsfähig. Vom Kern her natürlich, da bleibt man derselbe. Aber ich will nicht stehenbleiben. Die Zeit anzuhalten, das ist auf Dauer ja fad. Erfahrungen sammeln, Sachen ausprobieren und dann vielleicht auch merken, dass es eh nicht passt für einen, auch darum geht es.

Der Körper muss sich physisch wegbewegen, damit das Innerste zum Vorschein kommt?

Der Geist ist mit dem Körper ja verbunden – jedenfalls solange wir atmen. Es geht aber nicht nur ums Innerste, sondern auch ums Äußerste. Um das, was hinter den Grenzen meiner Vorstellungskraft liegt. Reisen gibt dazu Gelegenheit.

Muss man sich in der Fremde nicht auch erklären und von sich erzählen?

Wohl wahr, und in solchen Situationen lernt man sich selbst am besten kennen. Auf den Philippinen wurde ich einmal gebeten, ein paar Lieder zu singen. Und was habe ich ausgesucht? Vor allem Volks- und Kinderlieder aus dem Salzkammergut. Ich hatte das Gefühl, diese Melodien würden etwas von mir erzählen. Um zu spüren, was Heimat ist, war es für mich notwendig, wegzugehen.

Welche Definition von Heimat haben Sie für sich gefunden?

21 Jahre lang war das der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Also Goisern. In der Zwischenzeit habe ich aber mehr Orte, an denen ich mich daheim fühle. Salzburg, Wien. Aber auch, wenn ich nach Grönland oder auf die Philippinen komme, ist es ein nach Hause kommen.

Durch das Weggehen von daheim haben Sie also Heimaten gefunden. Heimat im Plural, geht das?

Heimkommen ist kein passives, sondern ein aktives Gefühl. Heimat ist da, wo ich mich einfühle und einbringe. Das sind jene Orte und Menschen, wo sich beim Abschiednehmen und Wegfahren Wehmut einstellt. Heimaten ändern sich auch, manche verblassen, andere verklären sich.

Sich selbst finden, sich verorten – worum geht es für Sie noch beim Reisen?

Um das Lernen durch die Begegnung und die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten.

Einer Ihrer größten Hits heißt Heast as nit, wia die Zeit vergeht. Welche Rolle spielt die Zeit auf Ihren Reisen?

Am liebsten wäre es mir, sie würde gar keine Rolle spielen. Die perfekte Reise wäre eine Reise ohne Zeitdruck und ohne Ziel. Es gibt ja den schönen Spruch: Das Ziel ist im Weg! Dieser Anspruch ans Reisen lässt sich aber sehr schwer umsetzen. Für mich jedenfalls. Leider. Am ehesten gelingt mir das beim Schwammerlsuchen. Da ist zwar auch das Ziel, den Pilz zu finden, aber das "Sich-Treiben-Lassen" gelingt dort schon.

Das berühmte "im Hier und Jetzt leben" – geht es Ihnen darum?

Im Leben ist es wichtig das zu sehen, was im Augenblick da ist. Dann hält man inne – und geht irgendwann weiter. Auch darauf kommt es an: Auf das Weitergehen!

Ein Plädoyer fürs Weitergehen und gegen das Stehenbleiben?

Ja, obwohl es zweiteres auch manchmal braucht. Aber irgendwann musst du doch wieder einen Schritt machen. Auf diesen einen Schritt kommt es an. Es ist besser, einen Schritt in die falsche Richtung zu machen, als gar keinen. Denn dann kann man immer noch die Richtung ändern. Aber wenn du stehen bleibst, dann bleibt es so, wie es ist. Wenn du damit zufrieden bist, ist es okay. Ich allerdings brauche den Kick des Neuen. Wenn ich dreimal dasselbe mache, macht mich das unzufrieden.

Das Wort "Schritt" steckt ja auch in den Worten "Fortschritt" oder "Rückschritt". Wie schaut man als Weltenbummler, wie Sie es sind, auf diese Begrifflichkeiten oder die Bedeutung dahinter?

Fortschreiten ist es auch, wenn du zurückgehst. Wir gehen ja nicht rückwärts. Wir drehen uns um und gehen in die andere Richtung. Ich selber mag gerne an die Quelle von etwas kommen. Die Suche nach dem Ursprung ist das, was mich antreibt. Nehmen wir die Volksmusik. Irgendwann sind die ersten zwei, drei Töne entstanden. Welche auch immer. Und dann haben die Leute etwas daraus gemacht. Da möchte ich anknüpfen.

Gleichzeitig haben Sie als Musiker genau an dieser Stelle immer wieder einen Bruch provoziert. Auch durch Ihre Texte.

Habe ich das? Die einen nehmen halt immer das gleiche Haferl und ich manchmal einen Krug, den ich von einer Reise mitgebracht habe.

Manche würden das jetzt als "Fortschritt" oder auf neudeutsch "Innovation" bezeichnen.

Wenn es irgendetwas gibt, was ich am Fortschritt positiv finde, dann ist es das, dass man mehr Weite in den Geist hineinkriegt. Dass ein größeres Bewusstsein für die Zusammenhänge entsteht. Die Klimadebatte ist so ein Beispiel.

Zurück zum Reisen. Wann stoßen Sie an Ihre persönliche Grenze?

Da, wo ich meine Komfortzone verlasse. Wenn ich meine Blase verlasse, dann wird es anstrengend, aber auch spannend. Denn wurscht, ob ich in Österreich, in Amerika oder in Grönland bin – eigentlich bewege ich mich immer in einem Milieu, das mit mir harmoniert. Ich suche und treffe überall Gleichgefiederte. Aber interessieren tun sie mich schon, jene, die einen anderen Film rennen haben.

Und wo rennt dieser andere Film?

Überall. Die andere Welt, das Fremde, ist im Grunde auch ganz nah. Manchmal vor der Haustüre. Die spannendste Reise geht zu denen, von denen man denkt, dass sie einen Vogel haben.